Saphia Azzeddine: „Bilqiss“

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Die junge Bilqiss lebt in einem nicht näher identifizierten muslimischen Land und ist zum Tode durch Steinigung verurteilt worden. In einer spontanen Handlung hat sie es gewagt, vom Minarett den „Adhan“, den muslimischen Gebetsruf, zu verkünden. Dabei hat sie jedoch nicht den üblichen Text verwendet, sondern den Gläubigen zugerufen, dass Allah auch denen verzeiht, die nicht beten. Damit hat sie, so lautet der Vorwurf, die Muslime aufgefordert, vom rechten Weg abzuweichen und ungläubig zu werden. Dass sie sich als Frau erdreistet hat, ungefragt die religiösen Aufgaben eines Mannes zu übernehmen und damit die Glaubensregeln in Frage zu stellen, ist unvorstellbar und daher unverzeihlich.

Bilqiss kommt ins Gefängnis, und nach mehreren öffentlichen Verhandlungen dringt der Fall dank heimlicher Videoaufnahmen bis in die USA. Als dort die jüdische Journalistin Leandra davon erfährt, bricht sie in die Heimat der Verurteilten auf, um sie zu besuchen und eine Reportage über den Fall zu schreiben. Im Stillen hofft sie sogar auf eine Rettung der jungen Frau. Leandra erfährt von Bilqiss, dass sie ihren Mann erschlagen hat, weil ihre Ehe nichts als eine Serie von Vergewaltigungen unter dem Deckmantel ehelichen Verkehrs gewesen sei. Sie hört auch von der unmöglichen Liebe des Richters zu Bilqiss, der sie immer wieder im Gefängnis besucht und ihr Wege aufzeigt, der Steinigung zu entgehen. Doch Bilqiss lehnt alle Vorschläge zu ihrer Rettung ab und wehrt sich auch energisch gegen Leandras Hilfsbereitschaft, weil sie klar erkennt, dass die Journalistin sich in ihrem Mitleid und ihren Rettungsversuchen selbst gut fühlen will.

Der Leser erlebt in Saphia Azzeddines Roman eine gnadenlose Abrechnung mit falschen Gefühlen und falsch verstandener Religion. Bilqiss´ absolute Ehrlichkeit stößt sowohl den Richter als auch die Journalistin und ebenso den Leser vor den Kopf. Immer wieder zwingt diese Haltung die Protagonisten wie auch die Leser zum Überdenken der eigenen Position. Das überraschende Ende verkehrt die Welt noch einmal komplett und zeigt, auf welch dünnem Eis Gerechtigkeit erfahrbar wird und wie schnell eine Unschuldige schuldig werden kann.

Azzeddines Roman ist voller Spannung, so dass man ihn kaum aus der Hand legen kann. Er hinterfragt unsere westliche Moral und unser Gutmenschentum, aber auch den Fanatismus und die falsche Auslegung des Korans. Dieses Buch ist absolut lesenswert.

Es ist im Wagenbach-Verlag erschienen, umfasst 171 Seiten und kostet 20 Euro.

Barbara Raudszus

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