T.C. Boyle: „Wassermusik“

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1307_wassermusik.jpgEin Hörspiel nach dem Roman über die Erforschung Afrikas

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts stieg das Interesse vor allem der Briten an dem Inneren Afrikas deutlich an. Die Londoner „Afrika-Gesellschaft“ beauftragte daher den jungen Schotten Mungo Park mit der Erforschung des Nigerverlauf, der damals noch weitgehend unbekannt war. Da der Niger von Gambia aus nach Osten fließt, brachte man ihn nicht mit dem großen Flussdelta im heutigen Nigeria in Verbindung. Mungo Park reiste mit einem in England sozialisierten Einheimischen bis zum Ufer des Nigers und ein Stück flussaufwärts nach Westen, bevor er wegen Krankheit und Mittellosigkeit nach England zurückkehren musste. Seine Erlebnisse und Erkenntnisse über Land und Leute sowie über den weitgehend unbekannten Niger machten ihn schlagartig berühmt. Sein Reisebericht wurde zu einem anerkannten Basiswerk der Afrikaforschung. Wenige Jahre später unternahm er in einer zweiten Auftragsreise den Versuch, den weiteren verlauf des NIgers bis zu seiner Mündung zu erforschen. Auf dieser Reise kam er nicht weit von der Mündung des Nigers auf seinem Boot mit seiner restlichen Mannschaft bei einem Kampf mit Einheimischen um. Details dazu sind nicht bekannt.
T. C. Boyle hat diese Geschichte bereits vor Jahren in seinem Roman „Wassermusik“ beschrieben. Dabei hat er einige Personen und Abläufe aus schriftstellerischen Gründen geändert, jedoch den Ablauf im Großen und Ganzen korrekt wiedergegeben. Zusätzlich hat er die private Seite Mungo Parks stärker beleuchtet. Park war bereits vor seiner ersten Reise verlobt, und seine Verlobte musste zwei Jahre fast ohne Nachricht von ihm auf ihn warten. Im Roman kehrt Park im letzten Moment zurück, bevor sie auf Drängen ihres Vaters einen anderen Mann heiratet. Auch sein einheimischer Diener Johnson wird romanmäßig „weiterverarbeitet“ und begleitet ihn entgegen den bekannten Tatsachen auch auf der zweiten Reise.
Zusätzlich hat Boyle noch einen zweiten Handlungsstrang um den kleinen Gauner Ned Rise eingeführt, der schon als Waisenkind ausgebeutet und misshandelt wurde, sich jedoch immer wieder aus dem Dreck ziehen konnte. Nach langen Umwegen, Gefängnisaufenthalten und einer missglückten Exekutiion am Galgen stößt dieser Dauerverlierer schließlich zu Mungo Parks Truppe auf der zweiten Reise und begleitet ihn bis zum Ende. Über sein weiteres Schicksal lässt Boyle nur Gerüchte zu Wort kommen. Diese Figur soll im Gegensatz zu Mungo Parks Welt der Lords und Ladys die Schattenseite des damaligen England – vor allem London – mit Armut, Dreck, Krankheiten, Kriminalität, Alkohol, Prostitution und Unterdrückung veranschaulichen. Das gelingt ihm mit der unverwüstlichen Figur des Ned Rise und seinen Schicksalsgenossen recht gut.
Dieser Roman ist jetzt auch als Hörbuch erhältlich. Drei abwechselnde Handlungsstränge beschreiben die Erlebnisse Mungo Parks in Afrika, das Leben seiner Verlobten in Schottland und das unstete Leben des Ned Rise. Unter der Regie von Leonhard Koppelmann teilen sich Thomas Fritsch und Udo Schenk die Rolle des Erzählers, Doris Kunstmann ergänzt diese Funktion um einen weiblichen Part. Die Rollen des Mungo Park und seiner Verlobten Ailie sprechen Andreas Pietschmann und Anna Thalbach, als Ned Rise fungiert Matthias Koeberlin.
Das Hörbuch lebt von seiner atmosphärischen Dichte, die oft durch Umgebungsgeräusche und Musik angereichert wird, die bisweilen den gesprochenen Text sogar überlagern. Obwohl die Handlung eigentlich nicht viel Platz für Humor lässt – auf der einen Seite die Arroganz der weißen Oberschicht und der natürliche Rassismus gegenüber den Afrikanern, auf der anderen Seite der tägliche Kampf ums Überleben in der Unterschicht – bringen Koppelmann und seine Sprecher doch immer wieder einen Schuss Ironie in das Hörspiel, etwa, wenn sie die naive Selbstgefälligkeit des jungen Mungo Park oder die gewitzte, von Lebenserfahrung gewürzte Art des Dieners Johnson auf den Punkt bringen. Besonders plastisch sind natürlich die kriminellen Aktivitäten des Ned Rise, seine Opfer und Komplizen sowie die Desaster, in die er permanent schliddert. Höhepunkt dieses Handlungsstrangs ist die Hinrichtung von Ned Rise am Galgen, die er wider alle Erwartung überlebt, um rechtzeitig vor der Sezierung seines vermeintlichen Leichnams vor Studenten wieder aufzuwachen.
Man kann mit diesem abwechslungsreichen und spannenden Hörbuch eine ganztägige Autofahrt ohne Schwierigkeit überbrücken und ist vielleicht sogar ungehalten, wenn man das Reiseziel zu früh erreicht.
Das Hörbuch „Wassermusik“ ist im Hörverlag unter der ISBN 978-3-89940-516-3 erschienen, umfasst 4 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 310 Minuten und kostet 19,95 €.

Frank Raudszus

 

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