Das 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt Madrigale des frühen Barocks auf völlig neue Art

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Frühbarockes Volksfest in Darmstadt  

Das 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt Madrigale des frühen Barocks auf völlig neue Art
Madrigale kennt man vornehmlich als strenge mehrstimmige Chorwerke, vorzugsweise schwermütigen Inhalts – verschmähte Liebe und der Tod. Dass es auch eine andere Art von Madrigalen gibt, bewies das 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt, das die italienische Gruppe „L´Arpeggiata“ nach Darmstadt eingeladen hatte. Diese Gruppe hat sich darauf spezialisiert, frühbarocke Madrigale mit Instrumentalbegleitung vorzutragen. Dazu hat man die alten Instrumente wieder belebt, so den Zink, ein Blasinstrument zwischen Flöte und Trompete, dessen ganz eigene Klangfarbe zu seinem Aussehen passt. Das Psalterion ist ein Saitenintrument, das wie ein Xylophon mit Klöppeln gespielt wird, und die Theorbe ein Lauteninstrument, das im 17. Jahrhundert in Mode kam. Dazu kommen bei „L´Arpeggiata“ noch Cembalo bzw. Orgel, Kontrabass und Perkussion, worunter man diverse kleinere Handtrommeln zu verstehen hat.

„Ein Konzert“ von Lorenzo Costa, um 1500

Diese sechs Instrumente stellen bereits ein ausdrucksstarkes kammermusikalisches Orchester dar, das einen Abend durchaus allein bestreiten kann. Doch den eigentlichen Schliff geben dieser – unter der Leitung von Christina Pluhar stehenden – Gruppe die Gesangskräfte: die Sopranistin Raquel Anduezza und Vincenzo Capezzuto, von Haus aus Tänzer und mit einer Stimme gesegnet, die man als Laie im ersten Moment für einen Countertenor halten würde. Da er jedoch als normaler Sänger geführt wird, scheint ihm dieses ausgeprochen helle Timbre angeboren zu sein. Als Abrundung tritt im Programm der Gruppe noch die Tänzerin Anna Dego auf, die dem Konzert durch ihre gekonnten tänzerischen Einlagen den Eindruck eines ausgelassenen frühbarocken Stadtfestes verleiht. Es fehlt nur der in Strömen fließende Rotwein, doch auch ohne ihn kam an diesem Abend frohe Feierstimmung auf – auf der Bühne wie im Zuschauerraum.

Claudio Monteverdi
Das Programm selbst stützte sich auf die Klassiker des Madrigals ab. Dazu gehört vor allem , der als Meister des Madrigal gilt, die Musik seiner Zeit modernisierte – und dafür nicht nur Lob erntete – und sogar mehrere Opern schrieb. Neben Werken aus seiner Feder standen Kompositionen von Barbara Strozzi, der einzigen Frau unter den Komponisten dieser Zeit, Maurizio Cazzati, Andrea Falconieri, Benedetto Ferrari, Antonio Bertali, Lorenzo Allegri, Domenico Maria Melli, Giovanni Antonio Pandolfo Mealli und Giovanni Felice Sances auf dem Programm. Dieser durchaus heterogenen Sammlung ist eines gemeinsam: es handelt sich stets um Lieder für ein oder zwei Personen, bei der nicht der komplizierte Stimmensatz sondern die liedhafte Interpretation im Vordergrund stehen. Auch die Duette von Raquel Andueza und Vincenzo Capezzuto sind eher im Stil leichter Volksopern denn als strenge mehrstimmige Lieder komponiert.

Der Inhalt der Madrigale dreht sich vornehmlich um zwei Themen: die – meist verschmähte – Liebe und der Tod. Aus unglücklicher Liebe lässt sich musikalisch und dramatisch natürlich mehr machen als aus ihrer glücklichen Schwester, und so mancher Komponist dürfte sich dabei auch sein eigenes Liebesleid vom Herzen geschrieben haben. Der Tod war ebenfalls ein naheliegendes Thema, weil die große Pestwelle noch nicht vergessen war und immer noch Nachzügler zeitigte. Andrea Falconieri starb selbst im Jahr 1656 an dieser schrecklichen Krankheit.
Barbara Strozzi (um 1630)
Die Gruppe hatte sich glücklicherweise gegen eine Pause entschieden und trug das Programm in einem Guss vor. Um nicht zu oft von spontanem Applaus unterbrochen zu werden, setzte ein Stück nahtlos an das vorhergehende an. In die ausklingenden letzten Takte eines Madrigals schoben sich bereits die einleitenden Takte des nächsten ein, meist vorgetragen von der Theorbe. Dadurch entwickelte sich eine dichte musikalische Atmosphäre, die das Publikum zunehmend in die Stimmung des 17. Jahrhunderts versetzte: der leicht klagende Ton des Zinks, die mal lustig, mal elegisch aufspielende Geige, die Melodielinie der Theorbe oder die Basslinie des Kontrabasses, die verhaltenen Akkorde des Cembalos und vor allem die rhythmische Komponente der Perkussionsintrumente. Dazu intonierten Raquel Andueza und Vincenzo Capezzuto ihre mal klagenden, mal humorvollen Lieder, denn auch von letzteren gab es einige. Wein, Weib und Gesang durften auch im drangsalierten Barock mit deftigen Liedern besungen werden.

Die Instrumentalmusik vermittelte oft einen erstaunlich modernen Eindruck. Wenn die einzelnen Instrumente zur zurückgenommenen Begleitung der anderen ein Solo anstimmten, weckte dies streckenweise deutliche Assoziationen an den Jazz des späten 20. Jahrhunderts, und das galt vor allem für den Rhythmus, der zeitweise richtiggehend „groovige“ Züge annahm. Dabei entstand nie der Eindruck, dass hier Jazzmusiker barocke Musik „usurpierten“, sondern man konnte sich gut vorstellen, dass damals bei Stadtfesten die Bürger tatsächlich ausgelassen zu dieser Musik tanzten, wie es Anna Dego denn auch ausgiebig tat. Man konnte sie sich gut als Zigeunerin des 17. Jahrhunderts vorstellen, die sich auf solchen Festen ein paar Münzen verdiente. Da Zigeuner sowieso am unteren Ende der sozialen Skala standen, konnten sie selbst durch öffentlichen Tanz nichts mehr verlieren. Höheren Ständen war so etwas natürlich nicht erlaubt. Da erlaubte es sich Anna Dego auch, bei einem Tanz einen Besucher aus der ersten Reihe des Parketts zum gemeinsamen Tanz auf die Bühne zu holen.

Auch die Madrigale selbst erinnerten streckenweise an italienische Volksmusik, die im letzten Jahrhundert zu marktgängigen Schlagern umgearbeitet wurden. Durch den barocken Stil drang immer wieder eine einfache Emotionalität, die – absolut zeitlos – die hoffnungsvolle Liebe bejubelte und die verlorene beklagte. Auch hier jedoch waren es nur schwache Assoziationen, die sich aus dem musikalischen Material ergaben, und keine billigen Verballhornungen barocker Musik.

Je weiter der Abend voranschritt, desto temperamentvoller wurden die Lieder und ihre Darbietung. Man muss sich das so vorstellen, dass bei einem Volksfest anfangs noch traurige Gedanken in den Köpfen hängen, sei es wegen Liebeskummer, sei es wegen des Todes geliebter Angehöriger. Mit fortschreitendem Genuss von Wein und Musik jedoch werden die Lieder lustiger und lebensfroher, und die Musiker entwickeln immer mehr Witz. So auch bei diesem – natürlich durchgeplanten – Konzert. Die Instrumentalsoli wurden nicht nur ausgefallener, sondern die Musiker bauten auch rhythmische oder melodische Überraschungen mit witzigen Effekten ein und schienen sich über ihre Einfälle mindestens ebenso zu freuen wie das Publikum. Dass am Ende dann ein „Stabat mater“ und ein „Laudate Dominum“ standen, wirkte überhaupt nicht religiös sondern eher wie ein Jubelschrei zum Schluss eines gelungenen Festes.

So sah es auch das Publikum an diesem Abend. Es geizte nicht mit kräftigem, spontanem Szenenapplaus in den dafür vorgesehenen kleinen Pausen und bedachte das Ensemble zum Schluss mit einem geradezu begeistertem Schlussapplaus, der die Musiker noch zu zewi Zugaben herausforderte, in dem sie noch einmal vor allem ihren Witz zeigten.

Frank Raudszus 

 

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