Lisa Randall: „Dunkle Materie und Dinosaurier“

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Eine „tour d´horizon“ durch naturwissenschaftliches Neuland

Wer aufgrund des Titels dieses Buchs ein spannendes populärwissenschaftliches Buch erwartet, das man vor allem Heranwachsenden zwecks Steigerung der Leselust schenken kann, liegt völlig falsch. Hier geht es nicht um aufregende Geschichten über den „Tyrannosaurus Rex“ à la „Jurassic Park“  und spektakuläre Spekulationen über Leben und Sterben der Dinosaurier, sondern dieses Buch ist letztlich eine Art Forschungsbericht über ein völlig neues Thema, dem man sich auf verschiedensten Wegen zu nähern versucht und dabei auch in Sackgassen landen kann. Es ist nicht an Leser mit einer blühenden Phantasie und entsprechendem Interesse an „Fantasy“-Literatur gereichtet, sondern an Freunde der Naturwissenschaften, die sich auch den Beschreibungen hoch komplizierter Gedankengebäude und Forschungsaktivitäten stellen und daran ihre intellektuelle Freude haben.

1608_dunkle_materieWorum geht es in diesem Buch? Die Urknall-Theorie, die die Entstehung unseres Universums auf eine spontane „Explosion“ aus einem unvorstellbar kleinen Punkt vor knapp 14 Milliarden Jahre beschreibt, ist mittlerweile bei Naturwissenschaftlern weltweit akzeptierte Hypothese und wird – außer von Kreationisten – nicht mehr angezweifelt. Eingehende Berechnungen aufgrund der messbaren Geschwindigkeiten, mit denen die Galaxien auseinanderstreben, und der zumindest grob messbaren Masse der Galaxien und Staubfelder haben jedoch ergeben, dass die Expansion wesentlich schneller vonstatten gehen müsste. Daraus schloss man auf die Existenz einer „dunklen Materie“ mit einer die sichtbare Materie um ein Mehrfaches übersteigenden Masse. Ähnliches gilt übrigens für die „dunkle Energie“, die ebenfalls die messbare Energie im Universum bei weitem übersteigt, die jedoch wegen fehlender Messmöglichkeiten nicht identifizierbar ist. Diese Energie ist zwar nicht Bestandteil dieses Buches und wird nur am Rande erwähnt, könnte aber mit der „dunklen Materie“ zusammenhängen.

Für Laien sei hier gleich ein mögliches Missverständnis ausgeräumt – und das tut auch die Autorin gleich zu Beginn: die dunkle Materie hat nichts mit den „schwarzen Löchern“ zu tun, die sich wegen der ähnlichen „Farbgebung“ intuitiv zu einer Gleichsetzung anbieten. Allerdings gab es sogar einige Zeit Überlegungen, ob „schwarze Löcher“ ein Teil der „dunklen Materie“ sein könnten; doch gegen diese Hypothese sprachen zu viele Gegenargumente, so dass sie heute nicht mehr weiterverfolgt wird.

Die im Weltraum beobachtbare und damit messbare Materie – Galaxien, Sterne, Planeten, Staubwolken, Asteroiden – reagiert auf Licht und andere elektromagnetische Strahlung, in dem sie diese reflektiert und – im Falle des Lichts – sichtbar wird. Die „dunkle Materie“ zeigt keinerlei Wechselwirkung mit anderer Materie, so dass es bis heute keine Möglichkeit gibt, sie zu messen. Den Wissenschaftlern bleibt nur die Möglichkeit, die Existenz und die Eigenschaften der „dunklen Materie“ durch mittelbare Folgen zu identifizieren. Die einzige Wechselwirkung mit anderer Materie besteht nach heutigem Wissen in der Gravitation, da die „dunkle Materie“ ja offensichtlich das Universum zusammenhält.

Lisa Randall beschreibt in diesem Buch die verschiedenen Hypothesen zum Wesen der „dunklen Materie“ und die mühsamen Experimente, mit denen man diese Hypothesen zu belegen oder zu widerlegen versucht. In vielen Fällen ergeben die Experimente gar kein Ergebnis, was man nach seriöser wissenschaftlichen Arbeitsweise meist als Widerlegung betrachten muss. In anderen Fällen werden zwar bestimmte Signale gemessen, die aber durchaus von anderen, näher liegenden Ursachen stammen können (und meist auch daher stammen) und nur wegen fehlender Messgenauigkeit nicht getrennt werden können.

Um all diese Überlegungen den Lesern verständlich zu machen, holt Lisa Randall weit aus und erklärt noch einmal den Ursprung und das Wesen des Universums aus verschiedenen Perspektiven. Dazu gehören die Entstehung von Galaxien aus kosmischem Staub und unter der Einwirkung der Gravitation, die Bildung von Sternen und Planeten aus den wirbelnden Staub- und Materiefeldern einer Galaxie sowie die Asteroiden, Kometen und sonstige Begleiter eines Sonnensystems. Auch auf die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben kommt sie detailliert zu sprechen und vor allem die möglichen Gründe für massenhaftes Artensterben. Damit kommen auch die Dinosaurier ins Spiel. Wie mittlerweile wissenschaftlich bewiesen ist, schlug vor etwa 66 Millionen Jahren ein großer Komet auf der Halbinsel Yucatan (Mexiko) ein. Die weltweiten Tsunamis vernichteten einen Großteil der in Meeresnähe lebenden Tierwelt, und die anschließende Verdunkelung des Himmels durch den Auswurf des Einschlags stoppte die Photosynthese und ließ damit vor allem die großen Pflanzenfresser wie die Dionosaurier binnen – geologisch – kurzer Zeit aussterben.

Für die Wissenschaft stellte sich bei genauerem Hinsehen die Frage, ob solche Ereignisse rein zufällig geschehen oder ob sie periodisch auftreten. Denn man hatte im Laufe des letzten Jahrhunderts mehrere solcher Einschläge mit anschließendem Massensterben beobachtet. Genauere Datierung der jeweiligen Ereignisse – eine im Übrigen sehr komplizierte Aufgabe, die Lisa Randall ebenfalls im Detail erklärt – ergab eine Periode von 30 bis 35 Millionen Jahren. Dabei stellte sich geradezu zwanghaft die Frage, ob diese Periodizität auf größere Zusammenhänge zurückzuführen sind.

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, beschreibt Lisa Randall zuerst einmal den Aufbau des Sonnensystems. Der Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter kommt als Ursprung der Kometen nicht in Frage, da die Asteroiden durch den Jupiter in ihrer Bahn gehalten werden. Um auf der Erde einzuschlagen, muss jedoch ein Himmelskörper seine Umlaufbahn verlassen. Als zweiter Ursprung kommt die „Oortsche Wolke“ in Frage, die weit außerhalb der Planetenbahnen wie ein riesiger Topf das Sonnensystem umschließt und aus vereisten Körpern im Meter- bis Kilometerbereich besteht. Da dort die Anziehungskraft der Sonne auf ein Minimum gesunken ist, lassen sich die Himmelskörper durch externe Einflüsse leicht aus der Bahn lenken. Dadurch können sie stark elliptische Bahnen einnehmen, die sie schließlich ins Innere des Sonnensystems und damit in die Nähe der Erde führen. Entsprechende Berechnungen haben ergeben, dass weder die nächsten Sterne noch die sichtbare Masse des Zentrums der Milchstraße – unserer Galaxie – eine entsprechende Anziehungskraft ausüben können.

Hier kommt für Lisa Randall die „dunkle Materie“ ins Spiel. Sie unterstellt, dass diese genauso wie die sichtbare Materie unserer Galaxis zu irgendeinem Zeitpunkt aufgrund der eigenen Gravitation zu einer Scheibe zusammengefallen ist (in radialer Richtung steht die Fliehkraft gegen einen Zusammenbruch), die sich in der Mitte der sichtbaren galaktischen Scheibe angesiedelt hat. Unser Sonnensystem umkreist das Zentrum der Galaxis in 240 Millionen Jahren einmal. Da es dabei jedoch Wellenbewegungen – auf und ab – durchführt, durchstößt es in periodischen Abständen die Mitte der Galaxis und damit auch die dünne Scheibe „dunkler Materie“. Die Periodizität dieser Durchläufe stimmt ziemlich genau mit den Abständen katastrophaler Kometeneinschläge überein. So könnte die Gravitation der dünnen Scheibe „dunkler Materie“ bei jedem dieser Durchläufe einige Körper der Oortschen Wolke aus ihrer Bahn geworfen und in das Innere des Sonnensystems gelenkt haben. Vor 66 Millionen Jahren hätte die „dunkle Materie“ somit zum massenhaften Aussterben von Arten, vor allem der Disnosaurier, geführt. Quod erat demonstrandum!

Natürlich ist dies kein Beweis, sondern lediglich eine in sich schlüssige Hypothese, die sich durch die beschriebenen Übereinstimmungen stützen, aber nicht beweisen lässt. Lisa Randall behauptet als seriöse Wissenschaftlerin auch nie, dass es sich hier um eine gesichert Erkenntnis handelt. Sie deckt jedoch mit ihrem Buch kosmische Zusammenhänge auf, die so bisher nicht bekannt waren, und bietet dafür eine mögliche, konsistente Erklärung, die jedoch noch einer experimentellen Überprüfung bedarf. Ob diese im kosmischen Maßstab je möglich sein wird, ist eine andere Frage. Vorher müsste man jedoch das Wesen der „dunklen Materie“ entschlüsseln. Wie Lisa Randall mit akribischer Genauigkeit und Detailfreude zeigt, ist man dieser neuen Form der Materie weltweit auf der Spur, nähert sich ihrem wahren Wesen jedoch nur in winzigen Schritten. Seriöse Wissenschaftler wie Lisa Randall erwarten jedoch nicht den großen Wurf oder die geniale, alles erklärende Idee, sondern wissen, dass nur mühsame, jahrelange Kleinarbeit mit vielen Irrwegen schließlich die erwünschten Erkenntnisse bringt. Wünschen wir ihr und der internationalen Gemeinde der Astro- und Teilchenphysiker, dass sie dem Wesen der „dunklen Materie“ und ihren Auswirkungen auf den Kosmos stetig und erfolgreich zu Leibe rücken. Dieses Buch ist ein kleines Stück im großen Puzzle der (Astro-)Physik.

Das Buch „Dunkle Materie und Dinosaurier“ ist im Verlag S. Fischer erschienen, umfasst 460 Seiten und kostet 24,99 Euro.

Frank Raudszus

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