Ingo Schulze: „Peter Holtz“

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Peter Holtz ist ein Heimkind der DDR und liebt den Sozialismus, denn er eröffnet ihm wunderbare Möglichkeiten. So lässt es sich der Zehnjährige in einer HO-Gaststätte bei Eisbein und Fassbrause munden und verweigert die Bezahlung, da die sozialistische Gemeinschaft ja nach eigenen Angaben für das Wohlergehen ihrer Bürger verantwortlich sei. Der sozialistische Staat müsse daher speziell ihn gut ernähren, kleiden und gut ausbilden, damit er später ein wertvolles Mitglied dieses Staates werde. Die Kellnerin ist leider völlig uneinsichtig und antwortet ihm mit einem „Bei dir piept´s ja!“. Diese Reaktion versteht Peter überhaupt nicht. Leider geht es für Peter, den wir als eine moderne Version des Simplicissimus verstehen können, gar nicht gerecht zu. Obwohl – oder weil – er alle Aussagen des DDR-Staates wörtlich nimmt und naiv auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, eckt er ständig an.

Sein Freund Wolfgang beispielsweise behauptet sogar, in der DDR gebe es keine Freiheit, da die Bürger nicht in den Westen fahren dürften; außerdem seien die Wahlen und das Parlament wegen ihrer erzwungenen Einstimmigkeit nur Scheininstitutionen ohne wirkliche Einflussnahme des Volkes. Da platzt Peter der Kragen, und er beweist seinem Freund, wie er der westlichen Hetze auf den Leim gegangen sei. Denn im Unterricht habe er gerade gelernt, dass das westliche System eine Scheindemokratie sei, in der alle Parteien außer der KPD von den selben Konzernen finanziert würden.

So ergeht es den armen Pater ständig. So sehr er die Segnungen des Sozialismus auch verinnerlicht, kommt er dennoch mit seinen Thesen nicht gut an. Deshalb erscheinen ihm Kommunismus und Christentum als ideale Partner, denen er sich überzeugt verschreibt.

Nach der Wende lernt Peter schließlich die Segnungen des Kapitalismus kennen durch Immobilien und viel Glück zu enormem Reichtum. Er versucht zwar, sein Geld immer wieder durch entsprechende Investitionen im Sinne des Sozialismus für gute Zwecke auszugeben, aber die kapitalistische Ironie will es, dass er dadurch wider Willen nur noch reicher wird.

Ingo Schulze zeichnet mit viel Witz den Lebensweg eines DDR-Kindes nach. Sozialismus, Christentum, Kommunismus und zu guter letzt der Kapitalismus reduziert der vordergründig naive Peter Holtz auf einfache Formeln. Am Ende belohnt ihn ausgerechnet die aus tiefstem herzen abgelehnte kapitalistische Marktwirtschaft.

Das Buch ist mit viel Ironie und ohne erhobenen Zeigefinger geschrieben und amüsant zu lesen. Allerdings treten durch Wiederholungen ähnlicher Erzählmuster deutliche Längen auf, die nicht durch einschneidende Ereignisse – wie etwa denen im Dreißigjährigen Krieg des Simplicissimus – aufgelockert werden. Daraus ergibt sich zeitweise ein Ermüdungseffekt, der dem Lesegenuss nicht unbedingt zugute kommt.

Der Roman „Peter Holtz“ ist im Verlag S. Fischer erschienen, umfasst 571 Seiten und kostet 22 Euro.

Barbara Raudszus

 

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