Herman Melville: „John Marr und andere Matrosen“

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Prosastücke und Geedichte rund um die Seefahrt

Herman Melville ist den meisten Lesern als Autor des berühmten Romans „Moby Dick“ bekannt, den sowohl Kinder als Abenteuerbuch wie auch Erwachsene als philosophische Lektüre schätzen. Insider kennen noch „Bartleby“ und „Billy Budd“, dann  jedoch schwindet der Bekanntheitsgrad der weiteren Werke. Nur wenige wissen, dass sich Melville auch an Gedichten versucht hat.

Das vorliegende Buch enthält ein Prosastück, das eher eine Betrachtung als eine Novelle darstellt, sowie eine Reihe von Gedichten, die alle mehr oder weniger die Themen Seefahrt und Seeleute zum Gegenstand haben. In einer einleitenden Zueignung widmet Melville das Buch dem Schriftsteller William Clark Russell, der damals als der bedeutendste „See-Autor“ galt. Die Ironie der Literaturgeschichte wollte es nicht nur, dass Russell seinen Landsmann ebenso wenn nicht höher einschätzte als der ihn, sondern auch, dass die Zeit über Russell hinweggegangen ist, Melville aber als einer der größten Autoren des 19. Jahrhunderts Nachruhm gewonnen hat.

In dem Prosastück „John Marr“ beschreibt Melville das Leben des Seemanns John Marr, der weit in der Welt herumkommt, sich dann aufs Land zurückzieht und eine Familie gründet. Als Frau und Kind früh sterben, sucht er einen Halt in der Gemeinde der einfachen Siedler irgendwo im Mittelwesten, doch diese verstehen in ihrer berufsbedingten Engstirnigkeit seine Erzählungen aus der Seefahrt nicht, und John Marr bleibt trotz der Nähe zu diesen Menschen allein. Melville geht es um die Unterschiedlichkeit der Lebensläufe und um die Unmöglichkiet der Kommunikation zwischen den rastlosen Seeleuten voller Erlebnisse und den schlichten „Landratten“. So lebt John Marr in der Erinnerung an seine Reisen, seine Schiffe und vor allem seine Gefährten auf See.

In den darauf folgenden Gedichten variiert Melville dieses Thema aus verschiedenen Perspektiven. Da ist der alte Seemann, der seiner Frau auf der Bank vor dem Haus von seinen Seeabenteuern erzählt. Sie hat die Geschichten schon wer weiß wie oft gehört und hört ihm doch wieder zu. Ein anderes Gedicht handelt von einem Schiff, dass einem Spanier Schätze und Waffen abgenommen hat und in der Hoffnung auf Reichtum nach Hause segelt. Doch die metallischen Schätze lenken den Kompass ab und lassen das Schiff in einer dunklen Nacht auf einen Felsen laufen.
Andere Gedichte handeln vom Krieg auf See, von den vielen gefallenen Seeleuten oder von der Züchtigung eines unbotmäßigen Seemanns. All diese Gedichte beruhen auf eigenen Erlebnissen Melvilles, der nicht nur auf normalen Handelsschiffen zur See gefahren ist sondern auch in der US-Navy gedient hat.
Die Gedichte entsprechen nicht unbedingt stets den Ansprüchen, die man an Gedichte dieser Zeit stellt. Der Reim stellt sich nur zeitweise und nicht nach festen – anerkannten – Mustern ein, und das Versmaß wechselt oft von Strophe zu Strophe. Man könnte diese Gedichte auch Prosa in Strophenform nennen, derart frei sind sie oftmals strukturiert. Das haben sie mit der heutigen Lyrik gemeinsam.

Eine Besonderheit dieses Bands ist, dass alle Texte außer in der Übersetzung von Alexander Pechmann auch im amerikanischen Urtext vorliegen. Für Sprachfreunde eröffnet das die Möglichkeit, die Übersetzung am Original zu messen oder aber gleich zu den Originalen zu wechseln. Das soll jedoch nicht heißen, dass die deutsche Version nicht ihren eigenen Wert hat.

Die knappen, oft nur aus wenigen Strichen bestehenden Illustrationen von Pascal Cloëtta verleihen dem Buch ein luftiges Flair und versuchen gar nicht erst, die Texte zu dominieren.

Das Buch „John Marr und andere Matrosen“ ist im mare-Verlag unter der ISBN 978-3-86648-149-7 erschienen, umfasst 184 Seiten und kostet 24 €.

Frank Raudszus

 

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