Deutsche Uraufführung von Jordi Galcerans Komödie „Adieu, Herr Minister“ in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt

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Matthias Kleinert (Carsten), Gabriele Drechsel (Sonja), Diana Wolf (Yolanda)

Trau schau wem – die Kunst des Betrugs   r

Deutsche Uraufführung  von Jordi Galcerans Komödie „Adieu, Herr Minister“ in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt
Carsten Lusch ist am Ende. Am Morgen ist er als Energieminister zurückgetreten, weil er wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme nicht mehr tragbar war. Dabei hat er nur einem Bauunternehmen großzügig Aufträge verschafft, das ihm quasi kostenlos seine Villa gebaut hat. Seine Frau ist ausgerechnet mit dem Journalisten durchgebrannt, der die Affäre aufgedeckt hat, und so sitzt Lusch jetzt mit einer Pistole in seinem schönen Haus und überlegt, wo er den Lauf ansetzen soll. Mimik und Gestik von Matthias Kleinert zeigen jedoch sofort, dass es hier nicht um die existenzielle Tragik eines tiefen gesellschaftlichen Absturzes geht, sondern dass hier eine Groteske beginnt. Da auch die ausgewählte Radiomusik nicht zu einem stilvollen Selbstmord passen will, beschließt Lusch, sich vor seinem Dahinscheiden noch eine Edelprostituierte zu leisten, deren Nummer ihm sein Anwalt zugeschoben hat. Schließlich hat er sich diese Extravaganz aus moralischer Verklemmung nie geleistet.

Gabriele Drechsel (Sonja), Matthias Kleinert (Carsten), Tom Wild (Marko), Klaus Ziemann (Max)Als es bereits nach wenigen Minuten an der Tür klingelt, wundert er sich über den schnellen Service, öffnet aber keiner lasziven Professionellen sondern einer Verkäuferin von Küchenutensilien (Gabriele Drechsel) die Tür. In bester Vertretermanier verschafft sich die Frau Eintritt und lässt sich auch durch deutliche Verweise auf die Haustür nicht hinaustreiben. Selbst als Lusch ihr wegen der minütlich zu erwartenden Gunstgewerblerin ihren gesamten Warenbestand abkauft, ist sie nicht zum Verlassen des Hauses zu bewegen sondern verwickelt Lusch sogar in ein Gespräch in dem sicheren Gefühl, dass bei ihm Redebedarf besteht.

Gerade als sie sich über ihr wechselseitig verpfuschtes Leben zu unterhalten beginnen – Sonja ist mit einem gewalttätigen, arbeitslosen und saufenden Mann sowie einem gelähmten Vater gestraft -, kommt die bestellte Dame vom Gewerbe (Diana Wolf) und mischt die beiden auf, da plötzlich kein Bedarf mehr an ihren Dienstleistungen besteht. Ihre mit einer Pistole bekräftigte Drohung, Lusch aus Rache zu erschießen, rennt bei diesem offene Türen ein, da er ja sterben will. Plötzlich richtet Sonja Luschs Pistole auf die schießwütige Liebedienerin, und das Ganze entwickelt sich zu einer Groteske allgemeiner Sterbewilligkeit. Als die junge Frau erzählt, sie habe es gerade mit einem verheirateten Mann im Beisein des gelähmten Schwiegervaters auf dem Küchentisch treiben müssen, merkt Sonja auf, und schnell ergibt sich, dass es sich um ihren Mann handelt. Abgebrüht schlägt die junge Frau vor, den Ehemann umzubringen, und kann auch gleich mit einem Auftragskiller aufwarten. Natürlich lehnen Sonja und Lusch, der sich mittlerweile mit Sonja solidarisiert hat, einen Mord entrüstet ab, und die junge Bordsteinschwalbe zieht von dannen.

In der nächsten Szene sieht man Lusch und einen Mann mit Sonnenbrille und Pudelmütze (Tom Wild), dessen Diktion und Gestik auf einen Schwerkriminellen schließen lassen. Offensichtlich hat sich Lusch, der sich mittlerweile in Sonja verliebt hat, den Vorschlag des Callgirls zu Herzen genommen und tritt jetzt mit einem Auftragskiller in Verhandlungen über eine rückstandslose Entsorgung von Sonjas Ehemann.

Wir wollen an dieser Stelle die Inhaltsangabe des Stücks abbrechen, um für eventuelle Interessenten die Spannung nicht zu verderben. Doch eines lässt sich sagen: immer, wenn man glaubt, die weitere Entwicklung des Stücks abschätzen zu können, schlägt die Handlung Kapriolen und schlägt einen neuen Weg ein. Bis zum Schluss ist man vor keiner Überraschung sicher, da der Autor alle Register einer guten Boulevard-Komödie zieht. In diesem Stück geht es nur peripher um Korruption und Durchstechereien in der Politik. Dafür steht der allgemeine und skrupellose Betrug der Menschen unter- und aneinander im Mittelpunkt und wird minutiös vorgeführt. Das geschieht jedoch nicht mit der Leichenbittermiene eines Lehrstücks sondern mit der Nonchalance einer echten Komödie, die hinter jedem Betrug das Groteske hervorzieht und präsentiert. Dabei nutzt die Regie von Andrea Thiesen und Kerstin Junge auch die üblichen Versatzstücke der Boulevard-Komödie, so etwa die Türen, durch die stets unerwartete Gäste eintreten oder durch die man andere unentdeckt entschlüpfen lassen muss. In einer groteske Szene müssen zum Beispiel zwei Personen den Raum verlassen, ohne dass der unerwartet zurückkehrende Lusch diese bemerken darf. Das artet natürlich zu einer geradezu chaotischen Szene aus, die auch kräftige Lacher erntet.

Matthias Kleinert (Carsten), Tom Wild (Marko)Den Darstellern bereitet diese Komödie offensichtlich einen diebischen Spaß. Matthias Kleinert spielt den abgehalfterten Minister als einen schlitzohrigen aber nicht unsympathischen Anti-Helden, der per Zufall Minister geworden und den Versuchungen erlegen ist, ohne dass er dies besonders anrüchig findet. Wie eine Katze fällt dieser Lusch nach anfänglich irritierenden Turbulenzen wieder auf die Füße und hat schon bald wieder Oberwasser. Kleinert spielt ihn über längere Zeit als den einzig Naiven in der ganzen Runde, um dann am Schluss zu zeigen, dass auch Lusch zugelernt hat.

Gabriele Drechsel gibt die Sonja als Meisterin der Langfriststrategie, die keine – aber auch wirklich keine – Loyalitäten kennt und noch aus jeder Situation das Beste für sich herauszuholen versucht. Dabei kann sie alle Register von der anlehnungsbedürftigen Geliebten bis zur eiskalten Geschäftsfrau ziehen. Cave mulierem!
Diana Wolf kann vor allem in der Rolle der Prostituierten so richtig aus sich herausgehen und alle Facetten einer desillusionierten Weiblichkeit zeigen. Doch auch später zeigt sie in einer recht prekären Situation, wie man durch Geistesgegenwart und kreative Lügen eine Situation retten kann.
Tom Wild gibt den aggressiven Auftragskiller mit der ganzen Bräsigkeit eines minderbemittelten Vorstadtkriminellen, der endlich seine große Chance sieht. Doch auch in seiner zweiten Rolle zeigt er ähnliche Fähigkeiten, obwohl diese Rolle nicht mehr ganz so spektakulär ist.
Klaus Ziemann schließlich spielt Sonjas gelähmten Schwiegervater, der kopfwackelnd und mit schiefem Gesicht im Rollstuhl sitzt. Doch was man sieht, spiegelt nicht immer die Wahrheit wider. Auch er erhält die Gelegenheit, noch andere Fähigkeiten als die einer schiefen Physiognomie zu zeigen.

Das Stück bietet über neunzig Minuten – ohne Pause – temporeiche und witzige Unterhaltung sowie eine Reihe dramaturgischer Überraschungen; die Handlung ist zwar von einigen Volten geprägt, bleibt jedoch stets im Rahmen einer nachvollziehbaren Logik, auch wenn diese zeitweise geradezu surreal anmutet. Aber gerade diese leichte Wendung ins Absurde verleiht der Inszenierung ihren eigenen Reiz.

Frank Raudszus

 

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