Das neue Programm des „Chamäleon“-Varietés im Berlin Mitte, Hackische Höfe

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Foto von Frank Wilde

Dummy Varieté 2.0  

Das neue Programm des „Chamäleon“-Varietés im Berlin Mitte, Hackesche Höfe
Dummy – eine Symbiose humorvoller Akrobatikkunst und einmaligen Lichtzaubers mit der Würze überraschender Skurrilität und einer Idee von Erotik. Die Intensität an Ideenreichtum in akrobatischer Hinsicht gepaart mit Slapstick und pantomimisch heiteren Elementen vereint sich aus Zuschauersicht in einem herrlich kurzweiligen Allegretto. Glücklicherweise bietet die mittige Pause eine Chance, die dichten optischen und gefühlsreichen Eindrücke einwirken zu lassen und das Erlebte nochmals reflektiv zu erfassen.

Foto von Ralf Mohr Noch bis zum 21. Juli dieses Jahres lädt das Chamäleon Theater in den Hackeschen Höfen Berlin Mittes zu „Dummy – Varieté 2.0!“ ein. Schon beim Eintreten in das Theater zeigt sich der besondere Berliner Charme von seiner schönsten Seite – unerwartet luftig und dennoch historisch original präsentiert sich der Varieté-Saal. In kleinen Ensembles sind Stühle und Tische arrangiert, herzlich dazu einladend schon recht frühzeitig einzutreten und sich an der kleinen Leckereien für die erwartete Körperkunst zu stärken. Meine Auswahl fiel auf die Antipastivariation und ein Glas fruchtig trockenen Zweigelt – es konnte losgehen!

Ein Licht-Stakkato löscht alle akuten Erwartungen an den ersten Akt und storniert die letzten Gedanken, die den Gästen bei Betreten des Saales wohl noch anhafteten. Kurzzeitige Verwirrung wird durch ein befreiendes Gefühl abgelöst – im Klang weicher Musik und Gesang schweben die Akrobatikkünstler auf die Bühne. Das schliche Bühnenbild, dominiert durch eine variable Hebe- und Senkschräge, lässt die Aufmerksamkeit fast vollständig auf den darbietenden Künstlerinnen und Künstlern verweilen. Es folgt ein Reigen aus einzelartistischer Performance und Paartänzen, und schon früh offenbaren sich die ersten Teile des Dummy als Namensgeber der Darbietung. In einem Akt schweben an einem 8-seiligen Karussell ausschließlich Dummy-Arme – die Skurrilität beschreitet ihren ersten Gang.

Kaum begreift die Zuschauerschaft das seltsame und doch schöne Schauspiel, und es vermag den Widerspruch von schwebenden Körperteilen und wahrlich traumhafter Gesangsuntermalung kaum zu entschlüsseln. Das Spiel löst sich so plötzlich auf wie es begann. Nahezu übergangsfrei erscheint die folgende Szene, als sei es grundlegende Methodik für diese Kunstform. Die weiße Schräge wird in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt – darüber eine Leinwand, welche dasselbe aus zweiter Perspektive beleuchtet. Der Slapstick-Effekt besteht hierbei in der köstlich amüsanten Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit der Aktion auf der Schräge und dem virtuellen Abbild auf der Leinwand.

Es folgen kleine Paarszenen, die wiederum elektrisierend mit Erotik und Skurrilität spielen und nebenbei einige humorvolle Akzenten setzten, die die Zuschauer mit herzlichem Lachen beantworten. Neben den komischen Pointen präsentiert sich hier aber ohne Frage auch in technischer Hinsicht ein exzellentes Akrobatikensemble mit meisterlichen Einzelleistungen. Teilweise sehr nüchtern und kühl fokussieren sich die Artisten auf ihr Handwerk, und die Zuschauer spiegeln Ihre Wahrnehmung auf körperlich ungewöhnliche Dehnbar- und Beweglichkeit mit leichten Zucken oder einem spontanen „oh nein“ wider.

Zuletzt bietet sich den bereits auch teilweise stark in Anspruch genommen Zuschauern noch ein fantastisches Lichterlebnis, das für den Laien deutlich über die Grenzen des technisch Nachvollziehbaren hinausgeht. Wie Schatten verfolgen Lichtumrisse die Darsteller in ihren katzenhaften Bewegungen. Es handelt sich dabei allerdings nicht um besonders fleißige Ausleuchter, sondern wohl um ein Geheimnis der Technik, welches tatsächlich die Bewegungen der Akrobaten erfasst und aktiv aufnimmt. Lassen Sie sich vor Ort überraschen, wie selbst diese gefühlte Lichtshow-Weltpremiere noch ein weiteres Level von „Aktenzeichen XY-Ungelöst“ erklimmt.Im Ergebnis eine herausragend innovative Varietéform, die Markus Pabst als Ideengeber und in seiner Position als Regisseur hier auf die Bühne bringt. Nicht zuletzt der Gedanke, leblose Dummies in ihrer jedoch sehr hohen Beweglichkeit mit echten Menschen in einer Symbiose zusammen auftreten und tanzen zu lassen, verdient das Ziehen des Hutes.                                

Dr. Malte Raudszus 

 

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