Pablo Tusset: „Oxford 7“

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Ein kritisch-unterhaltsamer „Science Fiction“-Roman für den Strand

Der spanische Autor Pablo Tusset hat derzeit „einen Lauf“, wie man im Sport zu sagen pflegt. Seine zwei ersten Romane haben sich zu Bestsellern entwickelt, und da lag es nahe, sofort einen weiteren Roman nachzulegen, um die Gunst der Stunde zu nutzen.

Der vorliegende Roman spielt Ende des 21. oder Anfang des 22. Jahrhunderts; auf das Jahr genau lässt sich die Zeit nicht festlegen. Tusset traut den Naturwissenschaften aller Couleur allerhand zu, denn mittlerweile hat man die Lebenserwartung der Menschen nicht nur verdoppeln können sondern auch den Weltraum erobert und einen Großteil der auf dreihundert(!) Milliarden Menschen angewachsenen Weltbevölkerung auf riesige Weltraumstationen im Sonnesystem verteilt. In Anbetracht der bisherigen, sicher nicht zu verachtenden Erfolge der Weltraumtechnologie erscheint diese Vorausschau wahrlich utopisch.

Aber sei´s drum, schließlich handelt es sich um Science Fiction, und da ist – fast – alles erlaubt. Auf der Space Station „Oxford 7“ streiken die Studenten wie in den guten alten 60er Jahren des 20.Jahrhunderts. Grund sind die immer strengeren Überwachungsmaßnahmen und Regulierungen der Behörden. Zu dieser Zeit wird das Leben der Menschen längst bis ins intimste Detail reguliert. Wer in dieser Gesellschaft etwas erreichen will, muss sich einen Chip unter die Haut einpflanzen lassen, der seine medizinischen Daten laufend misst und an eine Zentrale weitermeldet. Das erscheint im ersten Moment durchaus sinnvoll, lassen sich doch akute Erkrankungen sozusagen „in statu nascendi“ entdecken und behandeln. Andererseits lässt sich jedoch eine ungesunde Lebensführung sofort auf die Krankenkassentarife abbilden und – viel gravierender – man kann jederzeit Ort und und emotionale Befindlichkeit (Zorn, Erregung, etc., etc.) jedes Bürgers ermitteln und bewerten. Es versteht sich von selbst, dass die Verantwortlichen in den Behörden diese Möglichkeiten nach allen Regeln der Kunst nutzen und kompromisslos durchgreifen, wenn ihnen die Chips Unregelmäßigkeiten gleich welcher Art melden.

Die Studenten begehren zwar gegen die Obrigkeit auf, haben aber letztlich gegen den Überwachungsstaat keine Chance. In dieser Situation lässt sich ein alter Professor, der noch das frühe 21. Jahrhundert gekannt und vor allem den großen, finalen Finanz-Crash im Jahr 2013 erlebt hat, die Chips von drei Stundenten übertragen, damit diese unentdeckt eine Reise in die Vergangenheit antreten können. Ziel dieser Reise ist Barcelona „on Earth“, wie der gute alte Heimatplanet heißt, wo sie einem weltweit gefürchteten Revolutionär belastendes Material über hohe Vertreter der lokalen Behörden auf „Oxford 7“ übergeben sollen. Den Transport der drei Studenten übernimmt ein etwas halbseidener Shuttle-Pilot namens Rick Blaine.

Bei diesem Rick Blaine setzt die zweite Ebene des Romans ein. Der alte Professor lehrt „präcomputerisierte Kinemotagraphie“, zu deutsch: Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sein Lieblingsfilm ist „Casablanca“, und wer sich in der Filmgeschichte ein wenig auskennt, wird auch den Namen „Rick Blaine“ bereits wiedererkannt haben. Der Autor spielt mit diesem Thema ausgiebig, wobei die Verbindung der Filmhistorie zur Handlung nicht unbedingt immer stringent ist.

Die Protagonisten auf „Oxford 7“ sind jedoch nicht die Studenten, sondern der alte Professor und seine Gegnerin, die knallharte Rektorin der Universität, die über nahezu dikatorische Vollmachten verfügt und diese kompromisslos im Sinne des Systems nutzt. Beide kennen und respektieren sich,  bekämpfen sich aber gnadenlos. Der Professor mit dem untergehenden Charme des 20. Jahrhunderts und seinen Resten an Spontaneität, Individualität und persönlicher Freiheit, die Rektorin mit den durchaus nicht von der Hand zu weisenden Anforderungen eines vollautomatisierten, klimatisierten und sozialiserten Massenbetriebs. Auch für den Leser wird schnell klar, dass eine persönliche Freiheit wie wir sie heute (noch) auf der Erde kennen, auf einer entfernten Raumstation mit ihren begrenzten Ressourcen kaum zu garantieren ist. Doch Tusset stellt diesen Widerspruch nicht in den Mittelpunkt seines Romans, sondern eher die etwas pfadfinderhafte Reise der drei Studenten. Zwar kommt es tatsächlich zu einem Gespräch zwischen dem Professor und der Rektorin, doch Tusset versäumt es, hieraus einen ersten Höhepunkt des Romans zu machen, und lässt die beiden eher gestanzte Weisheiten aus ihrer jeweiligen Welt von sich geben. Wenn man sieht, was Thomas Mann in den Figuren von Settembrini und Naphta aus dem Aufeinandertreffen zweier Weltanschauungen macht, weiß man, was Tusset fehlt.

Dank der Hilfe des schlitzohrigen Blaine gelangen die drei naiven Studenten – sie sind alle knapp unter vierzig – wider Erwarten nach Barcelona, und hier zeigt Tusset seine stärksten Seiten. Als Spanier und Katalane kennt er Barcelona natürlich wie seineWestentasche. In messerscharfer Ironie beschreibt er das Barcelona der nächsten Jahrhundertwende als vollständig durchorganisierte Marketingumgebung für „Barca“. Alles ist blau-rot gestreift, von den Gebäuden bis zu den Verkehrsmitteln, und die öffentlich freigehaltenen Gebiete werden weitgehend von „Barca“-Logos dominiert. Daneben gibt es jedoch die alten Stadtteile von Barcelona, wo die Nichtangepassten leben, die keine Chips unter der Haut tragen, keine Unterstützung erhalten und in Dreck, Anarchie und Kriminalität dahinvegetieren. Offensichtlich extrapoliert Tusset hier bereits bestehende Tendenzen ins Endzeitliche, fast Groteske. Die Beschreibung dieser abgetrennten und offiziell aufgegebenen Unterwelt nimmt geradezu apokalyptische Züge an und ist eine der stärksten Passagen dieses Romans.

Dass die drei Stundenten hier wieder heil herauskommen, haben sie letztlich Rick Blaine zu verdanken und natürlich dem Autor, der die despotische Uni-Rektorin plötzlich vom Saulus zum Paulus werden lässt. Dank des selbstlosen alten Professors, der für diese Aktion natürlich sein abgelebtes Leben dahingibt, läutert sich die Rektorin und nutzt ihrerseits ihre taktische Erfahrung, um die Studenten aus den Klauen des anarchistischen Blutsaugers zu retten.

Fazit: genau das richtige Buch für den Strand, wenn man sowieso ständig von spielenden Kindern und anderen Umständen bei der Lektüre unterbrochen wird, und das am Ende auch noch die Gerechtigkeit auf ganzer Linie siegen lässt. Ob die Handlung immer schlüssig ist, der Plot ausreichend glaubwürdig und repräsentativ ist und ob die zentralen Dialoge ein kontroverses Thema wirklich ausleuchten, spielt dann keine Rolle mehr.

Das Buch „Oxford 7“ ist in der Frankfurter Verlagsanstalt unter der ISBN 978-3-627-00191-9 erschienen, umfasst 285 Seiten und kostet 19,90 €.

Frank Raudszus
 

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