Peter Fröberg Idling: „Pol Pots Lächeln“

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Die späte Analyse eines dunklen Kapitels

Kambodscha – oder auch Kampuchea – ist ein Land halb so groß wie Schweden und liegt zwischen Thailand und Vietnam. Das von einfacher Agrarwirtschaft geprägte Land wurde bis weit in die Sechziger von König Sihanouk regiert und galt als autokratisches und weitgehend korruptes Land. Doch zumindest herrschte dort Frieden. Mit dem Vietnamkrieg geriet das Land bald unfreiwillig in diesen internationalen Konflikt, da die Vietcong über Kambodscha ihren Nachschub heranbrachten und die USA den Ostteil des Landes heimlich und gegen das Völkerrecht heftig bombardierten.

Anfang der Siebziger hatte General Lon Nol mit Hilfe der Roten Khmer gegen Sihanouk geputscht und geglaubt, er könne mit Hilfe der USA sowohl die Vietnamesen als auch die Roten Khmer in Schach halten. Mit dem Ende des Vietnamkrieges verlor er jedoch die Unterstützung der USA und wurde schließlich im Jahr 1975 von der Revolution der Roten Khmer überrollt.

Bereits in den Fünfzigern hatte Sihanouk die Bildung seines Volkes vorangetrieben und eine Reihe begabter junger Männer zum Studium nach Paris geschickt, unter anderem Saloth Sar, den späteren Pol Pot. Die meisten dieser kambodschanischen Studenten schlossen sich jedoch der damals starken kommunistischen Partei Frankreichs an und erhielten hier ihre ideologische Grundausbildung. In den Sechzigern kehrten sie alle nach Kambodscha zurück und schlossen sich dort angesichts des autokratischen Systems von Prinz Sihanouk dem Widerstand an. In ihren Rückzugsbereichen im unzugänglichen Dschungel entwickelten die an Luxus und französisches Wohlleben durchaus gewöhnten Revolutionäre eine asketische Grundeinstellung, die nicht nur – marxistisch korrekt – das Privateigentum sondern auch jeglichen Genuss verbot. Alle Kraft sollte der Revolution dienen.

Nachdem die Roten Khmer 1975 die Macht übernommen hatten, begann ein wahres Schreckensregime, in dem durch Umsiedlungen, Massentötungen und organisierte Hungersnöte zwischen einer und drei Millionen Menschen umkamen. Die genaue Zahl lässt sich heute nicht mehr feststellen, da die damaligen Machthaber entweder keine Statistiken führten oder entsprechende Aufzeichnungen beim Einmarsch der Vietnamesen im Jahr 1979 vernichteten. Die Täter selbst konnten zur Aufklärung nicht viel beitragen, da sie sich – wie bei fast jeder Revolution – in großem Stil gegenseitig umbrachten oder als Überlebende jeglichen inhaltlichen Kommentar zu den Massenmorden ablehnten.

Im Jahr 1978 mussten die Machthaber ihr internationales Image unbedingt verbessern, da sie – zu Recht, wie sich später zeigte – den Einmarsch der Vietnamesen befürchteten. So luden sie eine Reihe internationaler Organisationen zu Besuchen ein, um ihnen zu zeigen, wie gut es dem Land und seinen Bewohnern angeblich ging. Da es damals in der Folge des Vietnamkrieges viele solcher Gruppierungen gab, die den Kampf der „unterdrückten Völker gegen den westlichen Imperialismus“ unterstützten, war es kein Problem, entsprechend „vorgepolte“ Reisegruppen einzuladen. Eine solche Einladung ging auch an eine vierköpfige schwedische Gruppe um den bekannten Autor Jan Myrdal, die sich nach ihrer Reise durch Kambodscha in Lobeshymnen über die Entwicklung des sozialistischen Landes erging.

Hier nun setzt das Buch von Peter Fröberg Idling an. In den achtziger und neunziger Jahren schälte sich aufgrund vielfacher Informationsquellen immer deutlicher der verbrecherische, wenn nicht genozide Charakter dieses Regimes heraus, so dass sich die Reise der schwedischen Gruppe als großangelegtes Täuschungsprojekt der Roten Khmer erwies. Idling geht es jedoch nicht um eine inhaltliche Diskussion des besagten Reiseberichts und der anderslautenden Tatsachen, sondern ihm geht es um die Frage, wie eine derart perfekte Täuschung möglich war. Zwar waren die vier Besucher von vornherein positiv gegenüber dem Gastland gestimmt, deswegen waren sie jedoch nicht naiv und bestanden zum Beispiel auf spontanen Gesprächen mit der Bevölkerung, die alle das Bild eines armen aber glücklichen Volkes ergaben. Dass zur selben Zeit nachweislich Hunderttausende starben, lässt sich damit kaum vereinen. Idling versucht in seinem Buch daher, die Hauptfiguren der Roten Khmer biographisch und damit mental zu erfassen. Soweit möglich, geht er minutiös allen Biographien nach und versucht, von jedem maßgeblichen „Täter“ ein möglichst genaues Profil zu erstellen. Das erweist sich als äußerst schwierig, da die meisten von ihnen mittlerweile tot sind und die anderen schweigen. Er musste also weiter in dem Kreis der Beteiligten recherchieren, um belastbare Informationen zu gewinnen.  Dabei erkannte er zunehmend, wie schwer es ist, Geschichte nachträglich zu objektiveren, wenn die Beteiligten entweder keine oder falsche Angaben machen. Zwar sind auch die Aussagen der überlebenden Flüchtlinge wertvoll und haben letztlich die Fakten bestätigt, doch die Entscheidungswege und wahren Verantwortlichen sind in diesem zeitlichen Abständen kaum noch zu identifizieren. Selbst die einfache Frage, wie man damals die schwedische Reisegruppe derart täuschen konnte, lässt sich heute nicht mehr beantworten. Daher kommt Idling am Ende zu dem selbstkritischen Schluss, dass vielleicht auch er sich hätte täuschen lassen. Das ändert natürlich nichts an der Kritik an Jan Myrdal, der noch heute jeden Zweifel an seinem Reisebericht von sich weist.

Peter Fröberg Idling hat jedoch kein nüchternes Sachbuch verfasst sondern greift in seiner Beschreibung zu literarischen Mitteln, die das Buch weit über ein Sachbuch erheben. Statt in übliche Kapitel unterteilt er das Buch in 265 „Szenen“, die teilweise nur eine Zeile lang sind. Immer wieder streut er zum Beispiel Lehrsätze der Revolution wie „Deine Liebe für die Organisation muss grenzenlos sein“ oder „Das Kollektiv bestimmt, das Individuum trägt die Verantwortung“ ein. Permanent wechselt er die Zeitebenen und springt mal in die Fünfziger, dann wieder in die Neunziger oder zurück in die Sechziger oder Siebziger. Diese bewusste „Verzerrung“ der chronologischen Ordnung erzeugt eine ganz eigene Atmosphäre der Verunsicherung, die das Unbestimmte historischer Wahrheitsfindung verdeutlicht. Idling schafft es mit dieser Literarisierung des Stoffes, diesen über den realen Anlass hinaus zu transzendieren und ein Abbild der „condition humaine“ zu schaffen, die er – als Malraux‘ Werk – des Öfteren explizit erwähnt. Idling zeichnet nicht nur das Bild einer fast unmöglichen Objektivierung der Geschichte, sondern auch das einer Menschheit, die mit ihren eigenen dunklen Seiten – Größenwahn, Grausamkeit und Gleichgültigkeit – nicht ins Reine kommt.

Das Buch „Pol Pots Lächeln“ ist in der Edition Büchergilde unter der ISBN 978-3-86406-021-2 erschienen, umfasst 352 Seiten und kostet 22,95 €.

Frank Raudszus

 

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