Das Liebieg-Haus bietet mit der Ausstellung „NOK – Ein ursprung afrikanischer Kultur“ eine kleine Sensation

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Tönerne Kunde aus einem fernen Land

Das Liebieg-Haus bietet mit der Ausstellung „NOK – Ein ursprung afrikanischer Kultur“ eine kleine Sensation

Wir alle sind mit der Vorstellung aufgewachsen, dass zwar die Wiege der Menschheit in Afrika stand, dass aber die menschliche Kultur vor allem um den Mittelmeerraum herum entstand, von der lange unbekannten Genealogie der asiatischen Kultur einmal abgesehen. Dieses Vorurteil ist jedoch durch eine archäologische Entdeckung erschüttert worden, die jetzt zu der Ausstellung im gleich neben dem Städel-Museum liegenden Frankfurter Liebieg-Haus geführt hat.
Ausgrabungen in Ifana

Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts hat der britische Archäologe Bernhard Fagg in nigerianischen Zinnminen Bruchstücke kleinerer Terrakotta-Figuren gefunden, die er zwar sorgfältig sammelte, aber deren Hintergrund er wissenschaftlich nicht weiter untersuchte. Das in der Nähe der Fundorte gelegene kleine Dorf Nok lieh diesen Funden und der dahinter vermuteten Kultur ihren Namen. Anfang des letzten Jahrzehnts – dramatischer ausgedrückt: dieses Jahrtausends – startete dann die Frankfurter Goethe-Universität zusammen mit nigerianischen Behörden ein Forschungsprojekt, dass diese Kultur durch gezielte Ausgrabungen systematisch erkunden sollte. Hintergrund dieser Aktivität waren nicht zuletzt die zahlreichen Raubgrabungen, die als Folge  der Faggschen Funde zu gezielten Plünderungen und kommerziellen Ausbeutung möglicher Fundstätten führten. Die Einheimischen kannten aus ihrer Alltagserfahrung viele Stellen, wo Fragmente solcher Figuren aufgetaucht waren, und die „Antikenräuber“ nutzten diese Kenntnis für ihre Absichten. Dabei schreckten sie auch nicht vor Kopien zurück, die geschickte Handwerker in Anlehnung an Fundstücke herstellten und als authentische Funde an Sammler und Museen verkauften. Zwecks Erhöhung der Glaubwürdigkeit integrierten sie in ihre Produkte sogar echte Fundstücke.

Figur aus Daji Gwana
Das Forschungsprojekt unter der Leitung von Professor Breunig hat in den letzten Jahren Erstaunliches zu Tage gefördert. Auf Hinweise der örtlichen Bevölkerung hat man eine Reihe von Stellen gefunden, an denen größere Mengen von Fragmenten alter Terrakotta-Figuren lagen. Dabei stellte sich nicht nur heraus, dass es sich bei diesen Orten um antike Müllplätze handelte, sonderte dass die Fragmente Ergebnisse gezielter Zerstörungen waren. Kriegerische Zerstörungen kamen als Ursache nicht in Betracht, da man in diesem Fall die Reste nicht konzentriert auf Müllplätzen gefunden hätte, und vor allem, da die Einzelteile der zerstörten Figuren nicht zusammen sondern getrennt an verschiedenen Müllplätzen deponiert waren. Man schließt daraus – und das ist bisher eine unbewiesene Hypothese -, dass es sich hierbei um rituelle Zerstörungen handelte. Durch die Verteilung der Fragmente wollten die damaligen Ureinwohner wahrscheinlich verhindern, dass die mit den Figuren verbundenen Seelen im Nachhinein wieder zum Leben erwachten.

Figur aus Pangwari
Die Zeit der NOK-Kultur reicht nach heutigen Untersuchungen weit in die Antike zurück. Man datiert die NOK-Kultur heute von 1500 vor unserer Zeitrechnung bis zur Zeitenwende. Dann verschwindet die Kultur plötzlich ohne – bis heute – ersichtlichen Grund. Da sie kein Schriftsystem entwickelt hat, existieren keine weiteren Informationen über diese Zeit. Die großen Entfernungen und das Fehlen großer Wasserflächen als Transportbasis haben wahrscheinlich die Entwicklung einer überregionalen Zivilisation verhindert, so dass die Nok-Kultur sich auf lokale Bevölkerungsgruppen beschränkte. Die üppige Vegetation tat ihr Übriges und überwucherteim Laufe der Jahrhunderte alles. Außerdem führte wohl auch die wahrscheinlich rituell bedingte Gewohnheit. die künstlerischen Produkte zu vernichten, dazu, dass keine sichtbaren Strukturen wie größere Gebäude entstanden oder gar größere Zeiträume überstanden.

Die Figuren sind durchweg bis zu einem Meter groß und weisen eine erstaunliche Fertigkeit in der Herstellung und bei der Ausprägung der Details auf. Die Gesichter der menschlichen Figuren sind erstaunlich realitätsnah modelliert, und teilweise befinden sich darunter die Darstellungen offensichtlich kranker oder missgebildeter Menschen. Welche Bedeutung diese Darstellungen haben, kann man heute nur vermuten. Professor Breuning betonte während der Pressekonferenz, dass man bisher sehr wenig über diese Zeit wisse und sich nicht in Spekulationen ergehen wolle. Man hoffe auf Erkenntnisse aus weiteren Ausgrabungen.
Eine wichtige und geradezu sensationelle Erkenntnis hat man bereits anhand der aufgefunden Verhüttungsöfen gewonnen. Offensichtlich haben die Menschen der NOK-Kultur bereits Eisen hergestellt und verarbeitet, lange bevor dies in Europa der Fall war. Die in den Boden eingelassenen Öfen geben darüber detaillierte Kunde. Auch hat man eine Reihe von Alltagsgegenständen aus Metall gefunden. Die in Europa üblichen Waffen – Schwerter, Speere, Rüstungen – finden sich hier jedoch nicht, was wahrscheinlich auf die Begrenzung der Kriege auf Scharmützel zwischen benachbarten Dörfern zurückzuführen ist, die keine Kriegsindustrie entstehen ließen.

Kurator Professor Vinzenz Brinkmann hat die Ausstellung in zwei „Schichten“ organisiert, wie er es selbst ausdrückte. Diese beiden Schichten finden ihren äußeren Niederschlag in der Verteilung der Exponate in zwei übereinanderliegenden Stockwerken. Im Erdgeschoss werden die aufgefundenen und wieder zusammengesetzten Figuren der einzelnen Fundstätten – sie sind räumlich klar voneinander getrennt – den Skulptren des Mittelmeerraumes – Ägypten, Griechenland, Rom – derselben Zeit gegenübergestellt. Dazu konnte das Liebieg-Haus den umfassenden Bestand an Skulpturen dieser Kulturen nutzen. Die Statuen, Köpfe und Gerätschaften aus dem alten Ägypten, dem klassischen Griechenland und der römsichen Zeit umgeben in den einzelnen Räumen die meist in der Mitte des Raumes platzierten Figuren der NOK-Kultur, wodurch ein reizvoller Vergleich entsteht. Vor allem die realistischen Körper der europäischen Antike bilden hier einen deutlichen Kontrast zu den rituellen Figuren der NOK-KUltur, die zwar durchweg als Menschen oder Tiere zu erkennen sind, jedoch stark abstrahierte und archetypische Züge zeigen. Das legt auch einen Vergleich mit der Ende des 19. Jahrhunderts aufkommenden Abwendung der darstellenden Kunst  vom Realismus und die Suche nach neuen, eher symbolischen und rituellen Annäherungen nahe. Künstler wie Paul Gauguin oder Pablo Picasso suchten und fanden dies ursprünglichkeit in Afrika oder in Ozeanien, und die Entdeckung der NOK-Kultur ist ein späte Bestätigung dieser Tendenzen.

Im Kellergeschoss des Liebieg-Hauses sind dagegen im wesentlichen Rohfunde – Fragmente und Kleinstfiguren – sowie Informationen üebr die Ausghrabungsarbeiten angeordnet. Hier kann man Videofilme über die Region und über die Ausgrabungsarbeiten sehen, und auf dem Boden läuft eine endlose Diashow ab, die das Herausschälen von Fragmenten aus dem Tonboden zeigt.

Die Pressekonferenz führte sowohl den Tourismusminister von Nigeria als auch den Präsidenten der zugehörigen Region nach Frankfurt. Beide traten im Rahmen einer größeren nigerianischen Delegation auf und richteten das Wort an die hiesige Presse. Die Ausgrabungen von Nok sollen nicht nur fortgeführt werden sondern auch im angemessenen Rahmen den Tourismus in dieser Region und in Nigeria unterstützen. Die Ausstellung ist vom 30. Oktober bis zum 23. Februar 2014 dienstags, mittwochs sowie freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 21 Uhr geöffnet.

Frank Raudszus

 

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