Beim 2. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt spielt das Belcea-Quartett Werke von Haydn, Britten und Schostakowitsch

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Joseph Haydn

Konzentrierte Interpretation mit hohem Anspruch  

Beim 2. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt spielt das Belcea-Quartett Werke von Haydn, Britten und Schostakowitsch
Üblicherweise findet die Kleidung der Solisten eines Kammerkonzerts in den Rezensionen keine Aufmerksamkeit. Bisweilen präsentieren sich sich die Ensembles jedoch in einem bemerkenswerten „Outfit“. So das nach der ersten Geigerin Corina Belcea benannte Quartett. Sie zeigte mit ihrem Auftritt gleich zu Beginn, warum das Quartett ihren Namen trägt: neben den drei in das übliche Schwarz gekleideten Herren – Axel Schacher(Violine), Krysztof Chorzelski (Viola) und Antoine Lederlin (Violoncello) – trat sie in einem knallroten, engen Kleid mit asymmetrischen Oberteil und in „High Heels“ auf. Das eigentlich Besondere daran war jedoch, dass sie offensichtlich kurz vor der Niederkunft steht, deshalb jedoch nicht auf die ausgefallene Kleidung verzichten wollte. Und man musste zugeben, dass diese Kleidung selbst in ihrem aktuellen Zustand wegen ihrer weiblichen Ausstrahlung attraktiv wirkte.

Benjamin Britten (r.)Soviel zum äußeren Erscheinungsbild, das natürlich vor allem die weiblichen Konzertbesucher ausgiebig diskutierten. Corina Belcea zeigte auch gleich zu Beginn, warum sie in dieser „rot-schwarzen“ Koalition trotz Minderheitenstatus´ die „erste Geige“ spielt. Üblicherweise steht am Beginn eines Konzertabends ein „einfaches“ Stück, das sowohl den Spielern das Einspielen erleichtert als auch die Zuhörer langsam in den Abend einführt. Die schwierigen „Brocken“ stehen meist in der Mitte oder am Ende. Das führt jedoch auch oft dazu, dass der Auftakt noch etwas unrund läuft. Das Zusammenspiel ist noch nicht perfekt aufeinander abgestimmt, und die Dichte der musikalischen Interpretation lässt noch einige Wünsche offen. Nicht so an diesem Abend: bereits in den ersten Takten des Streichquartetts in G-Dur op. 64 Nr. 6 von Joseph Haydn bewies das Ensemble höchste Konzentration und Feinfühligkeit in der Intonation. Leicht und geradezu federnd kam der erste Satz daher, spielerisch aber nicht verspielt, rokokkohaft graziös aber deswegen nicht maniriert. Die Instrumente waren in ihrer Intonation perfekt aufeinander abgestimmt und malten von Anfang an ein homogenes, ausgewogenes Klangbild. Nach der luftigen Vorstellung des Themas folgte eine zeitweise hochkomplexe Durchführung, bevor der Satz wieder zum Beginn zurückkehrte. Der Wechsel der Intensität und die ineinander verwobene Mehrstimmigkeit gingen jedoch nie auf Kosten der Transparenz. Nach einem anfangs getragen-introvertierten, dann etwas expressiveren zweiten Satz („Andante“) folgte das Menuett, dem die vier Musiker eine durchaus witzige Note verliehen. Den Finalsatz trugen sie dann mit Verve und Tempo und großer Spielfreude vor.

Dmitri SchostakowitschBereits nach diesem gelungenen Einstand erntete das Ensemble viel Beifall, doch jetzt wurde es deutlich anspruchsvoller. Vorbei war das gefällige, geschmeidige Musizieren; jetzt ging es um feinste Klangnuancen, denn Benjamin Brittens Strecihquartett Nr. 1 D-Dur lebt von den klanglichen Extremen. Bereits der Auftakt lässt sich nur mit dem Wort „ätherisch“ beschreiben.  Die beiden Violinen präsentieren ein extrem verfeinertes Flirren auf höchsten Lagen zu einer zurückhaltenden Begleitung von Cello und Viola; danach wechselt die Dynamik zu mehr Expressivität mit ostinaten „unisono“-Passagen von Violine, Viola und Cello, über die die erste Violine melodiöse Figuren legt.  Der dritte Satz, ein „Andante calmo“, besticht neben der getragenen Intensität vor allem durch seine Klangreibungen, die das Ensemble deutlich aber nie ostentativ vortrug. Im „Molto vivace“ des Finalsatzes fielen vor allem die jeweils einzeln einsetzenden Instrumente und das Spiel mit Fermaten auf, aber auch die Klangvielfalt und das komplexe Zusammenwirken der einzelnen Instrumentenstimmen.
Die vier Musiker zeigten sich bei dieser Interpretation als Meister der Klangbildung und nahmen dafür den verdienten Pausenbeifall des Publikums entgegen.

Das Belcea-Quartett mit (v.l.n.r.) Antoine Lederlin, Corina Belcea, Axel Schacher und Krysztof ChorzelskiDer zweite Teil übertraf dann den ersten noch an Komplexität und Klangvielfalt. Schostakowitschs Streichwartett Nr. 3 in F-Dur beginnt erstaunlich traditionell-tonal. Das ist nur zu verstehen, wenn man die politischen Randbedingungen im Jahr 1946 kennt. Stalin forderte affirmative, über den gewonnenen Krieg jubelnde Musik, und Schostakowitsch karikiert diesen platten Wunsch immer wieder durch solch schlichte Themen, die dann aber sofort dem Aufruhr und einer Kakophonie weichen, die die wirklichen Verhältnisse musikalisch ausdrücken. Dabei musste Schostakowitsch höllisch aufpassen, dass diese Parodie als solche nicht erkannt wurden. So karikiert er im zweiten Satz, der weitgehend in einem marschartigen 3/4-Takt verläuft, die gleichgeschaltete Kultur des Sowjetreiches. Im dritten Satz steigert er diese Satire noch, in dem er alle Elemente der Militärmusik aufnimmt und sie bis zur grotesken Karikatur verzerrt. Die beiden letzten Sätze tragen wiederum traditionelle Züge, wobei diese alles andere als nostalgisch gemeint sind, sondern in ihrer Überspitzung auf die Unmöglichkeit einer Rückkehr zur alten Musik hinweisen. Die Kunst Schostakowitschs bestand darin, mit seiner (Kammer-)Musik die herrschenden Parteikader zu beschwichtigen und gleichzeitig den musikalisch Eingeweihten die gegensätzliche Botschaft zu übermitteln. Sollte einer der der letzteren Gruppe auch zu ersterer gehören, hätte das große Probleme für den Komponisten zur Folge haben können.
Das Belcea-Quartett brachte diese divergenten, kontrastreichen Aspekte des Werkes überzeugend und mit großer Präzision zum Ausdruck. Auch hierbei bestachen die Musiker wieder durch ihr Klanggefühl und das hervorragend abgestimmte Zuammenspiel.
Das Publikum zeigte sich begeistert und erreichte dank kräftigen Beifalls noch einen Satz aus Mozarts „Hofmeister-Quartett“ als Zugabe.

                                                                                 
Frank Raudszus

 

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