Im 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt gastiert das „Ring Ensemble“

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Das
Spannender Crossover aus Barock und Jazz  

Im 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt gastiert das „Ring Ensemble“
Drei junge Musiker aus Dresden gründeten irgendwann um die Jahrtausendwende das „Ring Trio“. Trotz des Standortes hatte dieses Trio nichts mit Richard Wagenrs „Ring der Nibelungen“ zu tun. Das dürfen wir jedenfalls vermuten, da sich das Trio auf Jazz und Pop spezialisiert hat. Simon Slowik spielt das „Fender Rhodes“, ein speziell für mobile Bands entwickeltes E-Piano mit besonderem Klang, und nimmt auch mal die Stimme mit zur Hilfe; Demian Kappenstein handhabt das Schlagzeug mit Begeisterung und Virtuosität, und Felix-Otto Jacobi schließlich spielt dazu den Kontrabass. Mitte des letzten Jahrzehnts suchte das Trio nach neuen musikalischen Herausforderungen und lud Musiker anderer Genres, vorzugsweise aus der „E-Musik“, zu gemeinsamen Auftritten ein. Daraus entwickelte sich schließlich die Idee, ein festes, gemischtes Ensemble aufzubauen. In der Familie Slowik – eine Winzerfamilie, bei der offensichtlilch „Wein,..und Gesang“ im weitesten Sinne zusammenpassten – war die „E-Musik“ in Gestalt von Simons Schwester Ulrike vertreten, die sich auf die Barockvioline spezialisiert hatte. Da sie mit Martin Stupka (Viola) und Diethart Krause (Cello) in einem Barock-Ensemble mit historischen Instrumenten spielte, ergab sich fast wie von selbst das neue „Ring Ensemble“. Zusätzlich holte man Stefan Jaenicke in das „Ring Ensemble“, der den Klang durch Gitarre und Ukulele abrundet.

Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, einen eigenen „Sound“ zwischen Barock und modernem Jazz zu schaffen. Dabei geht es nicht darum, alte Barock-Stücke zu verjazzen – à la Jacques Loussier – oder aber bekannten Jazz-Nummern barocke Züge zu verleihen. Das Ring-Ensemble schreibt sich seine Musik selbst. Das hat laut der launigen Moderation von Demian Kappenstein und Simon Slowik nicht nur den Vorteil, dass man GEMA-Gebühren spart, sondern dass man sogar welche erhält – falls andere die Musik öffentlich nachspielen. Der Hauptgrund für die weitgehende Konzentration auf selbstkomponierte Musik liegt jedoch darin, dass man weder harmonisch noch thematisch an irgendwelche Vorgaben gebunden ist. Eine Musik, die Barockelemente mit Jazz verbindet, lässt sich nicht durch Überarbeiten bestehender Kompositionen aus diesen zumindest zeitlich weit voneinander liegenden Gebieten erzeugen, sondern sie muss, unbelastet von thematischen Vorgaben, aus den Grundelementen dieser beiden Musikrichtungen geschöpft werden.

Nun ist die Erkenntnis, dass Barock und Jazz eine engere Verwandschaft verbindet als die 250 dazwischen liegenden Jahre vermuten lassen, nicht neu. Hört man sich heutige Jazz-Improvisationaen auf dem Klavier an, fühlt man sich oft an Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ erinnert. Beide zeichnet eine ähnliche kühle binäre Art der Improvisation aus, die im modernen Jazz die ternäre Spielweise des frühen Jazz abgelöst hat. Diese Assoziation funktioniert auch in der Gegenrichtung, wenn man in Bachschen Klavierstücken Bezüge zum modernen Jazz erkennt. Dass hier das Klavier als Bezugsebene dient, liegt vor allem daran, dass dieses Instrument in beiden Epochen dominant ist, während die orchestrale Ausprägung sich doch unterscheidet. Stellten im Barock die Streicher den Klangteppich zur Verfügung, so tun das in heutigen Bigbands die Saxophone. Blechbläser dienten damals wie heute als klangliche Ergänzung.

Das Ring Ensemble beschränkt sich jedoch eindeutig auf Saiteninstrumente, wobei das „Fender Rhodes“ noch am weitesten von den gewohnten Klängen abweicht. Es vermittelt einen klanglichen Eindruck zwischen Klavier und Hammondorgel und eignet sich mit seinem weichen Timbre besonders gut für ein Ensemble mit Streichinstrumenten. Von Klaviertrios und -quartetten kennt man die zumindest latente Gefahr, dass der Flügel vor allem die Violine und Viola übertönt. Das ist bei dem Fender Rhodes nicht der Fall.

Die Kompositionen stammen weitgehend von Simon Slowik selbst. Slowik verfolgt dabei ein hoch gestecktes Ziel. Er will keinen „Misch-Masch“ aus leicht identifizierbaren Barock- und Jazzelementen, sondern er versucht, die für beide Epochen typischen Klangfarben und Musizierstile zu einer neuen Musik zu vereinen. Dabei sind die Zuständigkeiten klar verteilt: das Barocktrio ist für eben diesen Klang verantwortlich, während die Jazzmusiker die anderen Elementen einbringen. Wichtig ist dabei, diese Komponenten so miteinander zu verzahnen, dass keine musikalischen Parallelwelten entstehen. Das gelingt dem Ring Ensemble auf hervorragende Weise. Es entsteht eine ganz eigene, schwebende Musik, die mal an Jazz, dann wieder an anspruchsvolle Popmusik erinnert, gerne auch mal ein wenig nach Debussy klingt, aber ohne jegliche aufdringlichen Zitate. Die Authentizität des Ring Ensembles bleibt durchweg gewahrt. Die einzelnen Stücke ähneln sich, plagiieren sich aber nicht gegenseitig. Jedes Stück weist seine eigenen musikalischen Charakteristiken auf. Dabei entwickelt Slowik sowohl bei der Phrasierung als auch bei der Harmonik viel Phantasie und sorgt immer wieder für klangliche oder rhythmische Überraschungen. Das erfordert natürlich hohe Taktsicherheit und Rhythmusgefühl bei allen Beteiligten. Das Ensemble beweist jedoch, dass alle auf diesem Gebiet Profis sind, und es macht ihnen sichtlich Spaß, versetzte Rhythmen und andere markante Verschiebungen einzubauen. Auf den Zuhörer wirkt die Musik nie einlullend oder gar eintönig, immer wieder gibt es überraschende harmonische oder klangliche Wendungen.

Doch bei aller Vielfalt hat das Ensemble es geschafft, einen eigenen, nahezu homogenen Sound zu schaffen, der dieses Ensemble unverwechselbar macht. An diesem Abend spielten sie nur ein bekanntes Stück, und Simon Slowik kündigte an, demjenigen eine CD zu schenken, der diesen klanglich und rhythmisch stark verfremdete „Klassiker“ in der Pause benennen könne. Nun, der Rezensent meinte  anfangs, Strawinkskys „Sacre du Printemps“ herauszuhören – wegen der harten, absteigenden Rhythmen -, erkannte dann aber bei dem abschließenden, unverkennbaren Thema in den Streichern nicht nur seinen Irrtum sondern auch Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ wieder.

In einem anderen, „La Truviata“ betitelten, Stück verbindet das Ensemble Elemente aus Verdis Oper und aus dem Jazz zu einem höchst modernen Klanggebilde. Wieder andere entwickeln einen orientalischen Sound („Arabica“) oder bewegen sich im Hip-Hop-Umfeld, wobei Simon Slowik seine Stimme zum verzerrten Sprechgesang nutzt.

Dieses Konzert fiel deutlich aus dem üblichen Schema der Kammerkonzerte heraus und brachte auch ein anderes Publikum ins Haus, etwa Freunde des experimentellen Jazz bis hin zu vereinzelten Hipster-Figuren. Das klassische, oft weißköpfige Publikum der Kammerkonzerte mit seiner Vorliebe für die reine Lehre des Barocks, der Klassik oder der Romantik hielt sich diesmal zurück und überließ seine Plätze einem anderen Publikum. Doch gerade diese Vielseitigkeit des Kammermusikbetriebs im Staatstheater Darmstadt macht seinen Wert aus: nicht nur, dass hochkarätige Ensembles die Glanzstücke des Repertoires spielen, sondern dass neue Ensembles ganz andere Klangexperimente und „Crossover“-Experimente präsentieren.

Das Publikum dankte dem Ensemble mit kräftigem Beifall.

Frank Raudszus 

 

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