Nora Bossong, Schutzzone

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In ihrem 2019 erschienenen Roman „Schutzzone“ nimmt sich Nora Bossong ein großes Thema vor. Es geht um die Vereinten Nationen, um deren globale Friedensprojekte und deren tatsächliche Wirkungsweise. Dabei konzentriert sich Nora Bossong zum einen auf den Genozid in Ruanda, zum anderen auf die immer noch ungelöste Frage einer möglichen Wiedervereinigung Zyperns.  Nora Bossong lässt Menschen zu Wort kommen, die in den UN-Büros in New York und Genf mit diesen Projekten befasst sind oder auch vor Ort unmittelbar in den Konfliktgebieten arbeiten. 

Die Erzählerin Mira träumt schon als sehr junge Frau davon, für die Vereinten Nationen zu arbeiten. Schließlich erfüllt sich dieser Traum, sie hat tatsächlich ein Büro in Genf, wo sie im Wesentlichen vorbereitende Unterlagen für die Zyperngespräche erstellen muss. Die eindrücklichsten Erfahrungen aber sammelt sie bei ihrem Einsatz in Burundi.

Aus dem Traum wird ziemlich bald ein Albtraum, denn wo immer sie hinschaut, überall sind die UN-Einsätze zweifelhaft, ohne wirkliche Macht, Frieden zu bewahren, geschweige denn herzustellen. Als in Ruanda der Genozid an den Tutsi beginnt, werden die UN-Mitarbeiter ausgeflogen. Auch in anderen Konfliktgebieten, wie zum Beispiel im Irak, in Mali, auf dem Balkan können sie das Töten nicht verhindern, sind zum Zuschauen oder zur Flucht verurteilt.

Noch nicht einmal in der Zypernfrage sind die Vorschläge des Generalsekretärs Kofi Anan erfolgreich.

Das macht etwas mit den Menschen, die einmal aus Idealismus zu den UN gegangen sind.

Sie sind moderne Nomaden, die zwischen New York, Genf und verschiedenen Einsatzorten in Konfliktgebieten pendeln.  Nach ein paar Jahren sind sie desillusioniert und ausgelaugt, wie etwa die Ärztin Sarah, die in Ruanda und Burundi gearbeitet hat und die Vergeblichkeit ihres Tuns erkennt. Sie kann immer nur Einzelnen helfen, langfristig aber kann sie keine Verbesserung des medizinischen Betreuungssystems bewirken. In Burundi begeht der leitende UN-Mitarbeiter vor Ort Selbstmord.

Die Erzählerin selbst wird zunehmend unfähig, stabile private Beziehungen aufzubauen. Dem in Deutschland lebenden Lebensgefährten lässt sich gar nicht mitteilen, was sie in Burundi erlebt. Für die „Wahrheitskommission“ ist sie im Lande unterwegs, um sich von den Menschen unmittelbar erzählen zu lassen, welche Gräuel sie erfahren haben. Das ist kaum zu verkraften. Gleichzeitig muss sie sich von erfahreneren Mitarbeitern vorhalten lassen, dass die „Wahrheit“ eine Illusion ist, dass sie immer nur punktuelle Geschichten hört, die keinerlei Rückschlüsse auf die Zusammenhänge und Hintergründe des Bürgerkrieges zulassen. Den Menschen, denen sie zuhört, hilft sie damit nicht, denn sie zieht weiter und lässt die Menschen mit ihren Erlebnissen wieder allein.

Seit ihrer Kindheit kennt Mira den UN-Mitarbeiter Milan, in dessen Elternhaus sie als Kind für längere Zeit gelebt hat. Schon Milans Vater Darius war ein hoher UN-Diplomat, der 1994 bei Ausbruch des Bürgerkrieges in Ruanda war und die Massaker miterlebte. Die UN-Soldaten konnten die Menschen nicht schützen, vielmehr wurden auch 10 belgische UN-Soldaten getötet. Gegen seinen Willen wird Darius mit den übrigen UN-Diplomaten und Mitarbeitern ausgeflogen. Die UN-Mission kann für die Einheimischen keine Schutzzone bieten, nur die eigenen Leute in Sicherheit bringen, denn zehn getötete belgische UN-Soldaten sind offenbar dramatischer als Tausende getöteter Hutus und Tutsi.

Darius belasten diese Ereignisse so sehr, dass er seine bis dahin offenbar gute Ehe nicht mehr leben kann und die Familie verlässt.

Zwischen Mira und Milan kommt es zu einer zarten Liebesbeziehung, die jedoch keine Zukunft hat. Milan kann und will sich, anders als sein Vater, gerade nicht aus der ehelichen Situation lösen, weil sie das einzige ist, das ihm in seinem Leben als UN-Diplomat Stabilität bietet.

Nora Bossong erzählt diese Geschichten nicht chronologisch, vielmehr verknüpft sie assoziativ unterschiedliche Zeitebenen und Orte. So umfasst der Roman Miras Lebensstationen von 1994 – das ist der Aufenthalt als etwa 6-jähriges Kind in der Familie von Milan – über 2003, ihrem ersten Aufenthalt in New York, und die 2010er Jahre, die sie abwechselnd Genf und in Burundi verbringt. Ihre letzte Station ist 2017 in Genf, wo sie sich zur Kündigung durchringt.

Aber es geht ihr wie den meisten Kolleginnen und Kollegen: Sie kann sich aus der Verantwortung bei allem Wissen um die Vergeblichkeit ihres Tuns nicht lösen und nimmt einen neuen Auftrag an. Ihr neuer Einsatzort wird Amman sein.

Wichtig ist Bossong die Gegenüberstellung der konzeptionellen Arbeit in den Büros von Genf und New York einerseits, wo die hohen Ziele und Werte der UN beschworen werden, und den jeweils konkreten Situationen in den Einsatzorten, die eben diese Ziele in Frage stellen. Die Leserinnen und Leser müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die UN-Organisationen nur ein Feigenblatt der Weltgemeinschaft sind oder ob sie trotz aller Vergeblichkeit dennoch als Mahner für die Schaffung einer humanen und friedfertigen Welt wichtige Einrichtungen sind.

Diese Frage beantwortet Bossong nicht, nur lässt sie ihre Erzählerin dieses „Dennoch“ leben, eben sich weiter zu engagieren, so gering auch die Wirkung sein mag.

Nora Bossong mutet ihren Lesern einiges zu. Die Orientierung in den verschiedenen Zeitebenen, die Zuordnung von Funktionen und Rollen  der verschiedenen Figuren an den verschiedenen Orten ist oft schwierig und macht den Leseprozess anstrengend. Die Andeutung der vielen ungelösten Konflikte rund um den Globus zwingt die Leserinnen und Leser an vielen Stellen dazu, die Roman-Lektüre zu unterbrechen und sich erst einmal genauer darüber zu informieren, was genau wo passiert ist und in welchen größeren politischen und historischen Zusammenhängen die Konflikte zu sehen sind.

Ob das eine Schwäche des Romans ist, ist die Frage; es ist auf jeden Fall die Herausforderung, die an uns als Leserinnen und Leser gestellt wird.

Auch sprachlich macht es Nora Bossong uns nicht leicht. Die sehr assoziative Sprache, die lange Perioden und Einschübe in einem Satz verbindet, hat bisweilen etwas Gehetztes, spiegelt jedoch sehr plausibel die Zerrissenheit der Erzählerin zwischen Resignation und dem Mut zum Weitermachen.

Eine leichte Lektüre verspricht dieser Roman nicht, aber er lässt uns doch mit einigen neuen Fragen zurück, über die nachzudenken sich lohnt.

Wer sich diese Lese-Anstrengung zumuten will, erhält einen durchaus differenzierten Blick auf die Friedensmissionen der UN und auf die Menschen, die sich ihnen verpflichtet haben.

Sicher kann auch ein Sachbuch Möglichkeiten und Grenzen der UN-Arbeit differenziert darstellen, aber nur der Roman kann mit der Individualisierung der Perspektive die jeweils mit den Ereignissen erlebte menschliche Dramatik mitteilen.

Das Buch ist im Suhrkamp Verlag erschienen, hat 332 Seiten und kostet 24 Euro.

Elke Trost

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