Heinz Buschkowsky: „Neukölln ist überall“

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Ein weiteres „Aufregerbuch“, doch aus berufener Feder

Dieses Buch ist bereits seit einiger Zeit auf dem Markt, und so stellte sich die Frage, ob die Rezension nicht etwas verspätet kommt. Doch dann erschien Ende Januar in der F.A.Z. ein Artikel, in dem die Autorin die organisierte journalistische Hetzjagd auf Heinz Buschkowsky beschrieb. Da man ihm keine sachlichen Fehler habe unterschieben können, habe man ihm unterstellt, seine Arbeitszeit als Bürgermeister von Neukölln für das Verfassen eines Buches zu missbrauchen, an dem er auch noch verdiene. Außerdem müsse man sich fragen, welche öffentlichen Quellen seine Mitstreiter dafür zugänglich gemacht und wieviel ihrer staatlich alimentierten Arbeitszeit sie dafür verbracht hätten, etc., etc…..

Es zeigt sich also, dass selbst lange nach Veröffentlichung dieses Buches die Gemüter sich noch nicht beruhigt haben und der Kampf mit allen Mitteln auch unter der Gürtellinie ausgefochten wird. Da lohnt es sich allemal, das Buch auch hier vorzustellen und noch einmal detailliert zu rezensieren.
Heinz Buschkowsky ist seit Jahren Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln, der sich in den letzten Jahren einen unrühmlichen Ruf als Hort der Parallelgesellschaften, der Gewalt und des Deutschenhasses erworben hat. Zum erstenmal geriet Neukölln in das Visier der Öffentlichkeit, als das Lehrerkollegium der Rütli-Schule einen offenen Brief über die „Unbeschulbarkeit“ ihrer Klientel verfasst hatten. Dieser Brief führte zu einer ersten Kontroverse zwischen den beschwichtigenden Befürwortern einer offenen und liberalen Politik gegenüber Migranten und den Warnern vor einem sich verfestigenden Prekariat, das sich mit Hilfe großzügiger Sozialleistungen in einer Transferumgebung einrichtet und seine Kinder von vornherein auf ein Leben ohne Bildung und berufliche Chancen vorbereitet.

Diese Problematik hatten schon Thilo Sarrazin und Kerstin Heising in ihren jeweiligen Büchern aufgegriffen. Ersterer wurde jedoch wegen seiner zugespitzten Thesen sofort in die Rassistentonne getreten, während letztere sich durch ihren tragischen Freitod selbst aus der Schusslinie und damit aus der Diskussion nahm. Die unerwartete Wirkung dieser beiden Bücher hat Heinz Buschkowsky offensichtlich ermutigt, die Zustände im Bezirk Neukölln ungeschminkt zu beschreiben, obwohl seine Partei vor allem Sarrazins Buch und den Autor bis hin zum Parteiausschluss bekämpft hat und Buschkowsky sich selbst auch nicht als Sarrazin-Freund bezeichnet. Doch dazu später.

Buschkowsky hält es aus den Erfahrungen mit den beiden erwähnten Autoren für angeraten, seinem Buch ein Vorwort voranzustellen, dass sozusagen als Entschuldigung für das Folgende nicht nur ausdrücklich auf die durchaus vorhandenen Beispiele gelungener Integration hinweist sondern auch das Engagement und den Willen des Autors zu einer friedlichen Integration alle Migranten betont. Offensichtlich kennt Buschkowsky seine „Pappenheimer“ aus SPD und Grünen sehr gut, denn er fügt gleich die prophetische Einschränkung an, dass sein Buch wahrscheinlich auf heftigste Abwehr und Proteste stoßen werde. Wie wahr – wie die vielfältigen Kommentare aus den einschlägigen Lagern beweisen.

Nach einem einleitenden „Werbeblock“ über Neukölln, der Geschichte, Schönheiten und Sehenswürdigkeiten des Bezirks mit einem Augenzwinkern anpreist, kommt Buschkowsky auf das heutige Neukölln zu sprechen und redet dabei gleich Tacheles (das ja eigentlich in Mitte liegt). Er selbst kommt aus sogenannten „kleinen Verhältnissen“ und weiß daher, wo den Normalbürger der Schuh drückt. Als Bezirksbürgermeister kann er sich vor allem in die Lage der am Rande des Existenzminimums lebenden Mitbürger hineindenken. aber schon hier verweist er unmissverständlich auf das ihm von seinen Eltern vermittelte Lebensmotto, zu arbeiten und zu lernen, um es mal zu etwas zu bringen. Dieses Motto kann er bei den typischen Bewohnern von Neukölln, vor allem im Norden, nicht mehr oder nur in ganz schwachen Ansätzen erkennen. Er redet auch nicht lange um den heißen Brei herum und sagt ganz deutlich, dass es sich hier vor allem um türkische und arabische Migranten handelt, die sich im deutschen Sozialstaat eingerichtet haben und sich für ihre Kinder zwar Berufe wie Arzt, Ingenieur oder Pilot wünschen, aber schulische Bildung als Voraussetzung dafür unnötig finden. Um weniger angreifbar zu sein, wartet er auch gleich mit statistischen Zahlen auf, die bis zu 90% „Hartz IV“-Beziehern und erschreckend geringen Schul- und Berufsabschlussraten der Kinder reichen. Zwar erwähnt er, dass dazu auch deutsche Sozialfälle zählen, in Neukölln aber die Parallelgesellschaften der Araber und Türken vorherrschten, die sich untereinander ebenfalls bekämpften und verachteten. Dabei verweist er auf die Zweiteilung der Stadt in einen Nord- und einen Südteil. Jeder, der etwas auf sich hält, verlässt den Norden spätestens bei der Einschulung seiner Kinder und zieht in den Süden, wo die Durchmischung und die „Hartz IV“-Verteilung eher im normalen Bereich liegen. Auch hier schildert er noch einmal die Entwicklung des Bezirks zu dieser unhaltbaren Situation und macht dafür unverhohlen die Berliner Politik verantwortlich, die zum großen Teil von seiner Partei (SPD) und den Grünen und/oder Linken gemacht wurde. Auch hier nimmt er kein Blatt vor den Mund und nennt sogar Ross und Reiter bis hin zu sarkastisch-vernichtenden Bemerkungen über die Integrationsbeauftragte.

In dem Kapitel „Die Migration im Grundsatz“ stellt er unmissverständlich die Forderung auf, dass Immigranten sich – bei allem Respekt vor ihrer religiösen und kulturellen Tradition – an die hier geltenden Gesetze und Regeln halten müssen. Wer das nicht will, soll sich ein anderes Plätzchen in der Welt suchen, wo nur seine Regeln gelten. Dieae Einforderung der „Bringschuld“ ist natürlich für alle – auch von ihm sarkastisch so genannten – „Gutmenschen“ ein Affront ersten Grades, und Buschkowsky erwähnt die entsprechenden Kommentare dieser politischen Klientel auch mit einer Mischung aus fast schon satirischem Sarkasmus und gelinder Verzweiflung. Dabei vergisst er auch nicht die verbalen Eskapaden eines Erdogan oder die bereitwillige Selbststilisierung der migrantischen Sozialfälle als ausgegrenzte und diskriminierte Ausländer.

Trotz der bereits eingestreuten Bemerkungen über das Versagen der Politik (zu der er im Grunde genommen ja gehört!) widmet er diesem Bereich ein eigenes Kapitel mit der vielsagenden Überschrift „Maulkorb und Scheuklappe – was tat die Politik?“. Dieser Titel drückt in kürzest möglicher Form das aus, was er anschließend in einem fast zwanzigseitigen, so frustrierten wie kämpferischen „Aufschrei“ formuliert.

Im nächsten Kapitel kommt er auf „Andere Kulturen und dann noch die Sache mit der Religion“ zu sprechen. Auch hier liefert er wieder viel Recherche- und Statistikmaterial zu den entsprechenden Verteilungen in Neukölln bis hin zu fundamentalistischen Strömungen, die dort unbehelligt ihr Unwesen treiben können. Auf der anderen Seite erwähnt er ausdrücklich die sehr kooperativen und engagierten Alewiten, die sich jedoch innerhalb des muslimischen „Lagers“ leider in einer fast vernachlässigbaren Minderheit befinden.

In dem Kapitel „Islamophobie und Überfremdungsangst“ verdeutlicht er, dass gerade die Bildung von abgeschotteten Parallelgesellschaften die Angst vor dem Fremden, speziell dem Islam, befördere. Wenn dann noch die gewaltsamen Übergriffe arbeitsloser muslimischer Jugendlicher dazukämen, sei der Fremdenhass nicht mehr weit. Der Unruheherd sitzt laut Buschkowsky jedoch nicht in den faschistischen Seelen der islamophoben Bürger sondern in den gesetzlosen Ghettos bestimmter Migrantengruppen, die ihr eigenes Rechtssystem pflegen und sich von dem Gaststaat konsequent abschotten – bis auf die Entgegennahme der Sozialleistungen.

Bis hierher hat Buschkowsky den sich bei der Lektüre aufdrängenden Namen „Sarrazin“ nur ein oder zwei Mal und dann fast verschämt erwähnt. Fast konnte man annehmen, er wolle diesem (für einen SPD-Politiker) undankbaren Thema weiträumig aus dem Wege gehen. Doch dann wäre er nicht Buschkowsky: in einem eigenen Kapitel beschreibt er ein längeres Gespräch mit Thilo Sarrazin, um das er selbst ersucht hatte und das im Hause Sarrazin stattfand. Das Ergebnis ist insofern aufschlussreich, als es keins gibt. Buschkowsky ist mutiger Demokrat genug, um Sarrazin seine Meinung zuzugestehen und die mediale und politische Hatz auf ihn eindeutig zu verurteilen. Mutig für einen SPD-Mann! Auf der anderen Seite findet er ihn nicht sympathisch und möchte auf keinen Fall mit ihm über einen Kamm geschoren werden. Allerdings ergibt sich bei dem Gespräch, dass er Sarrazins Fakten nichts entgegen setzen kann. Zur eigenen Rettung verlegt er sich daher aufs Atmosphärische und bemängelt bei aller grundsätzlichen Würdigung der Integrität seines Gesprächspartners dessen kalt-eitle Intelligenz (er drückt es nicht so hart aus) und mangelnde Empathie. Was eben diese Empathie in einem Sachbuch zu suchen hat, führt er nicht aus, und wohin eben dieselbe bei seinen eigenen glasklaren Analysen der migrantischen Parallelgesellschaften entschwunden ist, bleibt auch im Unklaren. Doch Buschkowsky verlässt das Gespräch mit Sarrazin mit hoch erhobenem Haupt und gesundem Selbstbewusstsein, da er nicht dem Chor der (G)Eiferer beigetreten ist sondern ihm sachlich-fachliche Anerkennung gezollt hat.

In einem längeren Kapitel beschreibt Buschkowsky die Strategien und Maßnahmen anderer europäischer Großstädte mit ähnlichen Problemen, etwa Rotterdam, Glasgow, London oder Oslo. Der Austausch erfolgte in einem Projekt der EU, das laut Buschkowsky jedoch nur beschönigende Erklärungen und Absichten kundtat und den Austausch der Delegationen über die hier beschriebenen Probleme nach Kräften zu verhindern versuchte. Erst nach längerem Insistieren und deutlichen Protesten durfte die Neuköllner Delegation ihre Sicht der Dinge im Rahmen des Projektes veröffentlichen. Der dann – auf jeweils eigene Initiative! – erfolgte Austauch mit den anderen Delegation brachte viel Erhellendes über die Fortschritte in anderen Ländern ans Licht. Kurz gefasst kann man sie als die enge Kopplung der jeweiligen Sozialtransfers an konkrete Gegenleistungen beschreiben: Sozialleistungen nur, wenn die Kinder in der Schule oder Kita erscheinen!
Bei diesen Vergleichen kommen die unterschiedlichsten Ausprägungen von Migrantenproblemen zur Sprache, was meistens an den unterschiedlichen Ethnien liegt. Für Buschkowky und seine Mitarbeiter bot sich hier ein weites Feld neuer Erkenntnisse, die jedoch meist sein „Bauchgefühl“ bestätigten.

Ähnlich wie Sarrazin schlägt Buschkowky in einem eigenen Kapitel auch mit dem „Demographiehammer“ zu. Hier betrachtet er jedoch weniger die unterschiedlichen Geburtsraten bei Deutschen und Migranten sondern betont, dass angesichts der allgemeinen demographischen Entwicklung jeder junge Mensch gebraucht werde und man es sich nicht leisten könne, zehn- oder gar hunderttausende junger Menschen ohne Bildung und Berufschancen ins Leben und die Sozialsysteme zu entlassen.

In weiteren Kapitel geht er auf die Gesetze ein, die in der Parallelgesellschaft gar nicht oder nur nach Interessenlage geachtet würden, auf die Kindertagesstätten, die für alle Migrantenkinder zur Pflicht werden müssten (siehe Kopplung an Sozialtransfers), und schließlich die Schulen, die vom Kampfplatz für Jungmachos wieder zur Stätte der Bildung umgewandelt werden müssten.

Alle diese Ausführungen belegt er mit vielen – meist deprimierenden – Zahlen sowie vielen Einzelbeispielen, die dem spröden Zahlenmaterial erschreckendes Leben einflössen. Hier unterscheidet er sich am meisten von Thilo Sarrazin, dessen Domäne tatsächlich die Zahlen und deren Analyse sind. Buschkowsky will nicht in Zahlen wühlen, er sucht immer das konkrete Beispiel, wenn möglich auch das positive. Doch von denen gibt es leider nicht so viele in Neukölln. In dem langen Kapitel „Das System Neukölln“ führt er noch einmal alle Struktur- und Gesellschaftsprobleme in diesem Bezirk zusammen und entwickelt daraus Strategien, wie Abhilfe zu schaffen sei. Überall dort, wo er als Bürgernmeister und seine unmttelbaren Mitstreiter Dinge umsetzen können, kann er auf erste Erfolge verweisen. Doch reichen diese noch lange nicht aus, um das herrschende System aufzubrechen, auch wenn gutmenschelnde Politiker diese kleinen Fortschritte sofort wieder als „Durchbrüche“ verkünden und damit die Sollbruchstellen zukleistern.

Buschkowsky ist hier ein so engagiertes wie erschreckendes Buch gelungen. Er ist nicht der Theoretiker wie Sarrazin, der fern der (a)sozialen Basis – durchaus nicht falsche – Schlüsse zieht, sondern er ist der Praktiker, der hier und jetzt Veränderungen will und sie auch gegen seine eigenen Parateigenossen vertritt und durchzusetzen versucht. Das hat ihm dort bereits den Ruf des nicht ernst zu nehmenden „Spinners“ eingebracht, weil es einfacher und taktisch klüger ist, einen unbequemen Kopf zu verspotten als ihn zu bekämpfen. Buschkowksy weiß das und nutzt diesen Freiraum des „Hofnarren“, um weiterhin die Wahrheit zu sagen und die Finger in die mehr als zehn Wunden zu legen. Hoffen wir, dass man ihn noch möglichst langte so reden und handeln lässt.

Das Buch „Neukölln ist überall“ ist im Ullstein-Verlag unter der ISBN 978-3-550-08011-1 erschienen, umfasst 397 Seiten und kostet 19,99 €.

Frank Raudszus

 

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