Katarina Sieh-Burens: „Spurensuche“

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1212_glueck.jpgKatarina Sieh-Burens: „Spurensuche – Historische Persönlichkeiten im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Luxemburg“

Wo der „Hauptmann von Köpenick“ seinen Ruhestand verbrachte

Reinhold Aßfalg hat Jahrzehnte in der psychtherapeuthischen Praxis gearbeitet und kennt die Menschen und ihre Schwächen besser, als ihm bisweilen lieb ist. Sehr oft hat er bei seinen therapeutischen Bemühungen feststellen müssen, dass die Patienten seine Ratschläge für ein besseres Leben nicht nur nicht beherzigten sondern offenbar gezielt das Gegenteil davon taten. Daraus hat er in einer Art Galgenhumor den Schluss gezogen, dass die Menschen das Unglück dem Glück vorziehen. In diesem Buch hat er neun wichtige – und nur „cum grano salis“ zu nehmende – Ratschläge erarbeitet, deren Befolgung mit hoher Sicherheit zu einem dauerhaften aber nie katastrophalen Unglück führen. Denn letzteres streben nur die wenigsten der Kandidaten an, da man nach dem Versterben das Unglück nicht mehr genießen kann.

Bei jeder Strategie erklärt Aßfalg den Grund für die Unglückssehnsucht, und daran erkennt man den aufklärerischen Charakter dieses Buches und den fast verzweifelten Versuch, all den Unglückssüchtigen doch noch einen Weg zu einem weniger unglücklichen – um nicht zu sagen glücklicheren – Leben zu weisen.

Strategie Nummer eins besteht in der Drogensucht. Während der Normalbürger zum Beispiel dem Alkoholgenuss angenehme Wirkungen bei negativen Nebenwirklungen – „Kater“ – zuschreibt, sucht der Alkoholiker in dem Getränk die Betäubung und die Vernichtung und nimmt dabei die kurzfristige heitere Enthemmung in Kauf. Bei härteren Drogen tritt diese Tendenz noch stärker hervor, bis zur Sehnsucht nach dem „goldenen Schuss“. Dem Drogenabhängigen ist tatsächlich an der Vernichtung des eigenen, vermeintlich misslungenen Lebens gelegen, und die meisten erreichen ihr Ziel auch auf die eine oder andere Weise.

Doch es gibt auch andere Strategien, meist weniger tödlich, aber ausreichend für ein stabiles Unglück für den Betroffenen und seine Umgebung. Da ist die Sammelwut, die solange unbefriedigt bleibt, wie dem Sammler noch ein wichtiges Stück fehlt. Da es immer einen solchen Mangel gibt – etwa Rembrandts „Nachtwache“ -, bleibt die Gefahr des Glücks gebannt. Das Unglück des Nichthabens schafft Spannung und Ablenkung, das Haben nur Langeweile. Die reinste Sammlerwut liegt laut Aßfalg in der Jagd nach Geld, die weder physische Merkmale noch haptisches Vergnügen sondern lediglich die Zahl auf einem Konto bewertet.

Unterwerfung unter eine Führergestalt oder Ergreifung der Macht sind für Aßfalg nur zwei Seiten derselben Medaille.Wer sich unterwirft, braucht sich über sein Leben keine Gedanken zu machen und kann sich im Unglück des Unterdrückten und Ausgebeuteten sonnen. Der Führer wiederum klagt Zeit seines machtvollen Lebens über die schwere Verantwortung sowie die Unfähigkeit und Illoyalität der Untergebenen. Armer Mächtiger!

Eine andere Methode der Unglückssuche besteht für den Autor in der eigenen Isolierung, frei nach dem Motto „Willst du gelten, mach dich selten“. Das Verschließen gegenüber der Außenwelt verleiht dem Betroffenen die Aura des Überlegenen, der leider in dieses profane Jammertal geworfen worden ist und mit einem mediokren Umfeld auskommen muss. Dieses Unglück streichelt das sich meist verkannt glaubende Ego und hält sich besonders lange. Eine andere Variante des „Sich Verschließens“ besteht in der Arbeitswut. Wer sein Leben ausschließlich der Arbeit widmet, pachtet damit ein (protestantisch-)ethisches Überlegenheitsgefühl und außerdem das Unglück, ale einiziger für das Glück der anderen arbeiten zu müssen.

Die Perfektionssucht ist eine besonders hinterhältige Version der Unglückssuche, sichert sie doch nicht nur dauerndes Unglücklichsein, weil man nie das Ziel absoluter Perfektion erreichen kann, sondern hält den Mitmenschen auch den moralischen Spiegel der Unvollkommenheit entgegen und flößt ihnen ein dauerndes Gefühl der Unterlegenheit ein. Quod erat conficiendem!

Die vorletzte Strategie für ein dauerhaftes Unglück ist der Kontrollwahn, der sich noch in Eigen- und Fremdkontrolle unterteilt. Letzterer ist naturgemäß für die Umwelt besonders apart. Alles muss vorhergesehen und geplant sein, nichts dem Zufall überlassen bleiben. Den Mitmenschen muss man grundsätzlich mit Misstrauen begegnen und sie auf Schritt und Tritt überwachen, sei es in der Familie oder im Beruf. Am besten, man macht doch alles selber – siehe Perfektions- und Arbeitswut – ,weil es sonst keiner kann.

Eine Abwandlung des Kontrollewahns ist für Aßfalg die „Vermeidung des Jetzt“. Das bedeutet entweder, in der Vergangenheit zu schwelgen, wo sowieso alles besser war und die Mutter besser als die Ehefrau gekocht hat. Für den Jetzt-Vermeider ist die Gegenwart schlicht heruntergekommen und ein Muster ohne Wert. Der Zwillingsbruder der Vergangenheitsschau ist die Zukunftsfixierung, entweder in der Version der Horrorvorstellung – Klimawandel, Überbevölkerung, Nuklearunfälle und Naturkatsatrophen – oder der visionären Utopie –  Sozialismus, Befreiung von Arbeit und Not, ewiger Frieden. In beiden Fällen wird die oftmals traurige Gegenwart des Unglücklichen verdrängt und durch eine virtuelle Welt ersetzt. Das tapfer zu ertragende Unglück besteht darin, in diese falsche Zeit geboren worden zu sein.

Den neun Strategien hat der Autor noch eine Ermahnung beigefügt, das eigene Weltbild fest zu fügen und ja keine Änderungen zuzulassen. Eine einmal erworbene Lebenseinstellung sei auf jeden Fall beizubehalten, jegliche Abweichungen davon seien ein Zeichen der Schwäche und könnten schlimmstenfalls in so etwas wie Glück enden. Mit einem unerschütterlichen Weltbild biete sich dagegen das heimelige Gefüh, als einziger standfester Mensch das Unglück zu erleiden, unter lauter Wankelmütigen zu leben.

Aßfold hat für seinen Ratgeber bewusst die ironische Form gewählt, da er die Nutzlosgkeit und Abgenutztheit der ernstgemeinten Ratschläge längst erkannt hat. Der Nachteil dieses Stils liegt dagegen in seiner schnelleren Abnutzung, unter der jegliche „antithetische“ oder originelle Stiltechnik leidet. Bisweilen stört denn auch die konsequent durchgehaltene Ironie, weniger weil sie etwa für schwerwiegende Sachverhalte nicht passt – Satire darf alles! -, sondern weil fortgesetzte Ironie ihre Wirkung verliert und leicht ins Gegenteil umschlägt. Doch die Alternative wären ernste Lebensratschläge eines Sozialarbeiters, die in Dauerlangeweile enden. Insofern kann man den Autor verstehen, dass er diese Form gewählt hat und sie auch bis zum Schluss durchhält. Was er wirklich mit seinem Buch erreichen will, kommt sowieso mehr als deutlich zum Ausdruck. Hoffen wir, dass einige Betroffene dieses Buch lesen und durch den ironischen Stil zur Besinnung kommen. Doch ist dieses Buch nicht nur für schwere Fälle geeignet sondern auch für den Durchschnittsbürger, der meint, nicht gemeint zu sein, und doch in den meisten Fällen einige der beschriebenen Symptome zeigt.

Das Buch „Über das Glück“ von Reinhold Aßfalg ist im Verlag Papst Publishers unter der ISBN 978-3-89967-797-3 erschienen, umfasst 173 Seiten und kostet 14,90 €.

Frank Raudszus

 

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