LGTBIQA – Andersartigkeit als Lebensform

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Das Berliner Maxim Gorki Theater bringt Falk Richters „Small Town Boy“ auf die Bühne.

LGTBIQA. Und nun? Zumindest die anfängliche Buchstabenfolge sollte einer offenen Weltbürgerin oder einem gesellschaftlich Interessierten schon mal begegnet sein. Lesbian, gay, transvestite, bisexual – Begriffe und sexuelle Neigungen, mit denen sich etwas verbinden lässt. Hinzu kommen je nach Sichtweise als gegensätzliche Erscheinungsformen zu „straight“!, also heterosexuell, noch „intersexual“ (umgangssprachlich Zwitter), „queer“ als despektierlicher Überbegriff für „von der Norm abweichend“ und „asexual“ als eine Neigung des freiwilligen Verzichts auf Sexualität.

1410_small_town_boy_1Stellt man also diesen bunten Strauß an Lebensformen der Heterosexualität gegenüber, erscheint diese als eine von vielen Formen sexueller Ausprägung. Wir wissen um die relativen Häufigkeiten sowie die Dominanz der Norm. Und obwohl alternative Lebensformen bereits deutliche Toleranz erfahren, ist der Weg zur offenen Akzeptanz, vor allem grenzüberschreitend, noch steinig – wenn nicht vermint – und sehr weit! Gerade in Berlin mag man das vielleicht mit am wenigsten bemerken, da die Stadt im Bundes- und Europavergleich sicher eine der alternativ geprägtesten ist und somit etliche Lebensformen ihren Freiraum finden. Dennoch gib es auch hier im Kleinen Erfahrungsberichte, denen zufolge beispielsweise in bestimmten Ecken von Kreuzberg oder dem Wedding homosexuelle Paare ihre Partnerschaft nicht offen zeigen können.

„Small Town Boy“ verbindet das Ausbrechen einer Generation von Jungen aus der bürgerlichen, auf konservativen Lebensformen aufgebauten Einöde der Provinz. Vater arbeitet, Mutter kümmert sich um den Haushalt und überbehütet die Kinder, die reaktionär ihren Freiraum einfordern. Zugegebenermaßen ist diese Gesellschaftsperspektive gedanklich schon etwas überholt, entspricht aber wider Erwarten noch immer einer breiten Realität. Es kommt also zur Flucht der Jungen in das bunte und freie Berlin, das ein Forum zur Selbsterkenntnis und dem Ausprobieren bietet.

1410_small_town_boy_2Die Zuschauer sehen an diesem Abend einen Ausschnitt auf ein Theater mit multikultureller Prägung. Der in Serbien geborener Schauspieler Russel (Aleksandar Radenković) gleitet in ein homosexuelles One-night-stand mit seinem Regie führenden Kollegen Dan (Thomas Wodianka). Und dabei ist Russel eigentlich in einer Heterobeziehung mit seiner Freundin (Lea Draeger) und kommt sich in der Reflektion des Abends seltsam aber auch angenehm berührt vor. Parallel sehen wir das Schauspiel eines türkischen Endzwanzigers (Mehmet Ateşçí), der in Kreuzberg einer Großfamilie entstammt, aber für sich den Weg auf die andere Seite der Spree gewählt hat. Und was dem spießbürgerlichen Provinzjungen das schlechte Verheimlichen des Rauchens vor den Eltern, ist hier das Verstecken einer familiär inakzeptierten Lebensform. So heiratet nun die Schwester und da kann er nun wirklich nicht sein Coming-Out inszenieren, indem er seinen großen deutschen Freund (Niels Bormann) mitbringt.

1410_small_town_boy_3Das Stück lebt nicht durch eine konsistente Story, sondern durch die emotionale, ekstatische Darstellungsform. In Snapshots reihen sich Einblicke in die Leben der Darsteller aneinander, die sich durch ihre Tiefe der Leidenschaft zur aktuellen Lebenswirklichkeit auszeichnen. Zum einen im ruhigen Dialog zwischen Dan und Russel, die ihren gemeinsamen Abend Revue passieren lassen. Der Sprachgebrauch ist durchmischt von liebevoll, über vulgär provokant bis zur Sachlichkeit. Insgesamt führt es zur großen Erheiterung des Publikums! Es folgen die Selbstgespräche zum Selbstzweifel und zur Selbstfindung des großen Deutschen, der bereits 42 Jahre alt ist, sich aber im Körper eines 12 jährigen gefangen sieht. Mit großem Schmerz beneidet er die Paare, die sich nach dem Ja-Wort gemeinsam der Wohnungsverschönerung und den Versicherungen widmen. Seine Forderung, bei der Hochzeit der Schwester seines Freundes mitkommen zu dürfen, ist tragisch, aufgewühlt und letztlich doch erfolglos.

Aus dem fiktiven Geschehen wechselt die Perspektive dann plötzlich Richtung Russland und Vladimir Putin. Ein Posterwald wird errichtet, der Putin in bekannten archaischen Posen und zusammen mit der deutschen politischen Elite im Einklang wirtschaftlicher Interessen zeigt. Offensichtlich hat sich gerade in Russland die politische Toleranz gegenüber LGTB stark zurückgebildet, und die Welt schaut weg. Es gibt kein Volk auf der Welt, das hier intervenieren könnte. So bleibt der Protest fragmentiert und unterhalb der politisch gewichtigen Relevanz. Es ist legitim und richtig, dass Theater einmal so direkt und klar einen Mangel anprangert und damit auch keinen Spielraum für Interpretation lässt. Allerdings erscheint die Sequenz etwas in die Länge gezogen und lässt eine differenzierte Betrachtung der russischen Lebenswirklichkeit sowie eine Würdigung lokaler Initiativen vermissen. Somit leidet sie unter einem tendenziösen Charakter hin zu allgemeiner Russlandkritik, die nicht hilfreich ist. Aber wir befinden uns im Theater und Schauspieler spielen ein Stück – dies ist kein Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung.

Falk Richter hat als Autor und Regisseur mit „Small Town Boy“ ein herausragendes Theaterstück mit echter aktueller Relevanz geschaffen. So muss Theater sein! Viel zu sehr haben wir uns daran gewöhnt, dass Theater historisch repetitiv ist und gesellschaftliche Probleme aus dem 19. oder 20. Jahrhundert in hübscher Kostümierung auf die Bühne gebracht werden. Natürlich mag es gelegentlich einen aktuellen Bezug geben, aber ehrlicherweise hat jede Zeit genug eigene Themen, für die sich der Protest lohnt. Wer sich also aktiv mit dem Heute auseinandersetzen möchte, sollte das Maxim Gorki Theater als erste Adresse verstanden wissen.

Malte Raudszus

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