Michael Sommer: „Schwarze Tage“

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„Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam“. Diesen Spruch kennt jeder Lateinschüler der älteren Generation. Er beschreibt in wenigen dürren Worten den Kernpunkt römischen Denkens jener Zeit und nicht nur in Bezug auf Karthago. Doch wir wollen hier nicht die Rezension auf einen so einfachen Nenner bringen, denn der Autor, Professor für Alte Geschichte in Oldenburg, hat viel Mühe aufgewandt, die Hintergründe dieses Jahrhundertkampfes sowohl wissenschaftlich seriös als auch verständlich und leicht lesbar aufzuarbeiten. Dabei verzichtet er auf publikumsfreundliche Personalisierung oder gar Fiktionalisierung und bleibt eng an der historischen Überlieferung. Wer hier spannende Schlachtbeschreibungen und tragische Einzelschicksale erwartet, liegt falsch.

Doch da beginnen schon die Probleme, denn die Dokumentation der Ereignisse des zweiten und dritten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung ist sowohl technisch als auch von der Herangehensweise in keiner Weise mit heute üblichen Verfahren zu vergleichen. Daher stellt Sommer erst einmal seine diversen Quellen vor, wobei er sich hauptsächlich auf den Griechen Polybios (ca. 200 – 120 v. Chr.) stützt, aber auch auf den Römer Livius (59 v. – 17 n. Chr.) und einige andere antike Autoren. Sommer verdeutlicht von vornherein die Probleme, die sich aus der Voreingenommenheit all der vorgestellten Historiker der Antike ergeben. So lebte Polybios lange als griechische Geisel im Haushalt des von ihm bewunderten Scipio, und Livius hatte als geborener Römer natürlich ebenso eine gefärbte Sicht der Ereignisse. Diese Quellenanalyse verzögert zwar die Behandlung der eigentlichen Ereignisse, legt jedoch von vornherein die Unsicherheit aller historischen Dokument hinsichtlich der Intentionen und Verantwortlichkeiten der handelnden Personen und Institutionen offen.

Außerdem behandelt Sommer vor Beginn der eigentlichen politisch-militärischen Handlung einige grundlegende Parameter der Politik zwischen rivalisierenden Mächten, von denen wir hier nur die drei Machttypen anführen wollen. Die Aktionsmacht basiert auf simpler militärischer Aktion ohne jeglichen Überbau und lässt sich am besten mit dem Überfall beschreiben. Die instrumentelle Macht erreicht ihre Ziele bereits mit der bloßen Androhung der (militärischen) Aktion, kann aber auch im Sinne von „Zuckerbrot und Peitsche“ im Versprechen einer Vorzugsbehandlung bestehen, hinter der natürlich eine unausgesprochene Drohung steht. Die autoritative Macht als die Krönung benötigt weder die Aktion noch die Drohung mit ihr, sondern besteht im voraus eilenden Gehorsam des um die anderen beiden Machttypen und die eigene Unterlegenheit wissenden Gegenübers, der daher von sich aus das Wohlwollen und die Kooperation des gefürchteten Machthabers sucht.

Die eigentliche Handlung beschreibt Sommer wiederum detailliert aus ihren scheinbar harmlosen Anfängen in Sizilien, das im Westen von den Karthagern und im Osten von einem Tyrannen („Zu Dionys dem Tyrannen schlich….“) beherrscht wurde. Dabei verzichteten die Karthager als Händler allerdings weitgehend auf die Attribute der nackten Macht und beschränkten sich auf die ökonomischen Vorteile der damals noch reichen weil fruchtbaren Insel. Doch der Expansionsdrang des Tyrannen kollidierte mit den Interessen der Karthager, und über Umwege wurden die Römer um Hilfe gebeten. Die hätten natürlich Desinteresse an fremden Händeln zeigen und sich auf ihr festländisches Kerngebiet beschränken können. Doch schon hier arbeitet Sommer deutlich eine der zentralen Motive der Römer heraus: der Drang nach „Bewährung“. Jeder Konsul musste sich während seines Konsulats bewähren, und das ging nach damaligem Verständnis nur durch kriegerische Eroberung. Dabei stand jedoch nicht die territoriale Erweiterung sondern in erster Linie die Eroberung selbst im Vordergrund. Dieses Motiv wird sich durch die gesamte Geschichte der punischen Kriege von 264 bis 146 ziehen, wobei man jedoch soweit möglich versuchte, die „Kriegsschuld“ der Gegenseite aufzubürden. Es gab also doch so etwas wie moralische Vorstellungen bei den Römern, nur kollidierten diese mit den Interessen der Nobilität. Aufschlussreich ist auch die Zustimmung des Senats zu Kriegseröffnungen. Einerseits bestand der Senat aus Vertretern der Nobilität, die selbst auf die Chance zur Bewährung hofften und deshalb für die Aktionen der jeweils amtierenden Konsuln stimmten. Andererseits verfügten die Senatsmitglieder über so viel Gemeinsinn, dass sie im Sinne der Gemeinschaft auch ohne eigene Bewährungschance für ihrer Meinung nach erforderliche Maßnahmen stimmten.

So nahm denn der erste punische Krieg seinen Lauf, an dessen Ende Karthago weitgehend auf Sizilien verzichtete und Rom sich dort – mit oder ohne Zustimmung des lokalen Tyrannen – festsetzte. Dabei zeigte sich, dass Rom mit seinem mittelitalienischen Wehrverbund auf wesentlich größere militärische Ressourcen zurückgreifen konnte als die eher ökonomisch orientierten Karthager, die bei jedem Krieg von Neuem – unter Umständen unzuverlässige – Söldnerheere anheuern mussten. Dabei kämpft ein Wehrverbund verbündeter Regionen wesentlich motivierter – Verteidigung des eigenen Besitzes und der Familie – als ein lediglich auf Beute ausgehendes Söldnerheer.

Nachdem Rom im Nachgang zu diesem Krieg den Karthagern auch noch die – rein ökonomisch – besetzten Inseln Sardinien und Korsika genommen hatte, wichen diese nach Spanien aus, für die Römer damals noch „terra incognita“. Selbst die weitgehende Vereinnahmung Spaniens durch die Karthager interessierte die Römer nicht, bis die Stadt Sagunt in Rom um Unterstützung gegen Karthago ersuchte. Sofort setzte der „Bewährungsimpuls“ in Rom wieder ein, und in wenigen Eskalationsstufen entwickelte sich der zweite punische Krieg, in dessen Verlauf Hannibal in Cannae siegte und monatelang mit seinem Heer die italienischen Regionen plünderte. Warum er nach Cannae nicht Rom angriff, kann auch Sommer nicht abschließend klären, er nimmt jedoch an, dass Hannibal den energischen Widerstand der gesamten italischen Wehrgemeinschaft fürchtete. Die Römer vermieden – in Kenntnis ihrer eigenen Schwäche – die offene Feldschlacht und griffen stattdessen parallel die jetzt schwach besetzten spanischen Niederlassungen der Karthago und schließlich dieses selbst an. Das zwang Hannibal zur Rückkehr nach Karthago, wo er im Jahr 202 bei Zama gegen Scipio verlor, der dann den Beinamen „Africanus“ annahm.

Nach diesem Krieg war Karthago derart geschwächt, dass es keine Gefahr mehr für Rom darstellte. Dennoch erholte sich die Stadt zum Ärger Roms wirtschaftlich wieder, und erst die grundlosen, jedoch gezielten Landnahmen eines numidischen Verbündeten Roms führten zu einer Situation, die Rom als Kriegsgrund definieren konnte. Dabei spielte auch das zu Beginn erwähnte „ceterum censeo“ des Karthago-Hassers Cato eine zentrale Rolle. Der Enkel des Scipio Africanus, selbst Träger des Namens Scipio, griff dann Karthago an und vernichtete es nach harter Gegenwehr der verzweifelten Bewohner. Dieser letzte punische Krieg war sicher alles andere als ein Ruhmesblatt für Rom.

Die vorliegende Berichte über die drei Kriege stammen hauptsächlich von Polybios und Livius, und hier zeigt sich der Wert der anfänglichen kritischen Betrachtung der Quellen. Immer wieder stellen die Historienschreiber Behauptungen zu Motiven oder Aktionen auf, die entweder inkonsistent sind oder von der Motivlage keinen Sinn ergeben. Sommer verweist dann auf die persönliche oder politische Nähe der Verfasser zum (siegreichen) Rom und kann so viele Unklarheiten beseitigen. Darüber hinaus zeigt er auch die geopolitische Entwicklung Roms neben der karthagischen Frage, speziell zu Griechenland, aber auch zur Kleinasien und Ägypten. Alle drei Regionen gehörten anfangs nicht zu Roms Interessensphären, aber entweder führten explizite Hilfegesuche von dort oder das Erstarken konkurrierender Mächte – Mazedonien – zu Bewährungschancen für die jeweils herrschenden Konsuln, die diese dann auch wahrnahmen. Die konsequente Vorgehensweise auf der Basis moderner Militärtechnik führten dann letztendlich zum Erfolg, wobei die größeren Ressourcen der Römer eine doppelte Rolle spielten: einerseits führten sie auch nach schweren Niederlagen doch noch zum Sieg, andererseits vergrößerten sie sich durch die Gewinnung neuer Bündnispartner aus den ehemaligen Gegnern, die selbst oft aus heterogenen Bündnissystemen bestanden.

Michael Sommer hat mit diesem Buch eine auch für Laien leicht fassbare Übersicht über die punischen Kriege, ihre Ursachen und ihre Bedeutung für die Entwicklung vorgelegt. Obwohl Sommer mit keinem Wort auf aktuelle Analogien verweist, drängen sie sich geradezu auf: hier der wirtschaftlich orientierte, auf Freiheit setzende Westen, der Krieg nach Möglichkeit vermeiden will, dort ein konsequent auf politisch-militärische Expansion setzendes China, das den Kampf gegen den Westen offen auf seine Fahnen geschrieben hat. Wer hier Rom und wer Karthago ist, dürfte klar sein, und es tröstet nur die alte Weisheit, dass sich die Geschichte nie wiederholt. Wirklich nicht?

Das Buch ist im Verlag C.H.Beck erschienen, umfasst 386 Seiten und kostet 26,95 Euro.

Frank Raudszus

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