Axel Simon: „Goldtod“

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In „Eisenblut“ hatte Axel Simon den verkrachten Adligen und Privatdekektiv Landow sowie seinen Compagnon und Hobby-Taschendieb Orsini vorgestellt. Der historische Kontext sorgte durchaus für entsprechendes Kolorit, und spannend war die Geschichte auch. In dem zweiten Roman mit dem Titel „Goldton“ ist ein Jahr vergangen, und die beiden Detektive leiden unter Auftragsmangel.

Als eines Tages ein bekannter Bankier als Opfer eines spektakulären Mords aufgefunden wird, setzt sich Landow selbst mit einiger Chuzpe und halbseidenen Mitteln als Sonderermittler ein und kann mit dieser Hochstapelei auch im Umfeld des Ermordeten punkten. Während er noch recherchiert, wird er selbst in einem Zirkus Zeuge des nächsten Mordes an einem Bankier, und darüber hinaus stellt er durch eine weitere Recherche fest, dass ein angeblich in flachem Wasser ertrunkener Abgeordneter ebenfalls ermordet wurde – und früher mal Bankier war. Alle drei Mordopfer waren mit kleinen, auf den ersten Blick unauffälligen Goldstücken „geschmückt“ worden. Landow vermutet also mit einigem Recht einen Serienmord und Rache als Motiv. Natürlich hat die Polizei – auch durch Landows Frechheit und schnelle Reaktion – keine Ahnung von den Goldstücken und findet daher keinen Ansatzpunkt.

Da Orsini im Umfeld des Zirkusmordes auch als Taschendieb tätig geworden ist – natürlich bei solvent aussehenden Opfern -, gehen die beiden die abgegrasten Brieftaschen durch und entdecken auch gleich einige Hinweise, denen nachzugehen sich lohnen könnte. Dabei stößt Landow auf eine edle Kunststiftung, die in einer verschwiegenen Villa im Süden Berlins exklusive Privatveranstaltungen anbietet. Auch hier kann sich Landow dank Orsini eine Einladung besorgen und wird Zeuge einer Darbietung, die die Grenze zwischen kindlicher Kunst und Pädophilie zumindest ankratzt. Bevor der dem weiter nachgehen kann, wird er in dieser Villa chloroformiert und findet sich gefesselt im Keller wieder. Dort stößt er auf den Bankiersmörder, der ihm seine Motive frank und frei offenlegt, da er – Landow – sowieso das nächste Opfer sein werde. Doch für die mit dem Tod zu büßende Tat war Landows Zwillingsbruder verantwortlich, der im ersten Roman so dramatisch starb. Die Bankiers hatten das Unternehmen des Vaters des Mörders erst mit großzügigen Krediten gefördert, um ihn dann plötzlich in eine Falle zu locken, die Kredite zu kündigen und sich die wertvollen Patente überschreiben zu lassen. Der Vater ist seitdem ein Wrack, und der Sohn hat sich die Rache als Lebensziel gesetzt.

Das Thema ist also gesetzt: die Bankiers sind unmoralische Halsabschneider, und als ob das nicht reichen würde, gehören sie auch noch in den Dunstkreis der Pädophilie. Da zehrt Simon offensichtlich von der Affäre um Graf Eulenberg, der zur engsten Entourage von Kaiser Wilhelm II. gehörte und wohl einen Kreis von Homosexuellen um sich scharte. Diese damals strafrechtlich verfolgte sexuelle Ausrichtung kann Simon jetzt natürlich nicht mehr als moralischen Mangel brandmarken, also dreht er die Affäre – in einem Roman durchaus legitim – ins Pädophile. Dabei wirkt die doppelte Stigmatisierung der Bankiers, die auch in der verschwiegenen Villa verkehrten, durch kriminelle Finanzaktivitäten und Pädophilie etwas aufgesetzt. Angesichts von Wirecard könnte zumindest der erste Vorwurf bei einem Gegenwartsroman zünden, aber in dem historischen Kontext gibt es kein solches Skandalvorbild.

Landow entkommt dem tödlichen Keller, weil der Mörder ihm offensichtlich glaubt. Das wiederum macht ihm den Mörder sympathisch – und natürlich dessen Gründe für die Morde. Statt der Polizei einen Hinweis auf Vater und Sohn zu geben, recherchiert Landow jetzt hinter der dubiosen Kunststiftung mit der stillen Villa sowie deren Kunden her.

Wir wollen an dieser Stelle nicht das Ende des Romans „spoilern“, da es unfair wäre, anderen Lesern die Spannung zu nehmen. Aber einige Schwächen seien doch angemerkt. Wie schon im ersten Roman ist Landow kein typisches Kind des späten 19. Jahrhunderts, sondern eher ein (links.-)liberales „Alter Ego“ des Autors. Seine Weltsicht entspricht viel mehr dem 21. Jahrhundert als der kaiserlichen Ära: Skepsis gegenüber der Obrigkeit und dem Militär, Toleranz allen anderen Lebensentwürfen gegenüber und intuitiver Gegner aller „natürlichen“ Hierarchien. Das ehrt ihn, macht ihn jedoch als typischen Vertreter seiner Zeit eher unwahrscheinlich. Darüber hinaus ist der Roman auch nicht so dynamisch und überraschend wie sein Vorgänger. Die Szenen sind streckenweise etwas zäh und zerfasern dann wieder in Nebensträngen.

Die Hauptschwäche ist jedoch der mangelnde historische Kontext. Das sei am Beispiel der Rolle der Frauen gezeigt, die damals in das Korsett von Kinder, Kirche und Küche gezwängt waren und weder studieren noch einen anspruchsvollen Beruf ausüben konnten. Bei Simon sind die beiden wichtigsten Frauenfiguren jedoch voll emanzipierte, beruflich tätige und bis zur Kriminalität durchsetzungsstarke Persönlichkeiten. Das ist natürlich vollständig im Sinne heutiger Vorstellungen, entspricht aber nicht der historischen Situation. Letztere wird eigentlich nur in Hinweisen auf die sich langsam durchsetzende Elektrizität, den gerade erfundenen Kraftwagen sowie die großstädtischen Pferdedroschken deutlich. Hin und wieder wird dann auch mal der Kaiser erwähnt.

Wer dieses Buch als nostalgische Unterhaltung liest, mag sich durchaus unterhalten fühlen, aber ein historischer Roman im eigentlichen Sinne ist es nicht.

Das Buch ist im Kindler-Verlag erschienen, umfasst 463 Seiten und kostet 20 Euro.

Frank Raudszus

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