Liao Yiwu: „Vier Lehrmeister“

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1307_lehrmeister.jpg  Der Bericht eines Opfers der chinesischen Kulturrevolution

Der Autor dieses Hörbuchs wurde 1958 als Sohn eines Lehrers geboren; ein Jahr später setzten in China verschiedene  Naturkatastrophen ein, die zu einer Hungersnot mit bis zu 50 Millionen Toten führten. Als „Intellektueller“ wurde Liaos Vater zu Beginn der Kulturrevoplution im Jahr 1966 wegen Konterrevolution verhaftet und verlor seine Stelle. Liao wuchs danach in äußerster Armut auf. Seine Erfahrungen mit dieser Zeit hat Liao Yiwu in einem Hörspiel verarbeitet, in dem ein fiktiver Ich-Erzähler von seinen Erlebnissen erzählt. Heute lebt Liao Yiwu in Berlin.
Der Ich-Erzähler durchläuft verschiedene Stufen der Verfolgung und Unterdrückung. Daraus hat er die Erfahrung von vier „Lehrmeistern“ gemacht, die da sind: Der Hunger, die Ausgrenzung, die Obdachlosigkeit und das Gefängnis.
Während der Hungersnot arbeitet der Erzähler in einem Krematorium. Wurden früher täglich nur wenige Tote verbrannt, da die Feuerbestattung nur schwer gegen die alten Traditionen durchzusetzen war, werden die Leichen jetzt in täglich in Lastwagen herbeigekarrt und wegen der schieren Menge ohne jeliches Ritual verbrannt. Das Einsammeln der Verhungerten mussten damals schon Kader aus ehemaligen „Intellektuellen“ durchführen.
Den Hunger beschreibt Liao Yiwu in erschreckender Deutlichkeit am Beispiel der Hungersnot, die er selbst nur knapp überlebte. Die Ausgrenzung ist ein wesentlich subtilerer Lehrmeister, da nicht unmittelbar als physisches Leiden erfahrbar. Unter Mao konnte jeder von heute auf morgen zum „Konterrevolutionär“ werden, sei es, weil er „Intellektueller“, also etwa Lehrer, war, oder, weil er über Besitz verfügte – wie viele Bauern -, weil er Künstler war oder weil er sich in irgend einer Art kritisch äußerte. Oft reichte auch die bloße Denunziation. Die Ausgrenzung erfolgte nicht nur durch die Behörden und offiziellen Vertreter der Macht, sondern auch durch normale Bürger, die Angst hatten, durch den Kontakt zu Ausgegrenzten selbst zu solchen zu werden. Diese allgemeine, offene Ablehnung führte dazu, dass die auf diese Weise zu Volksfeinden deklarierten Menschen mangels irgendwelcher Fürsprecher sich selbst als minderwertig und zu Recht als ausgegrenzt fühlten.
Der nächste Lehrmeister war die Obdachlosigkeit, die natürlich wiederum mit der Ausgrenzung zusammenhing, da den ausgegrenzten Menschen natürlich auch kein Wohnraum zustand. Das Fehlen einer Bleibe und eines Ortes, an denen man hingehörte, nagte nicht nur physisch – Kälte, Hitze, Schlafmangel – an den Obdachlosen, sondern vor allem Psychisch.
Der letzte düstere Lehrmeister im Land Maos war das Gefängnis. Liao Yiwu zeigt das am Beispiel eines jungen Künstlers, der aus nichtigen Gründen ins Gefängnis kommt und dort beginnt, mit den Insassen über ihre Haft zu sprechen. Die Tatsache, dass niemand einen Grund für seine Inhaftierung zu nennen vermag, inspiriert ihn zum Schreiben, was ihm wiederum den Verdacht der konterrevolutionären Aktivitäten einbringt. Allein das Nachdenken über die Verhältnisse ist schon kriminell. Ihm gelingt zwar die Flucht, doch das ewige Verstecken und Leben im Geheimen bringt ihn irgendwann wieder ins Gefängnis.
Liao Yiwu stellt den deutschen Texten der einzelnen Episoden chinesische Texte voran, die er selbst spricht. Der Zuhörer muss sich – so er nicht des Chinesischen mächtig ist – etwas gedulden, bis jeweils der deutsche Text einsetzt. Außerdem fügt er chinessische Gesänge bei, in denen ein einzelner Mann seine ganze Not aus sich heraussingt. Man braucht diese Lieder nicht wörtlich zu verstehen, da die gesamte Aussage in der Stimme enthalten ist.
Erstaunlich ist, dass Liao niemals die chinesiche Obrigkeit oder gar die Politik Maos angreift. Er schildert das Leiden der Bevölkerung aus der Sicht eines einzelnen Menschen, der nichts von den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen versteht und nur mit dem eigenen Leid und dem seiner unmittelbaren Umgebung konfrontiert ist. Seine Protagonisten erleiden die Unterdrückung wie eine Natrukatastrophe, die man auch nicht verstehen kann. Das Hörspiel ist eher ein Hohelied auf die Leidensfähigkeit eines ganzen VOlkes als eine bittere Anklage gegen die Machthaber.
Das Hörbuch „Vier Lehrmeisterr“ ist bei Hörbuch Hamburg unter der ISBN 978-3-89903-393-3 erschienen, umfasst 1 CD mit einer Gesamtlaufzeit von 70 Minuten und kostet 14,99 €.

Frank Raudszus

 

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