Eva-Maria Schnurr (HG.): „Die Kelten“

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Die Kelten haben sich in der Geschichte den geradezu mythischen Ruf eines geheimnisvollen Volkes mit hoher Kultur und ausgeprägten Fähigkeiten erworben. Nicht zuletzt die „Asterix-Serie“ von Uderzo und Goscinny setzt ihnen ein Denkmal, auch wenn sie dort unter dem Namen „Gallier“ geführt werden. Die Herausgeberin und ihre Mit-Autoren des vorliegenden Buches lüften nicht nur so manches Geheimnis, sie entzaubern – leider – auch den Mythos und zeigen in ihren Beiträgen, dass dieser einer verklärenden Romantisierung zu verdanken ist. Wesentlich zu dieser Mythologisierung hat dabei die Tatsache beigetragen, dass die Kelten verschwunden sind und im Gegensatz zu Ägyptern, Griechen und Römern nur wenig Artefakte und Bauten hinterlassen haben.

Die Zeit der Kelten erstreckt sich von ca. 600 v. Chr. bis nahe an die Zeitenwende. Gaius Julius Caesar hat mit dem vollständigen Sieg über die Gallier im Jahr 52 v. Chr. nicht nur die von den Römern summarisch „Galli“ genannten Volksstämme des heutigen Frankreich, Belgiens und der Schweiz besiegt, sondern damit auch endgültig die Kultur der Kelten beseitigt. Die besiegten Volksstämme haben sich anschließend weitgehend in das römische Imperium integriert und auch assimiliert. Dabei dachten sie nicht an den romantische Sehnsucht einer nostalgischen Nachwelt nach einem in sich geschlossenen und großartigen Narrativ.

Das Siedlungsgebiet der Kelten erstreckte sich vom östlichen Frankreich über Süddeutschland und Österreich bis in die heutige Slowakei und Ungarn. Doch im Gegensatz zu dem heutigen nostalgischen Grundrauschen waren die Kelten weder eine ethnisch noch politisch homogene Gemeinschaft, sondern bestanden aus einer Reihe von weitgehend selbständigen Stämmen, die zwar über eine ähnliche Kultur und Wesensart verfügten, diese jedoch in weitgehender Unabhängigkeit voneinander pflegten. Das brach ihnen letztlich in den Kämpfen mit dem römischen Imperium auch das Genick, denn sie konnten sich nur in seltenen Fällen zu schlagkräftigen Koalitionen zusammentun. Eigenwilligkeit und Unabhängigkeit waren ihnen wichtiger als vereinte Schlagkraft.

Das Buch zeigt bereits bei der Suche nach den Vorfahren der Kelten die weitgehende Unsicherheit der Forschung mangels schriftlicher Nachlässe. Der mythische Ruf der Kelten wurde dabei vor allem durch antike Historiker etabliert, die beeindruckende Geschichten nach dem Hörensagen weitergaben und teilweise sogar voneinander abschrieben. Aus nachgewiesenen Siedlungsgebieten wie der Heuneburg konnten viele Funde gesichert und ausgewertet werden, sie geben aber nur beschränkt Auskunft über die sozialen Strukturen und Herrschaftsverhältnisse. Vieles bleibt der Spekulation überlassen. So galten die sogenannten „Fürstensitze“ lange als administrative Mittelpunkte der jeweiligen Herrschaftsbereiche, was sich später jedoch nicht unbedingt als zutreffend erweisen sollte. Sie waren wohl eher Handelszentren. Die Orte Hallstadt und „La Tène“ haben zwar seit langem einen raunenden Ruf, doch auch sie geben kein einheitliches Bild von „den“ Kelten.

Kapitel II und III befassen sich eingehend mit dem Alltag der Fürsten und Bauern sowie der Kultur der Krieger und Druiden, doch es bleiben trotz vieler Fundstücke auch hier viele Fragezeichen. Die Autoren bemühen sich durchgehend ganz offensichtlich darum, nicht die mythische Erwartungshaltung eines nach der großen Erzählung sich sehnenden Publikums zu bedienen, sondern zeigen nüchtern und skeptisch die großen Wissenslücken.

Das letzte Kapitel ist den Dichtern und Mythen der Kelten auf den Britischen Inseln gewidmet. Dank der Insellage und Entfernung von Rom konnten sich vor allem in Irland Sprache und Mythen noch am längsten halten. Das heutige Gälisch gilt als unmittelbarer Nachfolger des alten Keltisch – jedenfalls bei den Iren. Auch hier sind die Wissenschaftler skeptisch, sehen aber noch die größte Nähe zu den Ursprüngen der keltischen Kultur. Dass diese kulturellen Elementen vor allem im Westen Irlands in einer Art völkischer Nostalgie und Folklore kräftig gepflegt und zu touristischen Zwecken präsentiert werden, steht wiederum auf einem anderen Blatt.

Wer von diesem Buch die große Geschichte und die Aufdeckung aller Geheimnisse der Kelten erwartet, wird enttäuscht werden. Dafür erhält er einen so fundierten wie nüchternen Überblick über den Stand der Forschung, wenn dieser auch knapp und bisweilen sogar dürftig ist. Doch das muss nicht an der Forschung liegen, sondern kann ebenso darin seinen Grund haben, dass es die geheimnisvolle, einheitliche Keltenkultur in der von mancher Publikation hochstilisierten Form gar nicht gegeben hat.

Das Buch ist in der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) erschienen, umfasst 192 Seiten und kostet 20 Euro.

Frank Raudszus

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