Zwei Virtuosen im friedlichen Wettstreit

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Beim 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt jazzen der Russe Arkady Shilkloper und der Ukrainer Vadim Neselovskyi miteinander.

Bei der Zusammenstellung des kammermusikalischen Jahresprogramms konnte man sich den Symbolgehalt dieses Abends noch nicht vorstellen, aber wie so oft, setzt die Realität unverhofft Zeichen. Der Russe Arkady Shilkloper ist ein begnadeter Alleskönner auf Waldhorn, Trompete und Alphorn und bewegt sich mit diesen Instrumenten gerne im Niemandsland zwischen Jazz und Klassik, U- und E-Musik. Seine Konzerttourneen führen ihn durch die ganze Welt, und so verwunderte es an diesem Abend nicht, dass er seine launigen Ansprachen ans Publikum, die einen wesentlichen Beitrag zur gelösten Atmosphäre dieses Abends leisteten, in passablem Deutsch hielt. Am Klavier begleitete ihn der Ukrainer(!) Vladim Neselovsky, der derzeit am Berklee College of Boston als Assistant Professor wirkt und am Klavier nicht nur optisch eine Reinkarnation von Glenn Gould zu sein scheint (mit dem Unterschied, dass dieser nur E-Musik spielte). Da Neselovsky bereits als Jugendlicher nach Deutschland kam, merkt man ihm bei seinen verbalen Beiträgen seine ausländische Herkunft so gut wie gar nicht an.

Arkady Shilkloper (l.) und Vadim Neselovsky

Arkady Shilkloper (l.) und Vadim Neselovsky

Die beiden Musiker bestritten den ersten Teil des Abends alleine, wobei Shilkloper alle drei erwähnten Instrumente einsetzte und Neselovsky die Klaviersaiten auch einmal per Hand anzupfte. Angesichts der gegenwärtigen politischen Lage betonten sie ausdrücklich ihre langjährige persönliche und musikalische Freundschaft und ernteten damit spontanen und demonstrativen Beifall beim Publikum.

Musikalisch präsentierten sich an diesem Abend zwei herausragende Solisten, die sich auf ihren jeweiligen Instrumenten als virtuose Techniker und sensible Interpreten erwiesen. Ihre Musik ist von tonalen Strukturen geprägt, wie man sie vom modernen, harmonisch gebundenen Jazz kennt. Atonalität und „free Jazz“ist offensichtlich nicht ihre Sache. Alle an diesem Abend gespielten Stücke – durchweg Eigenkompositionen von Arkay Shilkloper oder Vadim Neselovskyi – zeichnen sich durch motivorientierte Strukturen aus. Meist gibt zu Beginn das Klavier oder das Blasinstrumen – Waldhorn, Trompete oder Alphorn – ein kurzes Motiv vor, das dann im Dialog durch beide Instrumente geht und von diesen beliebig variiert wird. Dem schließt sich in üblicher Jazz-Manier eine längere freie Improvisationsphase an, in der sich an diesem Abend besonders Vadim Neselovskyi hervortat, ehe das Motiv wieder in der Schlussphase wieder aufgenommen wird. Bei den freien Improvisationen gehen beide Musiker an die Grenzen des jeweiligen Instruments. Arkay Shilkloper zeigte bereits in dieser ersten Programmhälfte, was man aus einem Waldhorn, einer Trompete oder einem Alphorn alles herausholen kann. So entlockte er dem Waldhorn zusätzlich zu dem gewohnten Klang noch kontrollierte Nebenklänge, die dem menschlichen Gesang ähnelten. Beim Alphorn hielt er durch eine besondere Blastechnik den Ton beliebig lange an, so dass sich der Zuhörer fragte, wie er zwischendurch noch Luft holen konnte. Oder er entfernte das Mundstück und spielte kurzzeitig nur mit diesem, um es dann elegant – fast unmerklich – wieder anzuschließen und normal weiterzuspielen. Dann wieder spielte er mit dem Waldhorn direkt in den geöffneten Flügel hinein und brachte damit die Saiten zum Schwingen, die sein Spiel als fernes Echo zurücksendeten.

Doch der Star des ersten Teils war trotz Shilklopers stupender Blaskünste Vadim Neselovskyi, der auf dem Flügel mit weit heruntergebeugtem Kopf ähnliche technische Kunststücke und musikalische Kreationen hervorbrachte wie der ihm in Haltung und Spielart ähnelnde Glenn Gould. Brilliante, eng geführte Figuren wechselten sich mit rasanten Läufen, schnellen Akkordketten oder plötzlichen Clustern ab, dann wieder folgten nachdenkliche, geradezu versonnene Passagen. Zwischendurch begleitete er Arkady Shilkloper dadurch, dass er den Flügel gezielt wie eine Harfe mit der Hand an den Saiten spielte. Gleich die erste Komposition, „Russian Suite“ von Vadim Neselovsky, bot vor allem dem Pianisten vielfältige Möglichkeiten, seine technischen und musikalischen Fähigkeiten zu zeigen. Es besteht aus einem ausgedehnten Klaviersolo, in das Arkady Shilkloper nur hin und wieder einen Kommentar einfügte. Dieser Einstieg war eine Verbeugung von Arkady Shilklopper vor seinem Freund, der extra für dieses Konzert von New York eingeflogen war und zeigte, dass er zu Recht einen prominenten Platz in der Programmfolge erhalten hatte.

Die Musik Shilklopers und Neselovskyis bewegt sich im Grenzbereich zwischen Jazz und moderner (E-)Musik, dort, wo die Grenzen seit einiger Zeit sowieso verschwimmen. Hier gilt das Wort eines bekannten Musikkritikers, dass Musik Gefühlslagen ausdrücken könne, die sich mit Worten jeglicher Sprache nur unzulänglich wiedergeben ließen. Ähnlich, wie späte Sonaten Beethovens oder Schuberts den Zuhörer in eine eigene emotionale Welt versetzen, tut dies auch der moderne Jazz durch Ausweitung der harmonischen Felder. Jazz wird oftmals noch mit Swing, „traditional“ oder gar Dixieland mit ihrer vordergründigen, fast naiven Lebens- und Spielfreude verwechselt. Dagegen hat er durch die harmonische und metrische Entgrenzung längst andere Dimensionen erreicht, die man an diesem Abend im wahrsten Sinne erhören und erfahren konnte.

Im zweiten Teil traten dann drei weitere Musiker zu dem Duo: der Bassist Tom Götze, der Schlagzeuger Oleg Baltaga und die Hornistin Juliane Baucke aus dem Orchester des Staatstheaters. Als Arkady Shilkloper im September 2012 als Solist des Sinfoniekonzerts auftrat, lud er Juliane Baucke spontan zu diesem Auftritt ein, da sie nicht nur das Waldhorn sehr gut spielt, sondern auch das Alphorn beherrscht. Vadim Neselovskyi bleib zunächst draußen, und die jetzt vierköpfige Band brachte das Publikum mit rhythmischem Jazz in Stimmung. Dabei herrschten versetzte Latin-Rhythmen vor, und Arkady Shilkloper zeigte, dass man die guten alten europäischen Instrumente – selbst das Alphorn – auch hier ohne Abstriche einsetzen kann. Vor allem auf dem schwierigen Alphorn zeigte er sowohl bei Bandnummern als auch in einzelnen Soloauftritten, was man mit diesem Instrument alles machen kann. Als er dann das Alphorn demontierte und in einer verkürzten Version weiter verwendete, befürchtete mancher Zuschauer, dass er die komplizierte Mechanik nicht mehr zusammensetzen könnte. Doch unter launigen Reden fand er die richtigen Teilstücke und baute das Instrument wieder zu alter Herrlichkeit zurück. Auch in diesem Teil kamen fast ausschließlich Shilklopers eigene Kompositionen zu Gehör, darunter Stücke für das Alphorn, die vertraute Namen wie „Glockenblumen“ oder „Weizengras“ trugen und die heile Schweizer Bergwelt heraufbeschworen, wobei Juliane Baucke Arkady Shilkloper auf dem zweiten Alphorn begleitete. Dem standen komplexe Bandkompositionen gegenüber, bei denen auch Tom Götze am Kontrabass und Oleg Baltaga am Schlagzeug in ausgedehnten Soloauftritten ihr Können zeigen konnten.  Auch Vadim Neselovskyi betrat wieder die Bühne und beteiligte sich an dem „grand finale“ für alle Instrumente, wobei er auch eine Melodica einsetzte. Mit der rechten Hand spielte er dieses Blasinstrument, und mit der linken begleitete er sich selbst am Flügel, was ein Höchstmaß an Koordination der beiden Hände erforderte.

Die Kompositionen zogen sich mit allen Soli derart in die Länge, dass die übliche Zeitvon zwei Stunden für ein Kammerkonzert um gut eine halbe Stunde überschritten wurde. Doch die Lebendigkeit der Musiker, ihre Kreativität, die anspruchsvolle und doch lebensfrohe Musik, die immer wieder Elemente des osteuropäischen Volkslieds einflocht, und die launigen Zwischentexte von Arkady Shilkloper und Vadim Neselovskyi ließen die Zeit wie im Fluge vergehen. Die Tatsache, dass viele Jazz-Liebhaber eigens zu dieser Veranstaltung gekommen waren und nicht zu dem typischen Kammermusik-Publikum gehörten, tat ein Übriges, um diese Verlängerung des Programms nicht als Zumutung sondern als Geschenk zu begreifen.

Das Publikum dankte den Musikern mit langem, begeistertem Beifall.

Frank Raudszus

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