John Burnside: Über Liebe und Magie – I Put a Spell on You

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John Burnsides Buch „Über Liebe und Magie – I Put a Spell on You“, das bereits 2014 in Großbritannien erschienenen ist, liegt seit Herbst 2019 nun auch in der deutschen Übersetzung vor. John Burnside erzählt in diesem Buch seine eigene Lebensgeschichte, und zwar ausdrücklich authentisch, nicht als literarische Fiktion, wie der Autor im Nachwort klarstellt.

John Burnside erzählt seinen Weg aus der bedrückenden Enge der kleinbürgerlichen Existenz seiner Herkunftsfamilie in einer der nach dem Krieg aus dem Boden gestampften sogenannten „New Towns“ in Schottland.

Typisch für das Kleinbürgertum, ist der Vater getrieben von der Hoffnung auf den sozialen Aufstieg, der jedoch nur ein so minimaler ist, dass die Hoffnung in Desillusionierung umschlägt. Der Vater verbringt sein Leben mehr in der Kneipe als zu Hause. Die Mutter ohne die Kraft und die Möglichkeit, sich zu trennen, hält den Schein einer intakten Familie aufrecht. Ihre Träume und Sehnsüchte lebt sie beim Hören von Liebesschnulzen aus. Ihre Hoffnung richtet sie auf den Sohn, der einen Schulabschluss machen und studieren soll.

John gelingt zwar mit Mühe der Schulabschluss, das Studium aber schmeißt er nach dem Tod der Mutter, hängt mit anderen jungen Leuten in Pubs herum, Alkohol und Drogen sind der wesentliche Zeitvertreib, bis der psychische Zusammenbruch kommt. John findet sich in einer psychiatrischen Klinik wieder.

Dass ihm schließlich der Weg aus der psychischen Krise in die Welt der äußeren Realität gelingt, verdankt er der Begegnung mit einer schizophrenen Mitpatientin, deren krasse Abstürze aus der Außenwelt in eine imaginierte Welt ihn aufrütteln und bereit machen, sich den Anforderungen der Realität zu stellen.

Das alles erzählt Burnside zwar in der chronologischen Abfolge, aber jeweils fokussiert auf die einschneidenden Erfahrungen in einer Lebensphase, die im Rückblick in ihrer Bedeutung für seine Entwicklung und Selbstwahrnehmung eingeordnet werden. Das ist zum einen großen Teil die Pop-Musik, die ihn von früh an mit ihrer Erzählung von Sehnsucht nach Liebe und einem besseren Leben berührt.

Und immer wieder sind es Mädchen oder Frauen, die in den verschiedenen Lebensstationen prägende Wirkungen für sein weiteres Leben haben. Ihn ziehen die an, die neben ihrer äußeren Angepasstheit ein inneres Geheimnis verraten, das auf ein zweites Leben in einer magischen Welt der Sehnsüchte, Wünsche, Träume verweist.

Die wichtigste Person ist die Mutter, die sich ihre innere Welt trotz der kümmerlichen äußeren Existenz bewahrt. Ihre Hoffnung auf ihn ist der einzige Impuls für ihn, überhaupt die Schule abzuschließen.

Sein eigenes Leben wird geprägt sein von der Ambivalenz der äußeren und seiner inneren Welt. Das intensive Bedürfnis nach Ausbrechen, Alleine-Sein, um die magische Dimension der Welt zu erleben, prägt auch seine Beziehungen. Als junger Mann kann er das Erlebnis des ganz großen Gefühls, das auch erwidert wird, nicht in Nähe und Gemeinsamkeit umsetzen, ihm bleibt nur die Flucht.

Er wird als Erwachsener seinen Weg finden als bürgerlicher Intellektueller, auch mit Frau und Kindern, aber das Bedürfnis nach Einsamkeit, Selbst-Erfahrung, nach Erlauschen der Töne der Natur wird ihn immer wieder hinaustreiben in die abgeschiedene Welt des skandinavischen Winters in der Finnmark. Gleichzeitig aber löst eine Grenzerfahrung in der Einsamkeit das Bedürfnis nach Zugehörigkeit aus: Er verirrt sich bei einem Spaziergang in der Winterlandschaft, ohne Kompass, ohne Wegzehrung. Im Schneetreiben verwischen die eigenen Spuren, so dass er stundenlang im Kreise geht, bis er zufällig wieder auf sein Auto stößt. Dies ist eine der stärksten Passagen in dem Buch, die die Leserin in den Bann schlägt, wenn sich auch die Assoziation von Hans Castorps Schneesturmerfahrung im „Zauberberg“ aufdrängt.

Burnsides Buch ist der Versuch, das eigene Leben zu verstehen, insbesondere was sein Grundgefühl des Fremdseins in der Welt anbetrifft. Deshalb ziehen ihn immer wieder Menschen an, an denen er eben diese Verlorenheit zu erkennen glaubt.

In sieben Passagen, die er „Abschweifungen“ nennt, reflektiert Burnside über die Grundfragen des Lebens, die ihn bewegen. Damit stellt er seine eigene, individuelle Lebenserfahrung in größere Zusammenhänge. Er denkt z. B. darüber nach, warum manchen Menschen eine starke Ausstrahlung verliehen ist, der „Glamour“, der nicht zu verwechseln sei mit der eher ökonomisch definierten Prominenz. „Glamour“ hingegen sei unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialer Stellung, es ist für ihn das Magische einer authentischen Persönlichkeit.

Eine andere Abschweifung gilt dem, was die Schotten „thrawn“ nennen. Es ist die Unangepasstheit, das Sich-Querstellen zu dem, was dem Diskurs von Normalität entspricht. Daraus entspringe Kreativität und die Suche nach neuen Wegen. In diese Kategorie von Menschen reiht er sich selbst ein.

Die Abschweifungen beziehen sich auf verschiedene Lebensbereiche, etwa auf die Welt der Pop-Musik und ihre Bedeutung für das Jugendalter, auf den Narzissmus, den er anders deutet als Freud, und natürlich auf die Liebe.

In allen Abschweifungen stellt Burnside zahlreiche Bezüge zur Wissenschaft, zur Welt von Literatur, Kunst und Musik her. Alle diese Betrachtungen bleiben dennoch subjektiv, gedeutet von der eigenen Perspektive her. Hinzu kommt der Hang zum Esoterischen, wenn er hinter aller Wissenschaftlichkeit die Bedeutung einer magischen Welt beschwört, die sich rational nicht erfassen, sondern nur erfühlen lasse.

Zudem haben die Reflexionen in den „Abschweifungen“ etwas Räsonierendes, wie ein dahinplätscherndes inneres Sprechen, mit Wiederholungen und – offenbar gewollter – Unschärfe.   

So ist das Buch insgesamt – trotz der Abschweifungen – im Wesentlichen auf den Erzähler-Autor selbst bezogen. Die Leser müssen sich fragen, welche Bedeutung Burnsides biographische Erzählung für sie selbst hat. Gibt es diese Erzählung des soziale Aufsteigers, der sich in der neuen Welt immer fremd fühlen wird, nicht schon in zu vielen Varianten? Oder hängt es vom Lebensalter der Rezipienten ab, ob sie sich von dieser Erzählung fesseln lassen?

Dennoch: Wer sich auf die Ambivalenz von Rationalität und Esoterik einlassen mag und geneigt ist, in die Welt der Jugend in den späten 1960er/70er Jahre einzutauchen und dazu noch über psychologische und philosophische Fragen nachzudenken, der wird von dem Buch eine Menge Anregungen erhalten.

Das Buch ist im Penguin Verlag erschienen, hat 288 Seiten und kostet 20 Euro.

Elke Trost

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