Luciano Rezzolla: „Die unwiderstehliche Anziehung der Schwerkraft“

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Albert Einsteins Relativitätstheorien – vor allem die „Allgemeine“ – haben sich auch und gerade in der Welt der Laien zu Ikonen des Genialen und (daher) Unverständlichen entwickelt. Vom „relativen“ Kalauer bis hin zu dem die Zunge herausstreckenden Urheber dieser Theorien schlagen sich Einsteins Erkenntnisse auf vielfältige Weise im Alltag nieder und zeigen damit einerseits die Faszination und andererseits das Unbehagen an dem eigenen Unverständnis.

Luciano Rezzolla hat es sich in dem vorliegenden Buch zum Ziel gesetzt, dieses schwierige Thema auf anschauliche Weise darzustellen, ohne deshalb den wissenschaftlichen Anspruch aufzugeben. Gleich zu Beginn besteht er deshalb auf der Präsentation und Diskussion mathematischer Formeln, damit ein ungeschriebenes Gesetz der Populärwissenschaft missachtend. Allerdings vereinfacht er Einsteins hochkomplexes Formelwerk auf die Grundgleichungen und erklärt an ihnen die Ideen ihres Erfinders.

Nach einer kurzen Einführung in das Thema kommt er gleich auf die „Krümmung der Raumzeit“ zu sprechen, ein Begriff, der jedem Laien völlig unverständlich erscheinen muss. Anschaulich leitet er den Begriff der „Masse-Energie“ aus Einsteins berühmter Formel E=mc2 her und weist ihr die Fähigkeit zur Raumkrümmung zu, die wiederum die Bewegungen aller Körper beeinflusst. Zur Veranschaulichung benutzt er das frei aufgespannte Bettlaken, in das man eine Bocchiakugel legt. Die muldenartige Vertiefung des Lakens lässt andere Körper hineinfallen. Das Problem bei dieser Darstellung im zweidimensionalen Raum besteht jedoch gerade darin, dass er die Schwerkraft zumindest implizit als Ursache für ihren Beweis heranzieht. Man kann sich das an diesem Beispiel gut vorstellen und bemerkt dabei den Zirkelschluss nicht. In einem Nebensatz weist Rezzolla auch darauf hin, aber da hat sich das „Verständnis“ bereits etabliert. Einleuchtender weil nicht verführerisch sind die Analogien aus der euklidischen und nicht-euklidischen Geometrie, wo sich Vektoren in der Fläche zwar ohne Veränderungen parallel verschieben lassen, aber bei dem selben Vorgang auf der Erdoberfläche – Kugelform! – ihre Richtung ändern.

Dennoch versucht Rezzolla, die „Krümmung“ des Raums durch Materie mit – zumindest verbalen – Verweisen auf die hochkomplexen Einsteinschen Gleichungen begreifbar zu machen. Damit überschreitet er jedoch – und das ist kein Vorwurf gegen ihn! – das Vorstellungsvermögen jedes normalen Menschen. Dies wohl wissend, fährt er natürlich in seinen Ausführungen fort und diskutiert die Entwicklung der Sterne bis zu ihrem Ende, das in verschiedener Form erfolgen kann. Kleinere Sterne wie die Sonne enden über den Zwischenschritt „Roter Riese“ als „Weißer Zwerg“ und scheiden als Kandidaten für „schwarze Löcher“ aus. Doch oberhalb von etwa 1,5 Sonnenmasse wird es interessant. Hier wird die Gravitation so hoch, dass sich höhere Fusionsprozesse bis hin zum Eisen entwickeln. Die kleineren unter diesen großen Sternen enden dann nach Abstoßung der äußeren Hülle in Gestalt einer „Super-Nova“ als Neutronensterne. Rezzolla veranschaulicht diesen Prozess sehr anschaulich und nachvollziehbar und entwickelt hieraus den Begriff der Gravitationswellen, die sich bei jeder asymmetrischen Änderung eines Materiehaufens ergeben. Auch diese hatte Einstein vorhergesagt, und Rezzolla belegt ihre Entstehung aus einer – stark vereinfachten – Gleichung Einsteins.

Schließlich gelangt Rezzolla zu seinem eigentlichen Thema, den „Schwarzen Löchern“, die entstehen, wenn ein Neutronenstern soviel Materie eingesammelt hat, dass seine Anziehungskraft sogar das Licht – in Gestalt von Photonen – festhält. Schwarze Löcher kann man also nicht sehen, sondern nur an ihrer Umgebung erkennen. Rezzola beschreibt die Suche nach solchen Gebilden, die sich durch einen Ring von der Gravitation aufgeheizter Materie um einen schwarzes Nichts herum zu erkennen geben. Dabei erklärt er sowohl den Begriff des „Ereignishorizonts“, hinter dem nichts mehr zu sehen ist, als auch die Ablenkung der Lichtstrahlen (Photonen) durch die Gravitation bis hin zum Verschlucken sowie die Auswirkungen der Rotation eines Schwarzen Loches. Aus Einsteins Gleichungen extrahiert er die charakteristischen Größen eines Schwarzen Loches: die Masse M und den Spin J. Die dritte Größe, die Ladung Q, kann er marginalisieren, weil das Schwarze Loch auf längere Sicht beide Arten von Ladungen gleichermaßen anzieht und damit letztlich neutral wird.

Ein großer Teil von Rezzollas Betrachtungen gilt den Simulationen. Da optische Beobachtungen aufgrund der „Unsichtbarkeit“ der Schwarzen Löcher vor allem auf der Erde sehr schwierig sind, kann man Einsteins Gleichungen numerisch lösen, was heute dank immer schnellerer Rechner auch in akzeptablen Zeiträumen möglich ist. So simulierte Rezzolla mit seiner Arbeitsgruppe die Auswirkungen Schwarzer Löcher unterschiedlicher Masse und Rotation auf ihre jeweilige materielle Umgebung und erarbeitete deren optische Auswirkungen. Die Hoffnung besteht darin, zumindest einige dieser simulierten optischen Gebilde auch mit dem neuen Weltraumteleskop zu entdecken. Der erste Erfolg war der Gruppe vor einigen Monaten beschieden, als ein solcherart berechnetes Gebilde tatsächlich entdeckt wurde. Rezzolla erwähnt die bereits gefundenen Neutronensterne und Schwarzen Löcher namentlich und beschreibt ihre Lage am Nachthimmel. Weiterhin erwähnt er verschiedene – theoretische! – Ausprägungen Schwarzer Löcher bis hin zum „Wurmloch“, das sozusagen von zwei Seiten „gefüttert“ wird. Bei diesem Loch, das sich lediglich als mathematische Lösung ergibt, wird aber nie klar, wo eigentlich die verschluckte Masse bleibt. Wenn ein Tunnel von beiden Enden her Fahrzeuge aufsaugt, fragt man sich auch, wo die alle bleiben. Doch auch das ist keine Schwäche des Buches, denn Rezzolla weist explizit darauf hin, dass niemand das Innere Schwarzer Löcher kennt, und stellt lediglich die mathematische erlaubten Lösungen der Einsteinschen Gleichungen vor.

Es gibt also noch viel zu tun, um Schwarze Löcher und vor allem deren „Ende“, wenn es denn eins gibt, zu erkunden. Stephen Hawking hatte berechnet, dass Schwarze Löcher durch eine Art Strahlung am Ereignishorizont tatsächlich Masse verlieren, berechnete jedoch die Zeit für das Verschwinden des Loches auf 1068 Jahre, ein Zeitraum, den sich derzeit niemand vorstellen kann.

Wer sich für Astrophysik und vor allem für solche Exoten wie Neutronensterne und Schwarze Löcher interessiert, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Allerdings sollte die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit mathematischen Formeln sowie zur Akzeptanz nichtvorstellbarer raumzeitlicher Ereignisse vorhanden sein.

Das Buch ist im Verlag C. H. Beck erschienen, umfasst 267 Seiten und kostet 24 Euro.

Frank Raudszus

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