Dörte Hansen: „Zur See“

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Dörte Hansen schreibt über das Leben der Menschen auf einer kleinen Nordseeinsel. Mit analytischem Blick seziert sie in prägnanter Sprache Land und Leute. Bestimmend für die Bewohner sind die See, dass nasskalte Wetter im Winter, Herbst und Frühjahr sowie die gnadenlosen Stürme, die über die Insel hinwegfegen. Glücklicherweise – oder auch nicht – gibt es die Sommermonate, die viele Touristen und ein anderes Leben auf die Insel spülen. Doch kaum sind die Ferien vorüber, leert sich die Insel wieder, und das karge, vom Wetter gezeichnete Leben nimmt wieder seinen Lauf.

Im Mittelpunkt des Romans steht die Familie Sander mit Mutter Hanne, Vater Jens, den drei Kindern Ryckmer, Eske und Henrik. Sie wohnen in einem schmucken Reetdachhaus, das als das schönste auf der Insel gilt. Deshalb hat Hanne jeden Sommer viele Feriengäste, die von der Authentizität des Insellebens schwärmen und immer gerne wiederkommen. Hanne gibt sich viel Mühe mit den Gästen, schließlich sind sie eine gute Einnahmequelle. Sie genießt bei all der Arbeit die Kommunikation, während ihre eigene Familie aus ihren Zimmern ausquartiert wird und zurückstecken muss.

Im Laufe der Jahre erfährt Familie Sander den privaten Niedergang. Jens , Hannes Mann, zieht wie ein Eremit ins Vogelschutzgebiet und isoliert sich völlig von der Familie. Der älteste Sohn Ryckmer verfällt immer mehr dem Alkohol, da die harte Seefahrt anders wohl nicht zu ertragen ist, und landet nach längerer Zeit auf der Brücke eines Tankers schließlich auf einem Nordseependelkahn. Er wohnt wieder bei Muttern zu Hause, die ihn jeden Abend vom Schiff abholt und ihm seine Alkoholration zuteilt. Tochter Eske arbeitet als Altenpflegerin, hört in ihrer Freizeit Heavy Metal und hat auf dem Festland eine Freundin, die ihr Tatoos sticht. Henrik, Hannes Jüngster, sammelt Strandgut und baut dieses zu kleinen und großen Kunstobjekten zusammen, die er an die Touristen verkauft. Sein fast beschauliches Leben wird tragisch enden.

Dörte Hansen schildert nahezu unerbittlich das harte Leben auf der Nordseeinsel, das noch nie einfach war und allen Bewohnern seit Generationen in den Knochen steckt. Es ist ein dauernder Überlebenskampf, und kein Kapitän oder Matrose kehrt unbeschadet von der Seefahrt zurück. Die Frauen müssen die Familien zusammenhalten und mit dem Alkoholismus ihrer Männer und Söhne zurechtkommen. Da redet man nicht viel, sondern funktioniert einfach.

Was die Feriengäste in den Sommermonaten auf der Insel erleben, hat eigentlich nichts mit der harten Realität des Inselvolks zu tun. Sie „merken nicht, dass ihr Original nur eine gut gemachte Fälschung ist“, eigens für die Touristen einstudiert. Dörte Hansen nimmt kein Blatt vor den Mund, und so ist ihr Roman ein trauriger Abgesang auf eine sich auflösende Welt.

Das Buch ist im Penguin-Verlag erschienen, umfasst 255 Seiten und kostet 24 Euro.

Barbara Raudszus

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