Mario Vargas Llosa: „Ein diskreter Held“

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Ein melancholischer Roman über das gespannte Verhältnis zwischen den Generationen.

1406_diskreter_heldDer peruanische Autor Mario Vargas verbrachte einen Teil seiner Jugend in der nordperuanischen Provinzstadt Piura. In dem vorliegenden Roman hat er dieser Stadt, mit etwa 350.000 Einwohnern alles andere als ein „Kaff“, dennoch das Denkmal einer beschaulichen, ein wenig aus Raum und Zeit gefallenen Stadt erschrieben. In Piura lebt der Fuhrunternehmer Felicito, bereits weit in den Fünfzigern, ein im Grunde genommen beschauliches Leben mit ungeliebter Gattin, zwei sehr unterschiedlichen Söhnen und einer Geliebten, die für all das zuständig ist, was seine Frau ihm nicht geben kann oder will. Seine Söhne sollen das Unternehmen dereinst übernehmen, doch der ältere bereitet Felicito wegen seines Lebenswandels und seiner geringen Motivation zu einer ernsthaften Arbeit einige Sorgen.

Parallel dazu stellt Llosa zwei andere ältere Männer im mehrere Flugstunden entfernten Lima vor, die sich ebenfalls kurz vor oder bereits im Rentenalter befinden. Der eine, Ismael,  besitzt eine Versicherungsgesellschaft, doch seine beiden Söhne sind außer an einem guten Leben nur am Ableben des Alten und seinem Erbe, jedoch an keiner ernsthaften Tätigkeit interessiert. Der Leser lernt Ismael hauptsächlich aus der Perspektive seines Geschäftsführers und engen Freundes Rigoberto kennen, der sich auf einen Lebensabend mit Reisen nach Europa und intensivem Kunstgenuss vorbereitet. Man kann sich Rigoberto als „alter ego“ des Autors vorstellen, denn ihn umgibt eine stimmige Umgebung mit einer gutherzigen und temperamentvollen Frau und mit einem halbwüchsigen, begabten Sohn, dessen einziges Problem darin besteht, dass er unter „Erscheinungen“ leidet. Er berichtet in Abständen von Treffen mit einem Mann im vorgerückten Alter, der angeblich ein intellektuelles Interesse an dem Jungen hegt und bei dem Vater sofort den Verdacht der Pädo- oder Homophilie hervorruft. Als Rigoberto jedoch herausbekommt, das es diesen Herrn offensichtlich gar nicht gibt, schwankt er zwischen dem Verdacht einer geistigen Störung seines Sohnes oder eines bewussten Spiels des Jungen mit den Ängsten seiner Eltern. Bis zum Schluss bleibt diese Frage offen, und man kann hinter dieser Figur des älteren Beraters durchaus einen Vaterersatz und damit eine versteckte Kritik der Jugend an den Defiziten ihrer Väter verstehen.

Die Handlung gewinnt Fahrt durch Ismaels Entschluss, seine Hausangestellte zu heiraten und damit seine erbgeilen Söhne zu düpieren. Rigoberto, der sich als Trauzeuge zur Verfügung stellt, rückt damit in die erste Reihe für eventuelle Racheeakte von Ismaels Söhne, da nur über die Trauzeugen eine Annullierung der Ehe wegen Unzurechnungsfähigkeit möglich ist. Parallel dazu entwickelt auch die Handlung im fernen Piura eine eigene Dynamik, denn Felicito erhält plötzlich Briefe, in denen ihn eine lokale Mafia-Organisation mit deutlichen Worten zu Schutzgeldzahlungen auffordert. Als er dies in einem öffentlichen Brief in der lokalen Zeitung ablehnt und damit große Zustimmung bei Freunden, Bekannten und Unbekannten erntet, zünden ihm die Erpresser sein Büro an, was ihn jedoch in seiner Standhaftigkeit bestärkt. Dadurch geraten die Erpresser in Zugzwang und entführen kurzerhand Felicitos Geliebte.

Diese doppelte Konfliktsituation bringt nicht nur die Gemüter der Beteiligten in Wallung sondern auch die Handlung in Bewegung. Denn einerseits beginnen die Söhne des nach Europa in die späten Flitterwochen entflohenen Ismael, den zu Hause gebliebenen Rigoberto unter Druck zu setzen, und andererseits jagt in Piura die Polizei Felicitos Erpresser. Anfangs vermitteln die beiden Polizisten eher den Eindruck einer Karikatur behäbiger und latent korrupter südamerikanischer Ordnungshüter, um dann jedoch erstaunlichen Eifer und Spürsinn zu entwickeln und den Erpressern immer dichter auf den Pelz zu rücken. Dabei verdichtet sich der Verdacht immer mehr in einer Richtung, die der aufmerksame Leser bereits geahnt hat. Wir wollen hier jedoch nicht mehr verraten, um potentiellen Lesern nicht die Spannung zu rauben. Nur soviel sei hier gesagt: es geht Mario Vargas Llosa nicht darum, einen spannenden Kriminalroman mit allen Zutaten und einer „last minute“-Auflösung zu schreiben, sondern ihm geht es um das Psychogramm der peruanischen Gesellschaft im allgemeinen und der älteren Generation im speziellen.

Und hier liegt auch der „Hase im Pfeffer“. Llosa beschreibt die einzelnen Charaktere zwar sehr glaubwürdig und überzeugend, schafft aber letztlich ein recht einseitiges Bild. Seine älteren Männer haben sch ihre Stellung alle durch harte Arbeit erkämpft, besonders im Fall des Felicito, der aus der untersten Schicht der ungebildeten Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter stammt und dessen Vater alles dafür gegeben hat, dass sein Sohn einmal ein besseres Leben führt. Sein Lebensmotto lautete, sich niemals „herumschubsen“ zu lassen, und das hat Felicito auch bei den Erpersserbriefen beherzigt. Die beiden anderen Vertreter der älteren Generation werden zwar nicht bis in ihre Kindertage zurückverfolgt, doch auch sie sind ehrenwerte Leute ohne ironischen oder gar satirischen Beigeschmack, und es fällt schwer, sich nicht mit ihren Einstellungen und Verhaltensweisen zu identifizieren. Auch die Ehefrauen – soweit vorhanden – werden nicht gesellschaftlich karikiert oder gar diffamiert. Dass Felicito nichts mit seiner Frau anfangen kann, liegt — nachvollziehbar – daran, dass man ihn damals unter dem Druck einer Schwangerschaft zur Heirat genötigt hat, obwohl er im Laufe der Zeit mehr und mehr an zumindest dieser Vaterschaft gezweifelt hat. Dafür hat seine Geliebte Teile der Ehefrauenrolle auf eine Art und Weise übernommen, die man aus der Sicht des Autors durchaus nachvollziehen kann. Felicito ist kein feige fremdgehender Ehemann einer treusorgenden Ehefrau, sondern ein Mann, der sich zu Recht bei einer durchaus liebenswerten Mätresse das holt, was er bei der von Beginn an ungeliebten Ehefrau nie bekommen hat.

Dagegen sind die Kinder dieser gutsituierten älteren Herren fast durchweg missratene Figuren. Am schlimmsten sind die Söhne Ismaels, die alle negativen Charakteristiken auf sich vereinigen, die man jungen Leuten nachsagen kann: dumm, faul, vergnügungssüchtig, feige und bei Bedarf auch gewalttätig. Man fragt sich natürlich, wie die Söhne bei einem solch distinguierten Vater sich so entwickeln konnten. Entweder haben sie schlechte Gene – von wem? – geerbt, oder er hat sie als Kinder total vernachlässigt. Doch diese Frage beantwortet Llosa nicht. Die Söhne sind halt so schlecht, warum auch immer, und eine Schuld des Vaters wird höchstens von ihnen selbst reklamiert, jedoch in einer Situation, in der ihre Glaubwüdigkeit bereits auf den Nullpunkt gesunken ist. Ähnlich ist es bei Felicito. Ausgerechnet der Sohn, der sich mehr und mehr als nicht sein eigener entpuppt, zeigt sich als Ausbund moralischer Verkommenheit, was ein seltsames Licht auf Llosas Einstellung zu dem Thema der Abstammung und Vererbung wirft. Da auch hier keine Spur von Ironie oder gar Satire zu verspüren ist, ergibt sich die einfache Schlussfolgerung, dass ein Kuckucksei sich stets zu einem schlimmen Bankert entwickeln müsse, da es ja nicht die guten Gene des Vaters geerbt hat. Der „echte“ Vater, das heißt der „Fremde“ oder „Andere“, hat per definitionem schlechte Gene.

Wenn man Mario Vargas Llosas Alter (78) berücksichtigt, dann ergibt sich der Verdacht, dass der Autor in diesem Roman mit der jungen Generation abrechnet. Da deren Verhalten sozusagen als „genetisch“ verdorben dargestellt wird, ohne eine Herleitung dieser Entwicklung aus gesellschaftlichen oder familiären Ursachen, bleibt der unerfreuliche Eindruck, dass hier ein Autor der nächsten Generation pauschal ihre Jugend vorwirft, frei nach dem Motto, das schon die alten Griechen persiflierten: „Die heutige Jugend taugt nichts mehr“. Hinter einer solchen pauschalen Verurteilung steht jedoch meist nur die Frustration über das eigene Altern, die nachlassende Attraktivität vor allem für das andere Geschlecht – und vor allem dessen jüngere Vertreter(innen) – und das nahende Ende der eigenen Existenz. Trotz der prallen Schilderung vieler Figuren, etwa Felicitos Geliebter – erinnert der Roman ein wenig an die „alte Männer“-Literatur eine Philip Roth oder John Updike, die sich in ihren späten Werken ebenfalls hauptsächlich mit nachlassender Potenz und abnehmender Attraktivität beschäftigt haben. Altwerden mag zwar unschön sein, aber deswegen die jüngere Generation in den moralischen Abgrund zu schreiben, ist keine literarisch herausragende Leistung. Wohlgemerkt: dem Autor gelingen eine Reihe glaubwürdiger Charakterdarstellungen – etwa die alte Wahrsagerin, die beiden ambivalenten Polizisten oder Felicitos Geliebte -, aber dahinter steht stets die Aussage, dass die Generation der alten Männer noch Sinn für Ehre, Anstand und seriöse Arbeit hatte, während die jungen Leute nur an Geld und schnellem Vergnügen interessiert sind. Das mag zwar im Einzelfall stimmen, hat aber immer seine Ursache im (elterlichen?) Umfeld und ist als Pauschalurteil über eine ganze Generation zu billig.

Marion Vargas Llosas Roman „Ein diskreter Held“ ist im Suhrkamp-Verlag unter der ISBN 978-3-518-42400-1 erschienen, umfasst 381 Seiten und kostet 22,95 €.

Frank Raudszus

 

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