Viet Thanh Nguyen: „Der Sympathisant“

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Für das Verständnis dieses Romans ist eine grobe Kenntnis der Biographie des Autors wichtig. Er ist Sohn vietnamesischer und westlicher (USA?) Elternteile und nimmt damit eine Zwitterstellung der beiden „Rassen“ ein, die auch im Roman eine zentrale Rolle spielt. Er selbst verließ im Jahr 1975 als Vierjähriger Vietnam nach dem Sieg des Vietcong in Richtung USA, wo er später studierte und heute lebt.

Der Protagonist und Ich-Erzähler dieses Romans ist rund zwanzig Jahre älter als der Autor und kann deshalb als Offizier der südvietnamesischen Armee den Krieg selbst erleben und daran teilnehmen. Er verlässt Saigon mit dem letzten Flugzeug und kommt als Flüchtling nach Kalifornien. Dort dient er weiterhin seinem ehemaligen Vorgesetzten, einem General, als Berater. In Wirklichkeit jedoch berichtet er der neuen vietnamesischen Regierung in Geheimnachrichten über die Aktivitäten und Pläne der geflüchteten Militärs. Eine Blutsbrüderschaft aus Jugendtagen bindet ihn an den hohen kommunistischen Parteifunktionär Man, den Empfänger seiner Botschaften. Doch diese Blutsbrüderschaft bindet ihn auch an Bon, einen überzeugten Antikommunisten, der mit ihm in die USA flieht. In der Gestalt dessen kleinen Sohnes, den bei der Flucht eine verirrte Kugel tödlich trifft, verweist der Autor metaphorisch auf sich selbst, denn man kann in dem Tod des kleinen Jungen auch den Tod des Autors als Vietnamese sehen, der trotz seiner halben vietnamesischen Wurzeln als Amerikaner aufwuchs. Der Ich-Erzähler wuchs als Kind einer Vietnamesin und eines bigotten französischen Missionars auf, der ihn nicht als Sohn akzeptierte sondern als „Bastard“ beschimpfte. Der Autor hat einen ähnlichen Hintergrund, aber die Details dürften weniger autobiographisch gefärbt sein, da zum Zeitpunkt seiner Geburt die Franzosen nicht mehr im Land waren.

Gegenstand des Romans sind der zu Ende gehende Vietnamkrieg, die Flucht der südvietnamesischen Oberschicht und Militärs und deren – von vornherein illusionären – Aktivitäten zur Rückeroberung des Landes. Die Schilderung der Situation erfolgt aus der Sicht eines überzeugten Kommunisten, der als Spion in den Reihen des Gegners in gehobener Situation arbeitet und auf diese Weise zu einem ideologischen Zwitterwesen mutiert. Die Analogie zur Zwitterstellung der genealogischen Herkunft ist unübersehbar und dürfte wohl als metaphorisches Strukturelement des Romans gemeint sein. So wie der Ich-Erzähler weder von den Amerikanern noch von seinen eigenen Landsleuten als ihresgleichen anerkannt wird, so bewegt er sich auch ideologisch zwischen den Fronten und bezahlt am Ende dafür.

Bereits zu Beginn bei der überstürzten Flucht aus Saigon wirkt der Protagonist eher lakonisch-distanziert denn ideologisch begeistert über die Niederlage der „US-Imperialisten“. Seine Tätigkeit als verdeckter Spion für den Norden ist bereits zu diesem Zeitpunkt mehr auf die Blutsbrüderschaft mit dem überzeugten Kommunisten Man zurückzuführen als auf eigene Überzeugungen. Der Autor bemüht sich förmlich, seinem Helden keine Überzeugungen mitzugeben. Auch bei der anschließenden Wartezeit in Kalifornien – man hängt herum und wartet bei minimalen sozialen Standards darauf, dass irgendetwas geschieht – nimmt er die Annehmlichkeiten des Westens – Whiskey und Sex – ohne schlechtes Gewissen mit, ohne jedoch seine Spionagepflichten deswegen zu vernachlässigen. Allerdings ist er an zwei Morden an vermeintlichen Verrätern mitschuldig. Nennt er im ersten Fall nur aus taktischen Gründen einen (falschen) Verdächtigen, um selbst nicht aufzufallen, muss er im zweiten Fall ausgerechnet einen erotischen Rivalen mit eigener Hand umbringen, weil man diesen – ebenfalls zu Unrecht – als Verräter an der (süd)vietnamesischen Sache verdächtigt. Diese Schuld lastet auf seinem Gewissen, da die beiden eliminierten ehemaligen Kämpfer des Südens sich höchstens des Wohllebens schuldig gemacht hatten. Die zunehmende Distanz zur absoluten Ideologie des kommunistischen Vietnams machen es ihm auch unmöglich, diese Morde als notwendige Eliminierung von Konterrevolutionären zu sehen. Durch seine längere Arbeit mit den Vertretern des Westens und seinen Flüchtlingsaufenthalt in Kalifornien hat er die Wertevorstellungen des Westens trotz seiner Spionagetätigkeiten sozusagen subkutan übernommen.

Das schlechte Gewissen führt auch zu der Entscheidung, als Kämpfer zurück nach Asien zu gehen, um vordergründig den Boden für eine Konterrevolution zu bereiten. Eigentlich will er nur seinen anderen Blutsbruder beschützen, der sich in seiner antikommunistischen Naivität freiwillig zu den Kämpfern gemeldet hat. Er hofft im Stillen, in einem günstigen Augenblick zu seinen kommunistischen Brüdern überlaufen zu können.

Doch die Dinge entwickeln sich völlig anders als gedacht. An der Grenze zu Vietnam wird der zusammengewürfelte Haufen von Desperados zusammengeschossen und die Überlebenden – darunter der Protagonist und sein Blutsbruder Bon – gefangen genommen. Nun beginnt für ihn eine Martyrium, denn man unterstellt ihm, von den westlichen Einflüssen vergiftet zu sein, und unterzieht ihn einer körperlich und seelisch unvorstellbaren Umerziehungstortur. Dauerlicht, Schlafentzug, Nacktheit und Dauerbefragungen lassen ihn nur noch auf den Tod hoffen, den ihm ausgerechnet sein Blutsbruder Man bringen soll, der die Umerziehung leitet.

Doch auch hier sorgt der Autor noch einmal für eine überraschende Wende. Denn der glühende Kommunist Man, Kämpfer für Unabhängigkeit und Freiheit (Vietnams vom  Westen) musste mitansehen, wie die Nordvietnamesen nach ihrem Sieg ein beispielloses Terrorregime installierten, das die Eliminierung aller echten und vermeintlichen Staatsfeinde sowie die brutale Umerziehung aller restlichen (Süd-)Vietnamesen zu kollektivistischen Maschinen ohne Individualität zum Ziel hat. So endet der Roman in gewissem Sinne als Happy End, wirkt aber gerade dadurch etwas aufgesetzt und inkonsequent.

Viet Thanh Nguyen lässt in diesem Roman noch einmal die Ereignisse der siebziger Jahre in und um Vietnam Revue passieren. In gewisser Weise ist das ein mehr oder minder nostalgischer Rückblick, der weitgehend auf die autobiographischen Randbedingungen zurückzuführen ist. Die fehlende Aktualität des Stoffes – Vietnam ist heute enger Partner der USA gegen China! – lässt sich nur durch zeitlose Aspekte des Romans kompensieren. Die Beschreibung der physischen und psychischen Folter stellt eine solche Kompensation dar, denn diese findet man  auch heute noch in vergleichbaren Regimen. Andere kritische Aspekt sind durchaus vorhanden, muten jedoch ein wenig wohlfeil an. So wird der Protagonist als Berater für einen US-Film über den Vietnamkrieg angeheuert. Das eröffnet die Möglichkeit einer Abrechnung mit Hollywood, der US-amerikanischen Filmindustrie und deren propangandistischen Mission, die Nguyen auch durchaus nutzt. Doch rennt er damit mehr oder minder offene Türen ein, wenn er mehr als ein flott zu lesendes Stimmungsbild einer Filmcrew liefern will. Es gibt durchaus tiefer gehende und bissigere literarische Hollywood-Kritiken. Außerdem steht diese Episode ein wenig verloren in dem Roman, weil die Handlungsfäden mit dem Ende dieser Episode sang- und klanglos verschwinden. Man hat das Gefühl, Viet Thanh Nguyen habe unbedingt auch Hollywood in seinem Roman unterbringen wollen, auch wenn es mit dem eigentlichen Thema nicht allzu viel zu tun hat.

Ähnliches gilt für die Liebesgeschichte mit der Tochter des Generals, die sich wie vom Lektor hineingepresst anfühlt. Auch sie hat mit der Handlung nicht viel zu tun und wird sozusagen nebenbei erzählt. Den Widerwillen des Autors gegen diese Art der verkaufsfördernden Aufhübschung des Romans kann man auch am Stil erkennen, wenn er die langen Beine der Generalstochter fast wie in einem Groschenroman preist.

Von diesen Schwächen abgesehen, liest sich das Buch spannend und durchaus informativ. Man erfährt vieles über die letzten Tage des korrupten südvietnamesischen Regimes, aber auch über den blutigen Krieg im heißen Dschungel und über das brutale Regime des siegreichen Nordens Vietnams. Daneben gibt eine eher zahme Kritik am „american way of life“, die angesichts der aktuellen Situation in den USA fast schon bieder wirkt.

Das Buch ist im Blessing-Verlag erschienen und kostet 24,99 Euro.

Frank Raudszus

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