Emily Brontë: „Sturmhöhe“

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1303_sturmhoehe.jpg Ein englisches Familiendrama aus dem späten 18. Jahrhundert

Emily Brontë ist eine von drei schreibenden Schwestern, die im 19. Jahrhundert die englische Gesellschaft des viktorianischen Zeitalters beschrieben. Aus Standesgründen – damals war es für eine Frau unschicklich, sich in der Öffentlichkeit als Schriftstellerin zu exponieren – schrieben sie unter männlichen Pseudonymen. Emily schrieb nur einen Roman, den hier vorgestellten „Sturmhöhe“, englisch „Wuthering Heights“.
In diesem Roman geht es um zwei benachbarten Familien im stürmischen Yorkshire. Die Earnshaws leben mit ihren Kindern Catherine und Hindley in dem eher rustikalen Wuthering Heights, während die Lintons mit ihren Kindern Edgar und Isabelle das nahe gelegene, vornehme Thrushcross Grange bewohnen. Als der alte Ernshaw eines Tages das Findelkind Heathcliff in den Straßen Liverpools aufliest und mit nach Hause nimmt, beginnt die Tragödie. Während sich der kleine Heathcliff sofort mit seiner Stiefschwester Catherine versteht und mit ihr durch dick und dünn geht, verfolgt ihn Hindley vom ersten Tag an mit seiner dünkelhaften Eifersucht. Als Catherine ins heiratsfähige Alter kommt, nimmt sie den Heiratsantrag von Edgar Linton an, obwohl sie insgeheim Heathcliff liebt. Daraufhin verlässt dieser wutenbrannt den Gutshof und lässt sich nicht mehr blicken. Auch Hindley heiratet, doch seine Frau stirbt früh und lässt ihn mit dem kleinen Hareton allein zurück. Hindley verfällt dem Spiel und dem Alkohol und ruiniert sein Gut binnen weniger Jahre. Da kehrt Heatcliff zurück, mittlerweile wohlhabend geworden, und versucht noch einmal, Catherine aus ihrer Ehe zu lösen. Diese jedoch ist bereits schwanger und möchte ihn nur als Freund behalten. Enttäuscht und voller Rachegedanken heiratet Heathcliff erst Edgars Schwester Isabelle und misshandelt sie, dann ruiniert er zielstrebig Catherines trunksüchtigen Bruder Hindley und übernimmt nach dessen alkoholbedingtem Tod den Gutshof sowie den Sohn, den er als Knecht einsetzt. Inzwischen ist Catherine im Kindbett gestorben und hinterlässt die kleine Catherine, während die schwangere Isabelle es an Heathcliffs Seite nicht mehr ausgehalten hat und nach London geflohen ist.
Zwischen beiden nur noch von Männern und ihren Kindern bewohnten Häusern herrscht jetzt hasserfüllte Stille, und der nächste Schub erfolgt erst, als Isabelle ebenfalls stirbt und ihr kränklicher Sohn Linton zu seinem Vater nach Wuthering Heights zieht. Als Edgar erkrankt, nutzt Heathcliff die Chance und führt seinen Sohn mit der sechzehnjährigen Catherine zusammen, um sie zwangsweise zu verheiraten. Das würde ihm nach Edgars Tod aufgrund der Erbfolge den endgültigen Zugriff auf beide Anwesen geben. Nach Edgars zu erwartendem Tod stirbt auch bald Heathcliffs eigener kränkelnder Sohn, und Heathcliff hat all seine Rachegelüste befriedigt. Doch auf diesem Höhepunkt wird er sich der Schalheit und Niederträchtigkeit seines Lebens bewusst und setzt der beginnennden Liebe zwischen Catherine und Hareton,. dem Sohn des gehassten Hindley, nichts mehr entgegen, sondern stirbt selbst aus einem inneren Lebensüberdruss.
Man sieht aus dieser Handlung, dass an der Gesellschaftskritik, die dem Roman gerne angedichtet wird, nicht viel dran ist. Vielmehr geht es hier um ganz persönliche Gefühle wie Liebe, Eifersucht und Rache. Dass Catherine den ungeliebten Edgar heiratet, ist weniger als Kritik an der englischen Gesellschaft denn vielmehr als ganz persönliche Präferenz der jungen Frau zu verstehen. Denn weder Edgar noch seine Eltern, die Lintons, werden durchaus nicht als dünkelhafte, ausbeuterische Adlige sondern als eher verständnisvolle und honorige Menschen beschrieben. Auch Heathcliffs Ausgrenzung als „Zigeunerkind“ wird nicht als gesellschaftliche Schuld gebrandmarkt sondern lediglich an die Person Hindley gebunden. Alle anderen mögen ihn und gehen gut mit ihm um, und er verlässt Wuthering Heights nicht aus Protest gegen seine Diskriminierung sondern aus verschmähter Liebe. Auch seine Rachegelüste sind nicht gesellschaftlich bedingt sondern sollen nur die narzisstische Kränkung kompensieren. Man kann sich also in diesem Roman von einer Gefühlsaufwallung zur nächsten weiterhangeln und sich ansonsten in der englischen Oberschicht der Gutsbesitzer recht gut einrichten. Offensichtllich hegte die Autorin gegen diese Oberschicht keine republikanischen Ressentiments oder gar klassenkämpferische Ideologien, sondern fand es einfach attraktiver, über solche Menschen als über die damalige Unterschicht der Tagelöhner und wirklich Ausgebeuteten zu schreiben.
Emily Brontë hat ihren Roman in eine Rahmenhandlung eingepasst, die nach all diesen Ereignissen spielt. Der wohlhabende junger Städter Lockwood hat das Anwesen Thrushcross Grange erworben und lernt bei einem kurzen Aufenthalt in den alten Gemäuern die Bedienstete Nelly kennen, die ihm an einigen Abenden die ganze Geschichte der verfeindeten Häuser erzählt. Sein anfänglicher nächtlicher Albtraum, in dem eine junge Frau sich verzweifelt an ihn klammert, weckt beim Zuhörer Erwartungen okkultistischer Gruselgeschichten, wird jedoch inhaltlich nicht weiterverfolgt.
Der Roman könnte durchaus eine solide Unterhaltung ohne hohen literarischen oder gar gesellschaftlichen Anspruch bieten, wenn die Dialoge und die darstellerischen Leistungen besser wären. Doch das Drehbuch strotzt – vor allem bei den jugendlichen Rollen – vor papierenen Dialogen. Das fängt bei der grammatisch korrekten Schriftsprache an und hört bei den vermeintlich authentischen, in Wirklichkeit aber nur aufgesetzt-gedrechselten Redewendungen noch nicht auf. So reden vor allem junge Menschen nicht miteinander, sondern höchsten Geisteswissenschaftler auf einer Fachveranstaltung. Zeitweise entwickeln diese gestelzten Dialoge sogar einen unfreiwilligen Humor. Die Schauspieler passen sich diesen Dialogen schnell an und sagen sie mehr auf als dass sie sie spielen. Etwas besser ist es bei den Erwachsenenrollen, die zumindest ihre Befindlichkeiten und großen Gefühle sowohl bei der Ausgestaltung der Dialoge als auch bei der Interpretation etwas glaubwürdig artikulieren. Besonders lebensnah sind diese Dialoge jedoch auch nicht immer. Es bleibt stets der Eindruck, dass hier Schauspieler Rollen spielen. Den Kern der handelnden und leidenden Menschen sieht man nie, weil die Figuren schon im Roman zu schematisch angelegt sind. Das Drehbuch müsste schon die Handlung ziemlich ändern, um hier wahres Leben hineinzuzbringen. Symptomatisch an diesem Hörbuch ist, dass die Rollen der beiden Rahmenfiguren – der junge Lockwood und Nelly – noch am glaubwürdigsten und natürlichsten erscheinen.
Als Fazit ergibt sich, dass man bei der Umsetzung solcher Romane wie „Sturmhöhe“ wesentlich mehr Sorgfalt in die Ausgestaltung der Figuren und des Drehbuchs investieren muss, da die Romane zur heutigen Zeit wenig oder keinen Bezug mehr haben und daher aus ihren Figuren Leben und Authentizität ziehen müssen.
Das Hörbuch umfasst zwei CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 169 Minuten, ist im Hörverlag unter der ISBN 978-3-86717-931-7 erschienen und kostet 19,99 Euro.

Frank Raudszus

 

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