Christian Stachelbeck: „Deutschlands Heer und Marine im Ersten Weltkrieg“

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1307_weltkrieg_1.jpgChristian Stachelbeck: „Deutschlands Heer und Marine im Ersten Weltkrieg“

Eine militärische Analyse des Krieges aus deutscher Sicht

Der Erste Weltkrieg jährt sich im kommenden Jahr zum hundertsten Mal. In den vergangenen hundert Jahren ist zu diesem Thema eine unüberschaubare Menge unterschiedlichster Literatur erschienen: Erinnerungen, Romane, Rechtfertigungen, politische und militärische Analysen und vieles mehr. Ein großer Teil dieser Literatur – auch die historische-wissenschaftliche(!) – war dabei ideologisch motiviert, sei es seitens alter Frontkämpfer, die in Deutschland die „Dolchstoßlegende“ erfanden, sei es seitens der Kommunisten, die den Krieg gerne als Kampf des untergehenden Kapitalismus gegen den aufkommenden Sozialismus stilisierten. Dass dabei „unpassende“ Fakten verdreht oder im besten Falle schlicht ignoriert wurden, versteht sich von selbst.

Da liegt es nahe, zum hundertsten Jubiläum dieser „Jahrhundertkatastrophe“ eine Analyse herauszugeben, die den Krieg zwar aus rein militärischer Sicht, aber aus dem sicheren Abstand von hundert Jahren „sine ira et studio“ beschreibt. Christian Stachelbeck, Mitarbeiter des „Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr“, hat sich dabei eingehend mit den Fragen der militärischen Ausgangssituation imJahr 1914, der Planung und der militärischen Operationen bis zum Kriegsende aus deutscher Sicht gewidmet.

Die Gründe für den Zweifrontenkrieg gegen die „Entente“ aus England, Frankreich und Russland gehört nicht zu Stachelbecks Analyse. Ein kurzer Hinweis auf Bismarcks „Balance-Politik“ und Kaiser Wilhelms (II.)  Agieren als „Elefant im Porzellanladen“ muss hier reichen. Schwerpunkt des Buches ist das deutsche Heer, das mit ca. 2 Millionen Angehörigen die Hauptkriegslast trug. Ihm widmet er den ausführlichsten Teil seiner Analyse.

Stachelbeck stellt kurz den „Schlieffen-Plan“ vor, mit dem die deutsche Generalität in einem weiten Bogen nach Westen die gegnerischen Armeen umgehen wollte. Die Verteilung der deutschen Armeen auf zwei Fronten machte laut  Stachelbecks nüchternen Gegenüberstellung der Kräfteverhältnisse den Plan des ehemanligen deutschen Generalstabschef von vorneherein fast unmöglich. Obwohl die deutschen Generäle dies auch wussten, hofften sie, durch Schnelligkeit und aufgrund ihrer vermeintlich höheren militärischen Qualität dieses Defizit ausgleichen und im Westen in einer Art „Blitzkrieg“ siegen zu können. Das „Wunder an der Marne“ war dann im Grunde genommen nur das logische Ende dieses Wunschdenkens.

In vier großen Kapiteln geht Stachelbeck auf die einzelnen Aspekte des Ersten Weltkrieges ein. Im ersten behandelt er die eigentliche Kriegführung mit dem Schlieffen-Plan und dessen Scheitern im September 1914, mit der siegreichen Schlacht von Tannenberg in Ostpreußen sowie mit den verschiedenen Phasen des Stellungskrieges. Dabei spielen die Schlacht um Verdun 1916 und die letzte, verwzeifelte Offensive im Sommer 1918 zentrale Rollen. Die Seekriegsführung mit der „Skagerrak-Schlacht“ als Höhepunkt und der Kolonialkrieg finden hier auch ihren Platz.

Im nächsten Kapitel geht Stachelbeck auf die Strukturen ein, die sowohl beim Heer als auch bei der Marine eigene Probleme aufwarfen. In beiden Waffengattungen waren die vielfältigen militärisschen Behörden und Befehlsstellen durch starke Eifersüchteleichen und Kompetenzrangeleien gekennzeichnet, die eine straffe und effiziente Kriegführung über lange Zeit verhinderten. Beim Heer schwang sich der Generalstab später unter Hindenburg und Ludendorff zu einer Macht auf, die nichts neben sich duldete und den eigentlichen Oberbefehlshaber, Kaiser Wilhelm II., wegen offensichtlicher Unfähigkeit mehr oder weniger überging, Bei der Marine führte der Kompetentzwirrwarr dazu, dass der Admiralsstab, der eigentlich oberste Planungs- und Entscheidungsstelle sein sollte, bis kurz vor Kriegsende nicht über eine beratende Funktion hinauskam.
Die „Rüstung“ ist ein weiteres wichtiges Kapitel. Hierbei zeigt Stachelbeck, dass Deutschland noch wesentlich stärker im Denken des 19. Jahrhunderts verharrte und die auswirkungen neuer Technologien lange Zeit unterschätzte. Deutscher Mannesmut schien den Generälen mehr zu bedeuten als technische Neuerungen. So befand sich Deutschland bei der Motorisierung noch im Anfangsstadium und vertraute weitgehend auf das verwundbare und kräftemäßig begrenzte Pferd. Darüber hinaus waren Engländer und Franzosen bei der Entwicklung des Maschinengewehrs führend und brachten als erste Panzer aufs Schlachtfeld. Erst als es zu spät war und Deutschland keine  wirtschaftlichen Ressourcen mehr aktivieren konnte, begann man hier umzusteuern. Stachelbeck zeigt, dass die englische Blockade (zwischen Schottland und Norwegen) schon früh die deutsche Wirtschaft strangulierte, was sich spätestens ab 1916 im Feld und dann auch in der Heimat in Gestalt schwerwiegender Mangelerscheinungen bemerkbar machte.

Ein wichtiger Aspekt dieses Analyse ist auch die mentale Lage der Soldaten. Der Mangel an Verpflegung und Ausrüstuung sowie die schlechte Lage in der Heimat ab 1916 zehrten stark an der Moral der einfachen Soldaten, die sich dennoch immer wieder zum Kampf motivieren ließen. Besonders kritisch war jedoch die Lage in der Flotte, in der die großen Schiffe jahrelang untätig in den Häfen lagen und die Offiziere – offensichtlich aus eigener Frustration über den Zustand – die Mannschaften nach allen Regeln der Klassengesellschaft schikanierten. Da war der Aufstand der Matrosen im Oktober/November 1918 nur die logische Folge.

Für den historisch interessierten Leser wirft dieses Buch ein helles Licht auf den Ersten Weltkrieg, frei von jeglichen politischen oder gar ideologischen Motivationen. Minutiös arbeitet Stachelbeck die jeweilige Situation und ihre Konsequenzen aus Zahlen und Fakten ab. Man erkennt, dass Politiker und Generalität sich auch in diesem Krieg von Wunschdenken und Illusionen treiben ließen. Ein geradezu zynischer Grund, den Krieg nicht früher zu beenden, lag darin, dass man auf beiden Seiten nach einem Sieg den Verlierern die ungeheuren Kosten aufbürden wollte, die man im Krieg von den eigenen Völkern eingefordert hatte. Man konnte sich also nicht auf einen Verständigungsfrieden ohne Forderungen einlassen. Der Autor zieht auch diese wirtschaftspolitische Linie ganz deutlich nach.

Das Buch „Deutschlands Heer und Marine im Ersten Weltkrieg“ ist im Oldenbourg-Verlag unter der ISBN 978-3-486-71299-3 erschienen, umfasst 224 Seiten und kostet 19,80 €.

Frank Raudszus

 

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