Die „fantastischen Frauen“ der Zwischenkriegszeit

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Der Surrealismus gilt als eine der wichtigsten Epochen der bildenden und schreibenden Kunst des 20. Jahrhunderts. Inspiriert und initiiert von dem französischen Schriftsteller André Breton, fand er schnell weite Verbreitung vor allem in der bildenden Kunst und prägte die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Ernüchtert und verstört durch die Schlächtereien des Ersten Weltkrieges, verloren viele junge Künstler den Glauben an das Erhabene und stellten die Welt in ihren Werken buchstäblich auf den Kopf. Dabei übernahmen sie jedoch unbewusst die vor dem Krieg gültigen Geschlechter-Rollen, wohl, weil diese dem Mann ein eingeborenes Vorrecht einräumten; und das geben auch Künstler ungern auf. So befreiten sich die Künstler durchaus von sexuellen Tabus, jedoch auf Kosten der Frauen. Diese standen ihnen einerseits Modell und lieferten ihnen die Vorlagen für ihre entfesselten erotischen und sexuellen Phantasien, wurden aber andererseits nicht als gleichwertige Künstler(innen) angesehen. Doch da hatten die Herren die Rechnung ohne den Wirt gemacht: denn die Frauen hatten im Krieg notgedrungen ihre alten weiblichen Rollen aufgeben und das Überleben der Familien organisieren müssen. Da wollten sie jetzt nicht mehr zurück an den Herd und die Kinderbetten.

Frida Kahlo: Selbstbildnis mit Dornenhalsband, 1940

Viele junge Frauen, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zur Welt gekommen waren, hatten die Emanzipation am eigenen Leib erfahren und wollten sich jetzt auch künstlerisch auf Augenhöhe mit den Männern betätigen. Ihre neu gewonnene Durchsetzungskraft kam ihnen dabei zur Hilfe, und es entwickelte sich ein vielfältiges weibliches Künstler-„Biotop“, das eng mit dem männlichen vernetzt war. Vor allem der Surrealismus zog die jungen Künstlerinnen an und bot ihnen ein breites Feld zur Selbstverwirklichung, da in diesem nicht-akademischen Kunstumfeld auch Autodidakten und Quereinsteiger reussieren konnten.

Ithell Colquhoun, Anatomie des Baumes, 1942

Leider endete diese Phase in Europa abrupt mit dem Siegeszug des – auch künstlerisch – rückständigen Faschismus in Deutschland und Italien, der jedoch auch in anderen Ländern Sympathisanten fand, und der Zweite Weltkrieg setzte der freien Kunst ein vorläufiges Ende. Nach dem Krieg setzte – wie nach Waterloo! – eine Restaurationswelle ein, die in der Kunstrezeption auf alte, vermeintlich bewährte Muster zurückgriff und damit die Frauen wieder ausblendete. Bei der Vorbereitung dieser Ausstellung stellte die Kuratorin Dr. Ingrid Pfeiffer nach eigenen Aussagen erstaunt und erschrocken fest, dass die surrealistischen Künstlerinnen aus der Zwischenkriegszeit bis auf wenige – Meret Oppenheim und Frida Kahlo – durchweg in Vergessenheit geraten waren. Diesen fast schon skandalösen Zustand zu beenden ist das Ziel dieser Ausstellung, die den Untertitel „Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“(sic!) trägt.

Kay Sage, Zum vereinbarten Zeitpunkt, 1942

Da galt dann bei der Kuratorin auch gleich das Motto „Nägel mit Köpfen machen“, und sie forderte angesichts der schieren Zahl vergessener Surrealistinnen die gesamte obere Etage der Kunsthalle für diese Ausstellung, was zwar ungewöhnlich war aber sofort die Zustimmung von Direktor Demant fand. So kann man in dieser Ausstellung ca. 260 Werke von 34 Künstlerinnen bewundern, von (alphabetisch) Eileen Agar bis Unica Zürn oder (nach Alter) Germaine Dulac bis Emila Medkova. Selbst Insidern sind viele Namen nicht bekannt gewesen, oftmals auch, weil sie sich nach einer intensiven Schaffensphase in der Zwischenkriegszeit später anderen Dingen zugewandt hatten.

Dorothea Tanning, Spannung, 1942

Wer durch das langgestreckte Ensemble der Ausstellungsräume streift, fühlt sich angesichts der schieren Menge erst einmal überfordert. Dazu kommen die Biographien der einzelnen Künstlerinnen, die am Beginn der jeweiligen Werkestrecke für biographische und künstlerische Einordnung sorgen. Man sollte sich die Zeit nehmen, diese Biographien zu lesen, denn sie sagen viel aus einerseits über die Schwierigkeiten der Frauen, sich einen Platz in der (surrealistischen) Kunstszene zu erkämpfen, anderseits über ihre Durchsetzungskraft und ihren Unabhängigkeitsdrang. Ihre kreative Potenz kann man dann den jeweiligen Werken entnehmen, und in dieser Hinsicht stehen sie in keiner Weise hinter ihren männlichen Kollegen zurück. Die restaurative Ära der fünfziger und frühen sechziger Jahre hat sie leider aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt.

Toyen, Der Paravent, 1966

Schaut man sich die Bilder an – überwiegend Gemälde und Grafiken -, so fällt die teilweise satirische Ironie auf, mit der sie Motive und Malweise ihrer männlichen Kollegen kommentieren und imitieren. Die männlichen Surrealisten hatten damals das weibliche Doppelbild „Heilige und Hure“ verinnerlicht und ließen ihren erotischen Phantasien freien Lauf. Dies war nach den Jahrzehnten – oder gar Jahrhunderten – staatlich und kirchlich verordneter Prüderie verständlich, führte aber streckenweise zu obsessiven Bildern, die den Frauen fremd wenn nicht nötigend erscheinen mussten. So „wehrten“ sie sich mit Bildern, die einerseits die männlichen Obsessionen karikierten oder ihnen andererseits entsprechende Darstellungen des männlichen Körpers entgegensetzten.

Daneben gibt es die üblichen Auseinandersetzungen mit Natur und Industrialisierung oder die surrealistische, d. h. entlarvende Darstellung typischer Beziehungs- und Familienstrukturen. Da eine ausgewogene verbale und bildliche Darstellung aller Künstlerinnen an dieser Stelle angesichts der Zahl der Künstlerinnen und der Werke unmöglich ist, wollen wir nicht ins Detail gehen, sondern nur einige beispielhafte Werke zeigen, die jedoch keinen Rangfolge der Werke oder der Künstlerinnen implizieren wollen. Wir können den Lesern und Leserinnen dieser Zeilen nur wärmstens empfehlen, sich diese Ausstellung anzuschauen und dabei vor allem viel Zeit mitzubringen.

Näheres über die Ausstellung ist der Webseite der Schirn zu entnehmen.

Frank Raudszus

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