Dieter Peeters: „Vermisst in Stalingrad“

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Erinnerungen aus der Hölle

Stalingrad gilt in Deutschland immer noch als die Metapher für die absolute Katastrophe und die endgültige Niederlage.  Entstehung und Ablauf dieser Schlacht weisen Züge antiker Tragödien auf, obwohl oder gerade weil Menschen und nicht Götter die Urheber waren. In diesem Jahr jährt sich dieses fürcherliche Massensterben zum siebzigsten Mal. Ende Januar 1943 kapitulierte Generalfeldmarschall Paulus in einem verdreckten Keller des völlig zerstörten Stalingrad, nachdem die Sowjets seine 6. Armee im November 1942 in einem Überraschungsangriff eingekesselt hatten. Hitler hatte den Ausbruch verboten und die Aufopferung bis zum letzten Mann befohlen, und Paulus hatte bis zum bitteren Ende gehorcht. Von ursprünglich 260.000 Soldaten überlebten 91.000 die Schlacht und gingen in Gefangenschaft. Von diesen kehrten später ganze 6.000 in die Heimat zurück. Der Rest galt als „vermisst in Stalingrad“.

Der Zeitgut-Verlag lässt in einer eigenen Reihe Zeitzeugen zu Wort kommen und ihre Erlebnisse schildern. In diesem Falle ist es Dieter Peeters aus Düsseldorf, der 1941 als Neunzehnjähriger eingezogen wurde und zur 6. Armee kam. Er marschierte als einfacher Soldat mit nach Stalingrad und leerte den Kelch bis zur Neige. Er überlebte die Schlacht mit viel Glück und ging anschließend in Gefangenschaft. Erst 1949 wurde er wegen Krankheit und Unterernährung entlassen und kehrte in seine Heimatstadt zurück.

Peeters erhebt in seinem Bericht keine literarischen Ansprüche, sondern schildert mit einfachen aber stets treffenden Worten die Zustände im Kessel und in den Arbeitslagern der Sowjets. Er benötigt auch keine romanhafte Überhöhung, etwa durch pathetischen oder expressiven Stil, denn die Tatsachen sorgen schon allein wegen ihrer „Qualität“ für eine emotionale Ausnahmesituation beim Leser.

Sein Bericht beginnt am 19. November 1942, dem Tag des sowjetischen Überraschungsangriffs. In verschiedenen Rückblenden berichtet er über den Anmarsch und die diversen Glücksfälle, die ihm das Leben retteten und anderen den Tod brachten. So lieh er einmal sein Melder-Fahrrad aus Hilfsbereitschaft einem fußkranken Kameraden, der prompt von Scharfschützen vom Rad geschossen wurde. In anderen Fällen starben Kameraden rings um ihn durch Bomben oder Granaten und bildeten auf diese Weise einen unfreiwilligen Schutzschirm um ihn. Unverletzt wenn auch völlig erschöpft, halb erfroren und unterernährt überstand er sogar den Endkampf. Einmal verrichtete er seine Notdurft in einem Granattrichter und traf dabei auf einen sowjetischen Soldaten in derselben Situation. Beide ließen die Waffen liegen und tauschten sogar Zigaretten. Auch das gab es in Stalingrad.

Peeters diskutiert keine militärischen Strategien und „Hätte-Wenn“s, sondern beschreibt den fürchterlichen weil meist tödlichen Alltag der einfachen Soldaten in einer bereits verlorenen Schlacht, zum Schluss ohne Proviant, ohne Munition, mit dem Messer das eigene Leben verteidigend. Doch der anderen Seite ging es nicht besser, wie er in einigen fast archaisch anmutenden Szenen eindringlich beschreibt.

Unter diesen Umständen ist es schon ein Wunder, dass überhaupt so viele Soldaten überlebt haben. Das richtige Martyrium begann jedoch danach. Tagelang ließ man die Gefangenen ohne Verpflegung, warme Bekleidung und Unterkunft durch die Kälte marschieren, so dass die erschöpften und großenteils auch verwundeten Soldaten wie Fliegen am Wegesrand starben. Unmittelbar nach der Kapitulation hatten die Sowjets die Verwundeten in den Kellern kurzerhand erschossen. Peeters verstand dies jedoch bald als Gnadenschuss, da es auch den sowjetischen Soldaten kaum besser ging und überhaupt keine Logistik für die Versorgung und Unterbringung so vieler Kriegsgefangener und gar Verwundeter zur Verfügung stand. Dazu kam der verständliche Hass auf einen Gegner, der das eigene Vaterland grundlos und überraschend überfallen und dort fürchterlich gehaust hatte. Peeters wusste zwar nichts von der gnadenlosen Ausrottungspolitik der SS in den eroberten Gebieten, aber mit zunehmender Kriegsdauer und angesichts der Kriegsgreuel hatte er schon bald an dem Sinn und der Berechtigung dieses Kriegs gezweifelt.

In der Gefangenschaft durchlitt er deshalb die Rache der Russen am besiegten Feind. Das Schlimmste war der neunmonatige Aufenthalt im Übergangslager Betekowka, das bald den Ruf eines Todeslagers erhielt, da es hier so gut wie keine Verpflegung, keine warmen Unterkünfte und schon gar keine ärztliche Versorgung gab. Ein Detail sei hier nur erwähnt: die Mauer rings um das Lager, scheinbar aus groben Baumstämmen gezimmert, bestand aus den hartgefrorenen, zumeist unbekleideten Leichen deutscher Soldaten.

Der weitere Leidensweg führte Peeters in ein Arbeitslager im Ural, wo er durch die Härte der Arbeit, die Kälte und die unmenschlichen Zustände viele Kameraden verlor und selbst mehr als einmal an der Schwelle des Todes stand. Erst später, wegen akuter gesundheitlicher Gefährdung in den Kaukasus verlegt, begann er sich ein wenig zu erholen, obwohl auch hier die harte Arbeit und die schlechte Verpflegung zu schweren Krankheiten und Erschöpfungszuständen führten.

Doch Peeters´Schutzengel ließ ihn nicht aus den Augen, und 1949 gelangte er endlich mit einem Krankentransport – zum Arbeiten war er nicht mehr geeignet – nach Deutschland zurück.

Gerade für junge Leute, die Krieg nur aus Actionfilmen oder aus Fernsehberichten aus Afghanistan kennen, ist diese schonungslose Schilderung eines erbitterten Krieges erhellend. Peeters verzichtet auch auf jegliche Schuldzuweisung an die Russen, weil er einerseits deren Rachegefühle versteht und andererseits weiß, dass deren Situation meist nicht viel besser war. Dafür beschreibt er jedoch deutsche Kollaborateure, die den Sowjets gegen großzügige Rationen, warme Kleidung und bessere Unterkünfte als Spitzel und schikanierende Vorgesetzte ihrer eigenen Kameraden dienten.

Das Buch „Vermißt in Stalingrad“ ist im Zeitgut-Verlag unter der ISBN 978-3-933336-77-4 erschienen und kostet 12,90 €.

Frank Raudszus

 

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