Sinfonische Musik aus Bläsermund

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Im achtzehnten Jahrhundert waren Bläserensembles groß in Mode. Das lag einerseits daran, dass sie – im Gegensatz zu Streichinstrumenten – bei musikalischen Veranstaltungen in großen Sälen oder im Freien ausreichende Lautstärke bieten konnten, andererseits wohl auch daran, dass aufgrund der Militärmusik einfach ein größeres Angebot an Blasmusikern herrschte. So etablierte sich bald eine eigene Musikgattung, „Harmoniemusik“ genannt, für Ensembles aus Oboen, Fagotten, Klarinetten und Hörnern, für die auch namhafte Komponisten eigene Beiträge lieferten.

Die „Oslo Kammerakademi“

Die „Oslo Kammerakademi“ unter der Leitung des Solo-Oboisten (bei den Osloer Philharmonikern) David Friedemann Strunck ist ein solches Ensemble, das sich bei einer Reihe internationaler Festivals ein hohes Renommé erspielt hat. Im 7. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt trat das Ensemble sowohl mit originalen Harmoniemusiken als auch mit Transkriptionen für Bläserensembles auf.

Am Anfang stand Ignaz Josef Pleyels „Feldparthie in B-Dur „St. Antonin““. Pleyel war Zeitgenosse Mozarts (überlebte diesen aber um vierzig Jahre) und zu dessen Lebzeiten genauso bekannt wie dieser. Danach geriet er jedoch zu Unrecht in Vergessenheit. Die „Feldparthie“ lieferte den Grundstoff für eine bekannte Komposition von Johannes Brahms: die „Haydn-Variationen“ op. 56, die jedem Musikliebhaber geläufig sein sollte. In Wirklichkeit stammt das Thema aus dem zweiten Satz von Pleyels „Feldparthie“, wie man an diesem Abend leicht nachvollziehen konnte. Sechs Bläser (2 Oboen, 2 Hörner, 2 Fagotte, 1 Kontrabass) intonierten dieses kurze, wenn auch viersätzige Werk, das weitgehend homophon ausgelegt ist und immer wieder mit kleinen Generalpausen aufwartet. Nach dem „brahms-berühmten“ zweiten Satz folgt ein lebhaftes Menuett im 6/8-Takt, und ein fröhlicher Kehraus schließt das Werk ab. Die Kammerakademi spielte dieses Werk im historischen Stil, d.h. verzichtete auf die perfekte Glättung aller Kontraste und auf den weichen, wohlklingenden Klang heutiger Aufführungspraxis. Das verlieh der Interpretation eine ausgeprägte Authentizität, und man fühlte sich fast zurückversetzt in einen Park des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in dem ein solches Bläserensemble einem umherwandelndes Publikum unterhält.

Dem folgte an zweiter Stelle die Transkription von Joseph Haydns Sinfonie Nr. 92, die „Oxforder“, für Bläser arrangiert von dem österreichischen Oboisten Josef Triebensee. Der Grund für diese Version bestand darin, dass zu Haydns Zeiten nur wenige Bürger die Möglichkeit hatten, eine Sinfonie „live“ zu erleben. Daher bearbeitete man sie gerne entweder für ein oder zwei Klavier(e) oder aber für Bläserensembles. Die Kammerakademi rüstete für dieses Stück um zwei Klarinetten auf, wobei die einzelnen Instrumentengruppen die Aufstellung eines Sinfonieorchesters spiegelten. Links standen die hellen, scharfen Stimmen der Oboen als Violin-„Ersatz“, daneben und dahinter – wie im großen Orchester – die zwei Hörner als Blechbläser. Dann folgte der einsame Kontrabass der vom rechten Rand in die Mitte gerückt war, und es folgten die beiden Fagotte als Vertreter der Violoncelli. Am rechten Rand ahmten die Klarinetten den weichen, warmen Klang der Bratschen nach. Mit dieser Konstellation ließ sich das Klangbild der Sinfonie recht gut umsetzen, und man hatte keinen Augenblick das Gefühl musikalischer Unangemessenheit. Vor allem der repräsentative Duktus dieser Sinfonie kam in der Interpretation des Bläserensembles gut zum Ausdruck. Für viele Musikliebhaber des ausgehenden 18. Jahrhundert dürfte eine solche Interpretation einer Sinfonie durchaus ein angemessener Ersatz für eine Originalaufführung gewesen sein.

Nach der Pause stand zuerst ein modernes Stück auf dem Programm. Ketil Hvoslefs (*1939) „Retour à la nature“ ist eine Auftragsarbeit für die Kammerakademi, wobei sich der Titel u.a. auf die Naturhörner bezieht. Das Stück enthält erstaunlich viele tonale Elemente, die jedoch immer wieder durch Reibungen und kürzeste atonale Figuren gebrochen werden. Hvoslef gönnt seinen Zuhörern keinen Augenblick der erfüllten Erwartungshaltung, sondern überrascht ständig mit unerwarteten motivischen, harmonischen und rhythmischen Wendungen. Der Adrenalinspiegel des Zuhöreres verharrt daher auf einem hohen Niveau, was der Komponist offensichtlich beabsichtigt hat. Dazu liefert der Kontrabass über lange Strecken einen ostinaten „basso continuo“. Und doch schimmern von Zeit zu Zeit kurze Anklänge an Motive und Harmonien des 19. Jahrhunderts durch. Das Ensemble präsentierte dieses Stück mit offensichtlichem Spaß am Unkonventionellen.

Den krönenden Abschluss des Abends bildete dann Mozarts Serenade in c-Moll KV 388, die der Komponist selbst als Harmoniemusik geschrieben hatte. Man spielte als keine Transkription sondern das Original. Kennern klassischer Musik ist dieses Stück mehr als geläufig, gehört es doch zum Standardrepertoire aller Konzerthäuser und Festivals. Das hat seinen Grund darin, dass es voller musikalischer Ideen steckt und eingängige Themen präsentiert. Der bewegten und akzentuierten Kopfsatz, ein Allegro, folgt ein Andante, das die Musiker der Kammerakademi mit viel Emphase intonierten. Der dritte Satz besteht aus versetzten Kanons, die nicht nur durch die Instrumentengruppen wandern, sondern auch noch innerhalb der jeweiligen Instrumente noch ein originelles Wechselspiel der Themen lieferte. Die versetzte Anordnung des Themas hat zwangsläufig eine ausgeprägte Rhythmik zur Folge, die dem Satz besondere Lebendigkeit verleiht. Die Musiker schienen an diesem Satz ihre besondere Freude zu haben und akzentuierten besonders deutlich und kontrastreich. Der letzte Satz besteht aus einer Folge von Variationen eines zweiteiligen Liedthemas, die durch alle Instrumentengruppen und die verschiedensten instrumentalen und harmonischen Konstellationen laufen. Auch hier zeichnete sich die „Oslo Kammerakademi“ durch hohe Präzision, Temperament und Spielfreude aus.

Der kräftige Beifall des Publikums motivierte das Ensemble noch zu einer Zugabe, und welcher Komponist fehlte? – Beethoven! Es war also noch eine Harmoniemusik von ihm zu hören, die mit ihren instrumentalen Kontrasten und ihrer Dynamik dem Abend einen würdigen Abschluss verlieh.

Frank Raudszus

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