Im 6. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt kommen neben Tschaikowsky Schweizer Komponisten zu Wort

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Komponist Werner Bärtschi
Filigrane Kunst zwischen eidgenössischer Bodenständigkeit

Im 6. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt kommen neben Tschaikowsky Schweizer Komponisten zu Wort
In der letztjährigen Vorstellung der laufenden Saison hatte GMD Martin Lukas Meister angekündigt, verstärkt seine Schweizer Heimat  musikalisches Gehör zu verschaffen. Dieses Versprechen löste er im 6. Sinfoniekonzert ein weiteres Mal ein: neben dem Zeitgenossen Werner Bärtschi stellte er auch den weniger bekannten Schweizer Komponisten Hans Huber  (1852-1921) mit seiner 7. Sinfonie vor. Für die Internationalität des Programms sorgte dann Peter Tschaukowsky, dessen Violinkonzert im Zentrum des Konzerts stand.

Der Geiger Wilken RanckIm Programmheft hatte Werner Bärtschi, Jahrgang 1950, selbst Stellung genommen zu seiner Musik und speziell zu der Komposition  „Die Majestät der Alpen“, und darin auf das Wesen der Zeit verwiesen, das er in diesem Stück zu vertonen versucht habe. Nun ist Zeit nur definiert durch diskrete Ereignisse, die für eine Struktur der Abläufe sorgen und erst den Eindruck der vergehenden Zeit schaffen. Genau wie ein Raum ohne Materiekonzentrationen nicht denkbar ist, kann man sich auch die Zeit ohne Ereignisse nicht vorstellen. Bärtschi versinnbildlicht diese Erkenntnis in seinerm Stück dadurch, dass er ihm über weite Strecken eine gleichförmige, fast monotone Struktur in den Streichern unterlegt, die äußerst fein – wie der Sand in der Eieruhr – über lange Strecken einfach präsent ist. Darüber baut er in verschiedenen Instrumentengruppen eigene Klangflächen und – türme auf, die der ablaufenden Zeit der Streicher Kontur verleihen. Der Beginn verläuft dagegen – frei nach der Urknall-Theorie der Kosmologie – bewusst chaotisch: das Schlagzeug beginnt in völlig freier Metrik, dazu treten kurze, extreme Klangbilder, wobei die Streicher gegen die Bläser antreten. Erst langsam bildet sich der feine Teppich der Streicherklänge, unterbrochen durch anfangs einzelne Töne und kürzeste Motive des Klaviers, des Schlagzeugs und der Flöten. Das feine Sirren der Streicher jedoch dringt immer wieder durch die verschiedenen Klangflächen und symbolisiert damit das gleichmäßige, allem gegenüber gleichgültige Voranschreiten der Zeit. Auch die größten Klangereignisse müssen einmal verklingen, vor allem die extremen, expressiven, und nur das unerbittliche Verstreichen macht sich im Hintergrund immer wieder bemerkbar. Der Titel dieses Stücks ist nicht als Programm misszuverstehen, denn Bärtschi beschreibt mit seiner Musik nicht die Alpen, wie es etwa Richard Strauss in seiner „Alpensinfonie“ versucht; nein, Bärtschi betrachtet die „Majestät der Alpen“ nur als Symbol für das Immergültige, Beständige, scheinbar Zeitlose – eben das Vergehen der Zeit.

Komponist Hans HuberDas Orchester intonierte diese Klangflächen mit hoher Präzision und mit einer ausgewogenen Verteilung auf die einzelnen Instrumentengruppen. Martin Lukas Meister stand selbst am Pult und entlockte dem Orchester erstaunliche Klänge, die vor allem durch den Kontrast zwischen den zeitlos schwirrenden Streichern und den darüber kräftig intonierenden anderen Instrumenten eine besondere Faszination ausübten.

Nachdem auch dieses Stück der unerbittlichen Zeit zum Opfer gefallen war, kam mit Peter Tschaikowskys Violinkonzert in D-Dur, op. 35, ein Stück zur Aufführung, das die Zeit eher naiv, das heißt in hoch-romantischer Art und Weise, füllt. Tschaikowsky hat im Jahr 1878 mit seinem einzigen Violinkonzert ein „Bravourstück“ geschrieben, dass nicht nur bis heute fester Bestandteil des klassischen Repertoires, sondern auch Pflichtübung für jeden Violinsolisten ist. Für die Solo-Partie hatte sich das Staatstheater auf die bereits einige Male geübte Praxis besonnen, einem Musiker aus den eigenen Reihen zu vertrauen und ihm die Chance zu einem Solo-Auftritt zu geben. Wilken Ranck ist seit 1999 erster Konzertmeister am Staatstheater Darmstadt und dem Publikum als „erster Geiger“ bekannt. Dieses Mal durfte er sich jedoch vor seinen Kollegen postieren und den gesamten Solopart alleine präsentieren.

Den ersten Satz – „Allegro moderato“ – nahmen Meister und Ranck verhalten, mit fast lyrischem Beginn. Wilken Ranck bestach durch eine außerordentlich sensible Intonation, die weniger die Virtuosität als den musikalisch-emotionalen Ausdruck betonte. Über Strecken trat das Orchester in den Hintergrund und überließ der Solo-Violine die Bühne, und erst im langen Zwischenspiel des Orchesters erhielt dieses die Möglichkeit, ein Gegengewicht zum Soloinstrument zu bilden, was Lukas Meister mit viel Aufmerksamkeit für die Metrik und die Klangfarben der einzelnen Instrumenten geschickt nutzte. Der Kadenz verlieh Wilken Ranck durch Virtuosität und musikalischen Ausdruck eine ausgeprägte Kontur und damit dem Stück zusätzliche Würze und Gehalt.
Den zweiten Satz ging Ranck sehr zart an und hielt diesen lyrischen Duktus bis zum Schluss des Satzes durch, als die Holzbläser einen großen Spannungsbogen für den „attacca“-Übergang zum Finalsatz aufbauten. In diesem mit „allegro vivacissimo“ überschriebenen Satz zeigte Wilken Rank sein ganzes technisches Können auf der Violine und brillierte mit schnellen Läufen, die jedoch nie an Präzision und Ausdruckskraft verloren. In diesem Satz dominierte das Soloinstrument noch einmal deutlich das musikalische Geschehen einschließlich des lyrischen Zwischenspiel, das vor dem feurigen Finale noch einmal Einhalt gebietet.
Wilken Ranck erntete für diesen Soloauftritt begeisterten Beifall des Publikums, und das sicher nicht aus reinem Lokalpatriotismus sondern wegen einer wirkllich bestechenden Leistung.

Nach der Pause kam Hans Hubers 7. Sinfonie in d-Moll zur Aufführung. Das Werk entstand bereits im Jahr 1917, kam jedoch erst zehn Jahre später zur Uraufführung. Angesichts der Entstehungszeit mutet die Komposition fast ein wenig antiqiert an, da zu diesem Zeitpunkt Gustav Mahler und Brahms bereits gestorben waren und Komponisten wie Arnold Schönberg, Alban Berg und Igor Strawinsky den Ton angaben. Hubers Sinfonie jedoch weckt starke Assoziationen an Johannes Brahms. Ähnlich diesem Vorbild liebt Huber lange ausschweifenden Motive und gesättigte Harmonien. Die Metrik ist eher getragen und herkömmlich. Doch innerhalb dieser harmonischen und thematischen Schule bietet die 7. Sinfonie Erstaunliches. Huber lässt die Zeit der großen romantischen Sinfonie noch einmal aufleben, und neben den unüberhörbaren Anklängen an Brahms hört man in einigen Wendungen auch die gesteigerte Sehnsucht eines Gustav Mahlers oder die raffinierten Klangbildungen von Richard Strauss heraus. Doch das sind keine bloßen Nachahmungen, sondern Huber hat mit dieser Sinfonie ein durchaus eigenständiges, umfassendes Werk geschaffen, das zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. In vier durchaus unterschiedlichen Sätzen mit je eigener Kontur gibt Hans Huber seinen Eindruck der Schweizer Bergwelt wieder. Der erste Satz („“Auf den Bergen“) lebt von seinen weit geschwungenen Themen, einigen choralartigen Passagen und von den durch das Orchester wandernden Motivgruppen. Hier findet man auch die deutlichsten Anklänge an Brahms und Mahler. Der zweite Satz („Ländlicher Hochzeitszug“) besticht durch seine tänzerische Leichtigkeit und die Transparenz gerade zu Beginn, dann durch eine fast schwermütige Passage, die wiederum von einem burlesken Tanz abgelöst wird. Der dritte Satz ist mit „Abendstimmung in den Bergen“ überschrieben und betont die melancholische Abschiedsstimmung bei Sonnenuntergang, wobei die Holzbläser verstärkt zum Einsatz kommen und dabei vor allem die Flöten mit einem Doppel-Solo. Auch dieser Satz erinnert immer wieder an Johannes Brahms.  Der letzte Satz – „Finale“ – beginnt mit einer Fanfare und geht dann in tänzerische Passagen über, die jedoch im Gegensatz zum zweiten Satz eher markanter und etwas burlesker sind.

Wenn der letzte Akkord dieser Sinfonie verklungen ist, fragt man sich, warum man diesen Komponisten und seine Werke nicht schon früher gekannt hat. Sie mögen zwar selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, bergen jedoch viel sorgfältig aufbereitetes musikalisches Material in sich und bilden sozusagen den Abschluss einer großen und langen Epoche, der Hochromantik. Hans Hubers 7. Sinfonie braucht trotz einiger musikalischer Leerstellen und Längen – bisweilen kehrt rhythmische und thematische EIntönigkeit ein – den Vergleich mit den Sinfonien von Johannes Brahms nicht zu scheuen.

Martin Lukas Meister hatte dieses Stück offensichtlich mit besonderer Liebe und Aufmerksamkeit für das Detail erarbeitet, und das Orchester folgte ihm an diesem Morgen mit wacher Aufmerksamkeit, hoher Präzision und hoher Spielfreude. Man spürte, dass es den Musikern Freude bereitete, einmal ein eher unbekanntes Stück der Vergessenheit zu entreißen und dem Publikum auf denkbar beste Weise zu präsentieren.

Das Publikum erkannte das an und bedankte sich bei Dirigent und Orchester mit lang anhaltendem Beifall.

Frank Raudszus

 

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