Martin Krumbholz: „Alex, Martin und ich“

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Der Autor dieses Romans ist uns schon als Theaterautor mit „Hotel Bogotá“ sowie als Romanautor mit „Eine kleine Passion“ begegnet. Auch in seinem neuesten Roman mit dem obigen Titel stellt er wieder einen Protagonisten aus dem Kulturmilieu in den Mittelpunkt. Der namenlose Ich-Erzähler, seines Zeichens Dozent der Literaturwissenschaft an einer nicht genannten Hochschule, bezeichnet sich selbst als „soliden akademischen Mittelbau“. Aus einigen beiläufigen Bemerkungen lässt sich sein Alter mit dem des Autors gleichsetzen.

Bereits der erste Absatz stellt auf lakonisch-selbstironische Weise das Thema des Romans vor: die Beziehungen zwischen den Geschlechtern aus der Sicht eines Mannes im fortgeschrittenen Alter und die angesammelten Erinnerungen an entsprechende Erlebnisse und Beziehungen seit seiner Jugend. Dabei geht es dem Autor jedoch nicht um eine autobiographische Liste seiner Eroberungen oder gar eine nachträgliche Abrechnung mit den Frauen, der Welt und sich, sondern in erster Linie um die Ambivalenz der Erinnerungen und die Gefahr lebenslanger Selbsttäuschungen. Von Anfang an liegt ein milder Schleier der Selbstdistanz über den Rückblenden des Ich-Erzählers, und dieser Schleier entwickelt durch seine Indirektheit so etwas wie eine poetische Strahlkraft.

Um sich selbst mit größerer Distanz betrachten zu können, führt Krumbholz ein weiteres „alter ego“ ein. Sein Ich-Erzähler lernt zufällig einen deutlich jüngeren Mann kennen, der wie er, der Erzähler, für den französischen Film-Regisseur Erich Rohmer schwärmt. Rohmer war für so raffinierte wie hintergründige Beziehungsfilme berühmt und bewegte eine ganze Generation von Filmliebhabern. Er zieht sich wie ein mehr als nur cinéastisches Leitmotiv durch den ganzen Roman.

Der autobiographische – oder besser: autofiktionale – Charakter des Freundes ergibt sich aus dessen wohl bewusst ausgestelltem Namen: Martin Krug. Außerdem verschränkt Krumbholz die beiden Hauptpersonen geschickt über die erste Jugendliebe des Ich-Erzählers und deren späteren Mann, der einst dem Erzähler das Mädchen ausspannte. Doch diese im ersten Augenblick kolportagehaft anmutende Konstellation dient nicht der Ausmalung heftiger erotischer Konflikte, sondern vielmehr der Imagination der nicht genutzten Möglichkeiten und dem Nachdenken über einen alternativen Lebensverlauf.

Die Erkenntnis dieser so zufällig anmutenden Verschränkung der Lebensläufe dieser beiden Männer – es ist ja nur einer! – ergibt sich aus dem Manuskript einer autobiographischen Erzählung des Freundes, die dieser als bis ins Detail authentisch bezeichnet. Der Ich-Erzähler misstraut diesem subjektiven Wahrheitsglauben bei den eigenen Erinnerungen schon seit längerem und lässt dies seinen Freund auch wissen.

Ganz bewusst ohne erklärenden Übergang setzt dann eben diese Erzählung ein, ebenfalls in Ich-Form, so dass man es beim schnellen Lesen für eine Fortsetzung der ersten Erzählung hält. Erst die Nennung von Namen verweist auf den anderen Autor. Natürlich ist dies ein bewusstes literarische Mittel, um sowohl die Ambivalenz der Erinnerungen als auch die enge Verschränkung mit dem Haupterzähler zu betonen. Denn auch die Erzählung des Freundes ist voller erotischer und menschlicher Zweifel und Fehleinschätzungen. Der frühe erotische Verlust des Ich-Erzählers spiegelt sich in ähnlichen Erfahrungen seines jüngeren Freundes wieder. Die identische weibliche Bezugsperson verstärkt die autofiktionale Irritation dabei auf beiden Seiten. Der Ehemann dieser Frau spielt dabei eine rätselhafte Rolle, wird er doch einerseits als kraftstrotzendes Männerideal vorgestellt, der andererseits seine Frau dem jungen Mann bewusst für eine Zeit zur erotischen Selbstfindung überlässt. Man könnte fast meinen, dass Krumbholz dabei an den jungen Parsifal gedacht hat, der seine erste Chance verpasst, weil er sich nicht traut zu fragen.

Auf ebenso assoziationsreiche Weise verschwindet der Ehemann aus dem Leben, nur um unerwartet wiederzukehren und wieder zu verschwinden. Hier schimmert die Figur eines Odysseus – das Meer spielt hier eine Rolle! – durch und verstärkt den Charakter des Rätselhaften und Symbolischen. Doch Krumbholz deutet diese Assoziationen nur an, ohne sie dann penetrant bis ins Detail fortzusetzen. Die Personen der Handlung steigen tatsächlich als imaginierte aus der Erinnerung auf und verlieren dabei nie ihren mehrdeutigen Charakter. Man kann die erwähnten Assoziationen dahinter sehen, muss es aber nicht. Wer will, kann diesen Roman auch einfach als die wehmütigen Erinnerungen eines in die Jahre gekommenen Mannes lesen, wird dabei jedoch einen wichtigen Aspekt dieses Buches verpassen. Gerade das Unfassbare, nachträglich nicht mehr Definierbare – und vor allem nicht mehr Änderbare – eines gelebten Lebens macht den Reiz dieses Buches aus und hebt es über eine nur nostalgische Rückschau hinaus. Dabei besticht die Ehrlichkeit des Autors mit sich selbst bis hinunter in die Niederungen der Eitelkeiten und Beziehungsprobleme. Er schönt weder seine – des Ich-Erzählers Gedanken und Emotionen, suhlt sich andererseits jedoch auch nicht in Selbstanklagen und wohlfeiler Reue.

Das Buch ist im Verlag DCV Contemporary erschienen, umfasst 118 Seiten und kostet 14 Euro.

Frank Raudszus

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