Im 5. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt dirigiert ein Franzose Schumann und Mendelssohn

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Subtile Klänge mit und ohne Worte  

Im 5. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt dirigiert ein Franzose Schumann und Mendelssohn
Dirigent Julien SalemkourAuf dem Programm des Sinfoniekonzertes am 17. März stand wieder einmal die Romantik. Das übliche Solokonzert bestritt dieses Mal die Sopranistin Eleonore Marguerre, bekannt aus großen Opernrollen, mit Liedern von Felix Mendelssohn-Bartholdy auf Gedichte von Heinrich Heine und anderen Romantikern, und den Schluss bildete Robert Schumanns letzte Sinfonie, die 4. in d-Moll. Dazu hatte Gastdirigent Julien Salemkour als Auftaktmusik die Komposition „Traum in des Sommers Nacht“ des zeitgenössischen Komponisten Georg Friedrich Haas (Jahrgang 1953) ausgewählt, das nicht nur im Namen Assoziationen an Mendelssohns „Ein Sommernachtstraum“ weckte. Julien Salemkour hat nicht nur seine musikalische Ausbildung in Deutschland erfahren sondern auch seine weitere Karriere weitgehend hier verbracht. Seit 2011 ist er Staatskapellmeister an der Berliner Staatsoper. Er kennt also die deutsche Musik offensichtlich zu Genüge.

Die Sopranistin Eleonore MarguerreGeorg Friedrich Haas hat für seine Komposition Mendelssohns Musik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ als Grundlage herangezogen, sie jedoch mit eigenen Klangkreationen verfremdet und im Sinne einer erweiterten Tonalität verfeinert. Dazu hat er Motive aus anderen Werken Mendelssohns unter demselben Gesichtspunkt eingefügt. Seine besonderen Klangfarben erreicht Haas durch „mikrotonale“ Elemente; das sind Tonhöhen zwischen den etablierten zwölf Halbtönen des üblichen musikalisch-harmonischen Rahmens. Vierteltöne und noch kleinere Abstufungen spielen dabei eine wesentliche Rolle, da die enge Nachbarschaft der einzelnen Tönen ganz eigene Reibungseffekte und Schwebungen erzeugt. Das Stück beginnt mit einem eher dumpfen Geraune, dass nicht den Saiten sondern unmittelbar den Resonanzkörpern der Streichinstrumente zu entsteigen scheint. Dieses klangfreie „Schrammeln“ setzt sich wellenförmig fort, nur knapp akzentuiert durch kleinere Schlagwerkeinwürfe, bis erst die Holzbläser und dann die Streicher das akkordische Anfangsthema des „Sommernachtstraums“ aufnehmen und anschließend auf vielerlei Weise klanglich variieren. Die entstehenden Klangflächen wirken durchaus nicht atonal sondern eher geschärft und verdeutlichen dabei, dass schon Mendelssohn eine sehr eigenwillige und zugespitzte Harmonik verwendet hat. Die Ähnlichkeit zu Mendelssohns Originalklang ist geradezu verblüffend, auch wenn immer wieder die deutlich gesteigerte Schärfe der Klangfarben auffällt. Ähnlich geht Haas mit anderen bekannten Motiven Mendelssohns um, die er klanglich permanent abwandelt, ein wenig wie bei der „minimal music“, doch hier konzentriert auf die Erzeugung völlig neuer Klangfarbe. Das Stück endet dann wie es begonnen hat: mit dem klanglosen „Schrammeln“ der Streicher, das eher einem Rauschen als einem harmonischen Klang ähnelt. Wie Mendelssohns Original verklingt die Musik mit stetig leiser werdenden Tönen.

Für das Orchester stellt die Interpretation dieses Stücks eine besondere Herausforderung dar, da vor allem die Instrumente mit gleitendem Tonraum, also Streicher und einige Bläser, Töne spielen müssen, die üblicherweise „verboten“ sind, weil sie schlicht als falsch gelten. Unter den sparsamen aber konzentrierten Gesten Julien Salemkours meisterten die Musiker diese Schwierigkeit jedoch mit Bravour. Ein für das Auftaktstück ungewöhnlich langer Beifall, der den Dirigenten zwei Mal aus den Rückräumen holte, belohnte das Ensemble für diese Interpretation.

Eleonore Marguerre, an der Bergstraße im Süden Darmstadts aufgewachsen, interpretierte im zweiten Programmpunkt bekannte Lieder von Felix Mendelssohn-Bartholdy, die Siegfried Matthus für Orchester und Sopran gesetzt hatte. Die bereits in großen Opernrollen erfolgreiche Sängerin zeigte sich hier auch als Meisterin des Liedes, wobei ihr vor allem in den expressiveren Liedern ihre Opernerfahrung zugute kam. Um ihrer Stimme kleine Ruhepausen zu gönnen, hatte Salemkour vier „Lieder ohne Worte“ von Mendelssohn eingestreut, die auch ohne menschliche Stimme die gesangliche Grundstimmung aufrechterhielten. Vier Lieder nach heine-gedichten – „Auf Flügeln des Gesangs“, „Neue Liebe“, „Gruß“ und „Reiselied“ brachten vier unterschiedliche Grundstimmungen wie tänzerisch, vorwärtsdrängend, sehnsuchtsvoll und dramatisch zum Ausdruck. Anschließend folgten „Pagenlied“ von Eichendorff, „Schilflied“ von Nikolaus Lenau, „Der Mond“ von Emanuel Geibel und „Hexenlied“ von Ludwig Hülty, alle vertont von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Eleonore Marguerre zeigte bei der Interpretation dieser Lieder mit großer Ausdrucksbreite ihre Variabilität von der lyrisch-entsagungsvollen Klage bis hin zum expressiven Ausbruch. Scheinbar völlig unangestrengt präsentierte sie die Lieder mit viel Gespür für den jeweiligen Bedeutungsgehalt, und Julien Salemkour begleitete sie dazu mit dem Orchester markant, jedoch ohne dabei den gesanglichen Vortrag zu übertönen.
Der begeisterte Beifall des Publikums ließ Eleonore dann Heinrich Heines „Reiselied“ noch einmal als Zugabe vortragen.

Nach der Pause erklang Schumanns 4. Sinfonie. Dieses Werk entstand bereits 1841, also fast gleichzeitig mit der ersten Sinfonie, und wurde erst 1851 überarbeitet. Das ist auch der Grund, warum dieses Werk rund und in sich ruhend erscheint. Nichts ist hier zu spüren von der Zerrissenheit des späten, geistig zerrütteten Schumann, ja, bisweilen wirkt diese Sinfonie fast ein wenig zu gefällig und eingängig. Auch Schumann wird gemerkt haben, wie später Brahms, dass es schwer ist, nach Beethoven noch Sinfonien zu schreiben. Dennoch zeigt er in diesem Werk eine gewisse Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Man erkennt dies schon an den Satzbezeichnungen „Ziemlich langsam – lebhaft“, „Romanze: Ziemlich langsam“, „Scherzo: lebhaft“ und „Langsam – lebhaft“. Mit diesem Werk schließt sich auch der in diesem Konzert geschlagene Bogen, denn bereits in Georg Friedrich Haas´ Komposition zu Beginn schien ein Motiv aus dieser Sinfonie auf.

Julien Salemkour nahm das Werk mit Verve und zupackendem Tempo. Bei ihm erscheint Schumanns Vierte als ein Nachzügler der Klassik, ohne deswegen epigonal zu wirken. Präzise und akzentuiert nahm er den anfangs getragenen, dann lebhaften ersten Satz, die Romanze des zweiten verzichtete auf übermäßigen „romantische“ Attitüde, und der Übergang vom tänzerischen dritten zum Finalsatz vollzog sich mit sorgsam aufgebauter Spannung, die sich schließlich in einem fast jubelnden Schluss auflöste. Das Orchester folgte dem Dirigenten bei seinen sparsamen aber akzentuierten Anweisungen mit viel Spielfreude, exakten Einsätzen und transparenter Intonation.

Das Publikum zeigte sich begeistert und spendete entsprechend starken Beifall, mit dem es zeigte, wie sehr es die Leistung dieses Dirigenten – und natürlich des Orchesters – schätzte.

Frank Raudszus 

 

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