Thomas Ostermeier inszeniert in der Berliner „Schaubühne“ Shakespeares „Hamlet“

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Lars Eidinger als Hamlet
Schauspiel der Extreme  

Thomas Ostermeier inszeniert in der Berliner „Schaubühne“ Shakespeares „Hamlet“
Es sind die Fotographien zur Aufführung, die einen schon im Vorhinein in den Bann ziehen und gleichzeitig unangenehm berühren. So scheint es, als spiele Hamlet in der Schaubühne in schwarzem Morast und habe doch so gar nichts von monarchischem Edelmut und herrschaftlicher Eleganz. Verzogene Fratzen Hamlets starren einem mit lehmverschmierter Haut entgegen – das Blutige anderer Bilder wirkt im Vergleich noch als etwas aus unserer Welt – Pre-Jenseits.

Die Realität des Stücks bleibt nicht hinter den durch das Bildmaterial geweckten Erwartungen zurück. Eine große Wanne mit weicher Erde dominiert den Saal und drängt die Zuschauertribüne nach hinten. Am Ende der Bühne weckt eine lange weiße Tafel Erinnerungen an eine Mischung aus Abendmahl und jüngstem Gericht. Durchscheinend verdeckt wird sie durch einen Vorhang aus goldenen Ketten auf Distanz gehalten – möglicherweise eine Anspielung auf den goldenen Käfig der Monarchen – edel aber nur scheinbar getrennt von der gewöhnlichen, erdnahen und bäuerlichen Lebensart des Volkes.

Lars EidingerDie erste Szene beginnt am Grab des alten Königs, Hamlets Vater. Während Hamlet, gespielt von , sich anfangs noch im Hintergrund aufhält, übernimmt der Bestattungsgehilfe die Rolle der Führungsperson und des Clowns. Kaum in der Lage, den Sarg alleine ins Grab hinabzulassen, kämpft er mit Tau, Stützbalken und schließlich mit gröbster Kraft mit dem Sarg, um diesen in Position zu wuchten. Ein groteskes Schauspiel, das die Farce der ernsthaften, pietätvollen Beerdigung aufzeigt. Noch wird die Witwe des Königs, Gertrud, gespielt durch Judith Rosmair, in ihrer Trauer durch den Bruder des Verstorbenen gestützt. Doch beim Leichenschmaus,gibt Polonius (Robert Bayer) bereits seine Vermählung mit Gertrud bekannt und ernennt sich zum König.
Hamlet kann aus seinem tiefsten Inneren die Erwägungen seiner Mutter nicht nachvollziehen. Claudius, des Vaters Bruder, ist für ihn die in allen Dimensionen dunkle und niederträchtige Seite dessen, was sein Vater als voriger König verkörpert hatte. Über seine Wut scheint er mehr und mehr dem Wahnsinn zu verfallen. Dennoch kommt es abseits der Bühne noch zum Kontakt mit Ophelia, der Tochter des geschwätzigen Beraters des neuen Königs.

In einer der raren Szenen ohne die Omnipräsenz und Dominanz Hamlets berichtet Ophelia ihrem Vater Claudius von den Anbandlungen Hamlets ihr gegenüber. Er hat ihr einen Liebesbrief gedichtet, sich selbst die Fähigkeit des guten Reimes absprechend, da seine Gedanken von ihr besetzt sind. Claudius, gespielt durch Urs Jucker, drängt seine Tochter in raumgreifenden Worthülsen und statisch gewagten intellektuellen Satzkonstruktionen zur Enthaltsamkeit, Rückzug und Abstand vom Aristokraten Hamlet. Nach einem vierminütigen Vortrag, der schnell das Amüsement des Publikums zu spüren bekommt, steigert sich der Vater so plötzlich wie ein hochsommerliches Hitzegewitter in einen Tobsuchtsanfall. Er hämmert die Fäuste auf die Tischplatte, so dass Gläser, Wein und Speisen wie durch Bombeneinschläge spritzendes Erdreich in alle Richtungen ihren Reißaus nehmen.  Ein überragend gespieltes Stück menschlicher Schwäche und des Kontrollverlusts! Lautes Gelächter.

Tiefer und tiefer in Wahnsinn und Isolation abrutschend, schicken Claudius und Gertrud zwei Hofburschen, um nach Hamlet zu sehen und ihn zu einer Kur Reise nach England zu bewegen. Doch lässt sich der Sohn nicht beirren. Hingegen nutzt Hamlet die gesteigerte Aufmerksamkeit seiner teils neuen Eltern, sie zu einem selbst inszenierten Theaterstück einzuladen. In dem Stück führt er mit Hilfe der Hofburschen seiner Mutter und dem neuen König seine eigene Geschichte um des Vaters Tod vor. Natürlich erwähnt er mehrmals, es handele sich um ein völlig anderes Königreich, die Parallelität ist jedoch eindeutig. Absurd amüsant, mit selten seltsamer Erotik und teils widerwärtig fremdschäm-induzierender Freizügigkeit wird ein Schauspiel im Schauspiel dargeboten, welches von schallendem Gelächter bis zu einzelnen verzweifelten Ausrufen einen vielfältigen Resonanzkanon im Publikum hervorruft.  Nicht zuletzt beeindruckend ist die körperliche Transformation von Hamlet in des Königs Frau.

Judith Rosmair und Lars Eidinger Neben dem Handlungsstrang bringt er Situationskomik in die Rolle, die oft keinen Bezug zum Stück hat – es scheint, dass teilweise selbst seine Schauspielkollegen davon überrascht sind. So fordert er im finalen Fechtkampf mit Ophelias Bruder plötzlich „new Balls“, serviert einen ersten Aufschlag, Vorhand und Volley, bevor er sich zurück in den direkten Kampf stürzt. Dann plötzlich fragt er das Publikum, ob er denn Schuld sei an Ophelias Tod? Er fragt nicht rhetorisch, er fragt tatsächlich und er wartet – er wartet, bis er eine Antwort erhält. Und dann diskutiert er. Der Zuschauer fühlt sich seltsam bedrängt – dies ist kein angenehmes „lean back and enjoy-theatre“, man fühlt sich genötigt aktiv etwas zu sagen – und einige tun dies.

Es wirkt als springe der Tiger aus der Manege des Dompteurs, und der Zuschauer beginnt sich zu fragen „ist das noch Teil des Stücks oder eskaliert die Situation bereits?“. Es ist fraglich, wie viel hierbei durch den Regisseur Thomas Ostermeier gedacht ist und was möglicherweise auf ein gesteigertes Maß an Eigenregie durch Eidinger hinweist. Aber genau diese Spannung ist hochbrisant – kann es sein, dass nicht nur Hamlet, sondern tatsächlich auch der Schauspieler dem Wahnsinn verfallen ist? Etwas Unwohlsein kommt auf, wenn Hamlet in seinen letzten Zügen zum Schwert greift – fern ist der Wunsch nicht, es würde sich dabei eindeutigerweise um ein Gummischwert handeln.

Insgesamt dominiert das Stück nicht nur durch seine physische Omnipräsenz, sondern fraglos auch mittels seiner charakterlichen Varianz, Impulsivität, Kreativität und Glaubwürdigkeit der Darbietung seiner Rolle. Nachteil hierbei ist einzig, dass die anderen Schauspieler zu verblassen drohen – vor allem dann, wenn sie vergleichbare Episoden spielen, wie beispielsweise Ophelia, die ebenfalls mit einem Anflug von Wahnsinn kämpft, der sich aber auch etwas erkämpft präsentiert.

Andererseits ist Judith Rosmair ein großes Lob für Ihren Wechsel zwischen Ophelia und Gertrud auszusprechen. Mit der Eindeutigkeit eines chirurgischen Schnittes kann sie die Rollen voneinander trennen, sodass keinerlei Vermischung erkennbar ist. Ophelia präsentiert sich als lieblich zarte, nachsichtige, elfenhafte Brise von Frohsinn, deren Existenz kaum wahrhaftig scheint. Hingegen wirkt Gertrud starr, realitätsnegierend aber sehr real, triebgesteuert, arrogant mit Tendenz zur Selbstdarstellung einer Neureichen. Rosmair schafft es Sprache, Tonfall, Gestik, Mimik und Gang charaktergerecht auf die Bühne zu bringen.

Im Ergebnis ist es Thomas Ostermeier mit Hamlet in der Schaubühne gelungen, eine einzigartige Dichte von Emotionen zu präsentieren,

Malte Raudszus

 

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