Eckhart Nickel: „Spitzweg“

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Der Autor stellt seinem Roman „Spitzweg“ einen Aphorismus des Schriftstellers Arno Schmidt voran: „Die Welt der Kunst und Phantasie ist die wahre, the rest is a nightmare“. Wie sehr sich dieser Satz bewahrheitet, erschließt sich dem Leser im Laufe der Lektüre dieses Romans.

Wir Leser folgen einer Oberstufenklasse in den Kunstunterricht. Die Aufgabe besteht in einem Selbstportrait. Meist stümperhaft mühen sich die Schüler ab, während die Kunstlehrerin, Frau Hügel, sozusagen von herab den Schülern über die Schultern schaut. Ihrer begabtesten Schülerin Kirsten gelingt das Selbstportrait gut, und das Urteil der Kunstpädagogin lautet: „Ausgesprochen gelungen. Respekt – Mut zur Hässlichkeit!“. Welch ein niederschmetternder Satz! Die anschließende Stille im Klassenraum zeugt von der Schockstarre der Mitschüler und löst sich erst auf, als Kirsten mit vor die Augen geschlagenen Händen aus dem Klassenraum stürzt.

Während ihr noch alle Schüler auch auch Frau Hügel hinterher schauen, bemächtigt sich der Banknachbar Carl, ein neuer Schüler, unauffällig des Portraits. Das beobachtet wiederum der Ich-Erzähler und fühlt sich sofort dem Neuen in Komplizenschaft verbunden.

Wie das Leben so spielt, bewirkt der eher beiläufig geäußerte Satz der Kunstlehrerin einen spontanen Zusammenschluss von Carl, Kirsten und dem Ich-Erzähler. Im Team hecken die drei jungen Leute einen teuflischen Plan aus. Kirsten soll fortan der Schule fortbleiben, quasi verschwinden, und so in der Lehrerin Ängste schüren und ihr eine schlechtes Gewissen einimpfen. Carl, ein wacher Geist, belesen und wortgewandt, entwickelt sich schnell zum Anführer der Gruppe, wobei Kirsten sich nicht so leicht lenken lässt wie geplant. Auch sie beschäftigt sich schon länger mit Kunst, einerseits als Zeichnerin und Malerin, andererseits auch in der Theorie. Und auch der Protagonist hat Freunde am Interpretieren von Kunstwerken, besonders den Genrebilder von Spitzweg, die oft so leichtfüßig daherkommen, aber viel hintergründiger gemeint sind. So beispielsweise sein „Bücherwurm“ oder der „Hagestolz“. Hier ist es für den Leser eine Freude, den Ausführungen der drei Abiturienten zu folgen.

Die Geschichte um Kirsten läuft nicht wie geplant, und bald geraten Carl und sein Freund in Situationen, die sie nicht so ohne weiteres steuern können. Es ist amüsant, wie der Autor mit den drei Helden spielt. Wie sie sich in schöner Rede und klugen Gedanken gefallen und doch nur ihren Platz in der Welt suchen. Eigentlich wollen sie ganz einfach in einem sicheren Netz von Liebe und Freundschaft aufgehoben sein, um sich in diesem verwirrenden, Angst einflößenden, unverständlichen Leben nicht völlig zu verlieren.

Das Buch ist im Piper-Verlag erschienen, umfasst 254 Seiten und kostet 22 Euro.

Barbara Raudszus

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