Das Staatstheater Darmstadt präsentiert in den Kammerspielen Sophokles´Tragödie „Antigone“

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Zusammenprall der Wertesysteme – ein zeitloses Spiel  

Das Staatstheater Darmstadt präsentiert in den Kammerspielen Sophokles´Tragödie „Antigone“
Diana Wolf (Ismene), Katharina Hintzen (Antigone)„Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ stellte Bertold Brecht in seiner fast lakonisch kurzen Art fest. Diese Erkenntnis ist jedoch nicht den Revolutionären des 20. Jahrhudnerts vorbehalten sondern stand schon in der Antike im Brennpunkt der Diskussionen und der Kunst. Nur die Bezugssysteme haben sich seitdem etwas verschoben: was früher das eherne Gesetz der Götter war, subsumiert man heute als ethische Axiome, unabhängig von religiösen Überzeigungen.

Am deutlichsten kommt der Widerstreit zwischen grundsätzlichen Wertesystemen in Sophokles´ „Antigone“ zum Ausdruck. Eteokles und Polyneikes, Söhne des Ödipus, haben sich beide im Kampf um die Macht in Theben gegenseitig getötet. Ihr Onkel Kreon, nun König in Theben, gesteht Eteokles ein Begräbnis zu, befiehlt jedoch, Polyneikes´ Leiche den Tieren zu überlassen, da er als Verbannter keinen Anspruch auf den Thron hatte. Er sieht die Notwendigkeit eines deutlichen Zeichens, um weitere Umsturzversuche im Keim zu ersticken.

Katharina Hintzen (Antigone), EnsembleDoch Antigone, Schwester der beiden Toten, fordert  die Bestattung von Polyneikes, da das göttliche Gesetz einer würdigen Bestattung für jeden Menschen gelte. Da sie weder Kreon umstimmen kann noch Hilfe bei ihrer eher angepassten Schwester Ismene findet, führt sie das nötige Bestattungsritual alleine durch, wohl wissend, dass darauf der Tod steht. Der Wächter des Leichnams berichtet Kreon von der gesetzwidrigen Bestattung und weist auf Antigone, die ihrem entsetzten Onkel gegenüber die Tat nicht nur eingesteht sondern sogar als ihre Pflicht erklärt. Damit ist der Konflikt öffentlich gemacht, und die Protagonisten beider Seiten können ihre Argumente vortragen.

Kreon hat dabei den Vorteil der Machtposition, Antigone den der moralischen Stärke und der freiwilligen Annahme des Todes. Antigones freiwilliger Opfergang stellt das größte Problem für Kreon dar, da die Todesstrafe bei ihr keine abschreckende Wirkung mehr ausübt und bei den anderen – unter anderen dem Volk – zunehmend das Mitleid weckt. Sein Hinweis darauf, dass er sie als seine Nichte nicht anders behandeln könne als irgendeinen anderen Bürger, wirkt nur noch hilflos. Er muss jedoch diese Strafe vollstrecken lassen, weil er sich sonst aus seiner Machtperspektive unglaubwürdig macht.

Doch der Druck auf Kreon steigt stetig. Sein Sohn Haimon, Antigone Bräutigam, wagt anfangs nur zögerlichen Widerspruch, schwingt sich dann jedoch zu offenem Aufruhr und schweren Anklagen gegen seinen Vater auf. Dieser sei machtversessen und glaube, die Stadt gehöre ihm alleine. Am Ende der Auseinandersetzung sagt er sich wutentbrannt von seinem Vater los. Auch der Seher Teiresias, der sich anfangs zurückhält, stellt sich angesichts der starren Haltung Kreons mehr und mehr gegen ihn und wendet seine seherischen Fähigkeiten gegen ihn. Nicht zuletzt die Unruhe im Volk über Kreons Grausamkeit verleiht ihm den Mut zum mehr oder minder offenen Widerstand. Doch erst seine Prophezeiung, dass die Tötung Antigones weitere Tote in der Herrscherfamilie zur Folge hätte, bewegt Kreon zur inneren Umkehr. Doch seine Begnadigung kommt zu spät: Antigone hat sich erhängt, und Haimon nimmt sich neben ihrer Leiche das Leben. 

In der Darmstädter Inszenierung von Sahar Amini endet das Stück an dieser Stelle. Die Rolle von Kreons Frau Eurydike enfällt ganz und damit auch deren Freitod nach Haimons Selbstmord. Diese dramaturgische Entscheidung ist insofern nachvollziehbar, als Eurydike und ihr Tod lediglich als dramaturgische Endverstärker der Katastrophe wirken, Eurydike selbst aber zur Handlung nichts beiträgt. Amini konzentriert die Inszenierung ganz auf die Auseinandersetzung zwischen Antigone und Kreon bzw. zwischen den beiden Prinzipien. Dazu hat er sich auf die Übersetzung von Peter Krumme aus dem Jahr 1983 abgestützt. Wer Hölderlins Übersetzung liest, muss sich in fast jede einzelne Zeile vertiefen, um die Aussage zu verstehen. Dem auf der Bühne gesprochenen Hölderlin-Text kann nur jemand folgen, der ihn vorher durchgearbeitet hat. Krumme hat den deutschen Text dagegen wesentlich mehr an der heutigen Umgangssprache ausgerichtet, ohne deswegen das antike Versmaß ganz aufzugeben. Ihm ist es gelungen, den Rhythmus und die Sprachgewalt der antiken Tragödie weitgehend zu erhalten und trotzdem die Handlung verständlich wiederzugeben, ja, den Schauspielern sogar die Möglichkeit zu geben, auf der Basis dieser Übersetzung dynamische Dialoge zu entwickeln, die dem heutigen Theaterverständnis entsprechen. Dadurch wird die dramaturgische Aufbereitung wesentlich einfacher und schafft echte Spannung auf der Bühne.

Katharina Hintzen (Antigone), Diana Wolf (Ismene), Simon Köslich (Der Wächter), Ulrich Cyran (Kreon)
Moritz Jüders hat dazu ein Bühnenbild geschaffen, das die Situation geradezu symbolisch veranschaulicht. Auf dem Bühnenboden hat er eine bewegliche Plattform installiert, die von Seilen gehalten wird und sich mit den Personen auf ihr hebt und senkt, je nachdem, wo diese gerade stehen. Damit drückt er zwei Sachverhalte aus: die Welt der Menschen und ihre politischen Systeme sind nicht nur beweglich sondern auch schwankend, und die Menschen auf ihr bestimmen ihre Neigung und Ausrichtung. Bei zu starker Bewegung kann es sogar soweit kommen, dass die Menschen von dieser Plattform stürzen. Absolute Maßstäbe gibt es hier nicht, auch wenn die Menschen auf ihr dies behaupten. So senkt sich die Plattform mit Kreons Bewegungen zu einer Seite, mit Teiresias zu anderen. Solange das Umfeld Kreons ihm folgt, bewegt sich das System in seine Richtung, wenn sie sich aber von ihm lösen, senkt sie sich in die Gegenrichtung. Die Plattform ist zusätzlich von vielen kreuz und quer gespannten Seilen umgeben, die keinem statischen Zweck dienen sondern andeuten sollen, wie sich die Menschen in den undurchschaubaren Netzen der unterschiedlichen Bezugssystemen verriren und dort untergehen können.

Die beiden Frauen, vor allem jedoch Antigone, bewegen sich vornehmlich auf dem festen Bühnenboden, sprich: auf dem festen Boden der göttlichen Gesetze. Nur selten begeben sie sich auf die wankende Plattform der menschlichen Gesetze, wobei Ismene dort länger verweilt als Antigone. Damit folgt Amini Sophokles´ Grundaussage, dass die ewigen göttlichen Gesetze über den von den Menschen gemachten stehen. Doch interpretiert Amini dies nicht in einem aktuellen Sinne, sondern belässt es bei der Interpretation der sophokleischen Auffassung. Leicht hätte man diesem Stück moderne Spannungsverhältnisse überstülpen können, etwa Ökologie versus Ökonomie oder Menschenrecht („Flüchtlinge“!) versus Staatsraison, doch Amini erliegt dieser Verlockung nicht und belässt es bei einer eher unauffälligen zeitgenössischen Kostümierung. Wie auch im historischen Theater oft üblich, spielen die Darsteller im gewohnten Alltagsdress, der impliziert ausdrückt, dass die Konflikte im Grunde genommen zeitlos sind.

Die Darsteller setzen diese Inszenierung mit hoher Intensität um. Katharina Hintzen verleiht der Antigone eine kampfeslustige Entschlossenheit, die nicht ganz frei von individualistischer Eitelkeit ist, wenn sie die verspätete Solidarität iher Schwester Ismene abweist, Ismene soll sich nach ihrem anfänglichen Wegducken nicht auf den fahrenden Wagen der Selbstaufopfgerung schwingen. Antigone will diese heroische Tat ganz für sich alleine durchstehen. Doch auch sie kann der Todesangst nicht entgehen und beweint das fehlende Brautbett. Katharina Hintzen zeigt dieses Zwiespalt zwischen todesverachtender Konsequenz und der kreatürlichen Angst glaubwürdig, ohne jedoch Sophokles´ Drama damit ins Melodram abgleiten zu lassen. Ihr Lachen zum Schluss verrät sowohl Verzweiflung als auch Verachtung der irdischen Machtspiele.

Ihren Gegenspieler Kreon spielt Ulrich Cyran, neu im Darmstädter Ensemble. Seine anfängliche Zurückhaltung weicht bald einer raumgreifenden Intensität, mit der er die Machtbesessenheit und Kompromisslosigkeit des Herrschers überzeugend wiedergibt. Man merkt seinem Kreon deutlich an, dass göttlilche Gesetze aus seiner Sicht nur Opium fürs Volk sind und für ihn nicht gelten. Am Ende, wenn er den Verlust der Macht spürt, fällt er buchstäblich auseinander und kann die Katastrophe nicht mehr verhindern sondern nur noch erleiden. Klaus Ziemann steigert sich in der Rolle des Teiresias ebenfalls von einem anfangs kopfnickenden Adlatus fast zu einem Rachegott, dem am Ende an seinem eigenen Schicksal wenig liegt und der alle Register seines Seherberufs zieht, um die Katastrophe zu verhindern. Simon Köslich spielt den Wächter als verschreckten kleinen Soldaten, der ahnt, dass den Überbringer schlechter Nachrichten nichts Gutes erwartet, und Diana Wolf begnügt sich dieses Mal mit der Rolle der Ismene, die sowohl inhaltlich als auch dramaturgisch deutlich hinter Antigone zurücktritt, füllt sie aber überzeugend aus.

Bleibt eine kleine Premierenbesonderheit zu erwähnen: aufgrund einer Erkrankung des Haimon-Darstellers (Stefan Schuster) sprangen kurzfristig Istvan Vicze als Sprecher und Tobias Gondolf als szenischer Darsteller ohne Sprechpart auf. Diese unfreiwillige Einschränkung schadete der Inszenierung jedoch nicht.

Natürlich fragt man sich bei solchen Stücken jedes Mal, mit welchem Ziel sie heute aufgeführt werden – abgesehen vom Bildungsauftrag des Theaters. Unmittelbar lässt sich das Stück nicht auf die Gegenwart abbilden, und eine treffende Aktualisierung würde massive Texteingriffe erfordern, die wiederum das Problem der Werktreue aufwerfen würden. Nach dieser Aufführung lässt sich jedoch sagen, dass über eine reine Verneigung vor der Antike hinaus grundlegende Konflikte menschlichen Handelns und Denkens klar zum Ausdruck kommen und ihre Zeitlosigkeit bezeugen. Sophokles kann uns auch ohne vordergründige Modernisierung auch heute noch sehr viel sagen.

Das Premierenpublikum zeigte sich beeindruckt und spendete kräftigen Beifall.

Weitere Aufführungen am 16. und 22. Februar sowie am 7. und 23. März

Frank Raudszus 

Alle Fotos © Barbara Aumüller

 

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