Monique Roffey: „Die Meerjungfrau von Black Conch“ 

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Der Roman „Die Meerjungfrau von Black Conch“ von Monique Roffey erschien auf Englisch bereits 2020, jetzt liegt die deutsche Übersetzung im Klett-Cotta Verlag vor.

Die Schriftstellerin Monique Roffey  wurde als Tochter eines britischen Vaters und einer ebenfalls europäischen Mutter auf Trinidad geboren, ging dort auch zur Schule, erhielt aber ihre akademische Ausbildung in Großbritannien. In ihren Romanen setzt sie sich mit den Lebensbedingungen in der Karibik, insbesondere mit der Situation der Frauen, auseinander.

Der Roman „Die Meerjungfrau von Black Conch“ reiht sich in diesen Themenzusammenhang ein.

Monique Roffeys Erzählung umspannt mehrere Jahrhunderte und verknüpft alte Mythen mit moderner Realität. Auf diese Weise wird die scheinbar so aufgeklärte Gegenwart fragwürdig, denn auch die Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts haben vorwissenschaftliche Erklärungsmuster immer noch nicht überwunden und sind nur allzu schnell bereit, Wissen und Vernunft für magisches Denken aufzugeben.

So ist es mit der Meerjungfrau Aycayia in dieser Geschichte. Sie wird bei einem Angelwettbewerb vor der fiktiven Insel Black Conch, wohl in Anlehnung an die karibische Insel Tobago, von zwei Amerikanern nach einem dramatischen Kampf aus dem Meer gezogen. Für die Amerikaner ist dieses mythische Frau-Fisch-Wesen ein Objekt ihrer materiellen Begierden und wird damit zur Ware. Sie sehen sich als reiche Männer, die nicht mehr arbeiten müssen, wenn sie dieses Wesen in den USA verkaufen. Wie ein Stück Vieh wird die Meerfrau bis zur weiteren Verwendung im Hafen mit dem Kopf nach unten aufgehängt. Dabei übersehen die Männer, dass es sich hier um ein menschlich fühlendes Wesen handelt.

Das erkennt nur David Baptiste, ein 26-jähriger junger Fischer, der zu der schwarzen Bevölkerungsmehrheit gehört. Er rettet Aycayia und versteckt sie bei sich zu Hause.

Nun geschieht das Wunder: Dieses entmenschlichte und entsexualisierte Wesen entwickelt sich durch Davids Liebe wieder zu einer Frau, einer weißen Frau, kleine Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen erinnern an den Fischleib. Nur die menschliche Sprache fehlt ihr noch.

Doch auch dieser Teil der Mensch-Werdung ist Aycayia vergönnt. Die reiche weiße Miss Rain, der fast die ganz Insel gehört und die mit ihrem tauben Sohn Reggie in einer großen Villa lebt, lehrt sie die Sprache der Menschen, Reggie lehrt sie die Gebärdensprache.

Reggie ist das Kind von Miss Rain und dem Schwarzen Life, mit dem Miss Rain seit ihrer Kindheit verbunden war. Life jedoch hat die Insel verlassen, um im Dorf nicht länger als der „house nigger“ angesehen zu werden.

Das eigentliche Drama entsteht, als die bösartige Priscilla Davids Geheimnis entdeckt. Das Fremde, das andere kann auf der Insel nicht geduldet werden, und so tut sie alles, um dem Ungehörigen ein Ende zu bereiten. Wie das alles ausgeht, soll hier nicht verraten werden.

Monique Roffey erzählt ihre Geschichte auf drei Zeit-Ebenen und aus drei verschiedenen Perspektiven.

Die Schilderung der Ereignisse um die Meerjungfrau übernimmt eine allwissende Erzählerin, die genaue Jahresangaben macht, vom Auftauchen der Meerfrau im April 1976 bis zu dem alles verändernden Hurricane im August 1976. Das gibt der unwahrscheinlichen Geschichte den Anschein von Authentizität. Die Erzählerin spielt mit ihrem Lesepublikum. Ihre realistische Erzählweise lässt wie selbstverständlich das mythische Wesen Wirklichkeit sein. Das kann doch aber nicht sein, oder etwa doch? Leicht verunsichert fragt sich die Leserin, worauf das Ganze hinausläuft und warum Monique Roffey diese Gestalt wählt.

Der Eindruck des Authentischen wird verstärkt durch die zweite Erzählebene: Der mittlerweile 65-jährige David führt von März 2015 bis Februar 2016 ein Tagebuch, in dem er die Ereignisse von 1976 und seine große Liebe zu Aycayia noch einmal Revue passieren lässt. Roffey versucht in diesen Aufzeichnungen die einfache Sprache eines Fischers in ihrer kraftvollen Emotionalität nachzuempfinden, was sich im englischen Original in den sprachlichen Eigentümlichkeiten des „Trinidadian English Creole“  ausdrückt. Die Übersetzung versucht das durch ein fiktives „karibisches Deutsch“ zu ersetzen, wie die Übersetzerin in einer Nachbemerkung schreibt. Ob das wirklich gelungen ist, sei dahingestellt, denn immer wieder stört die Uneinheitlichkeit von Davids Sprache. Da werden punktuell grammatische Fehler und umgangssprachliche Wendungen und Verbformen eingebaut, die angesichts eines dann wieder einwandfreien sprachlichen Flusses wenig plausibel erscheinen.

Die dritte Erzählebene ist die eines versgebundenen, archaischen Sprechens der Meerjungfrau selbst. Sie berichtet wie ein antiker Chor über ihre Herkunft, ihre Vergangenheit. Sie stammt von der „echsenförmigen Insel“, also Kuba, gehört zum Volk der Taino, den Ureinwohnern der Karibik. Aycayia wurde wegen ihrer Schönheit und ihrer Wirkung auf die Männer von den Frauen ihres Dorfes verflucht und als entmenschlichtes, asexuelles Halbwesen ins Meer verbannt, in dem sie seit Jahrhunderten existiert. Der Fluch verfolgt sie immer und überall, es ist ihr verwehrt zu sterben. Die Menschwerdung auf Black Conch lässt sie die Liebe erfahren, aber einer wirklich menschlichen Bindung gegenüber bleibt sie skeptisch.

Roffey greift mit der Figur der Meerjungfrau mehrere hochaktuelle Themen auf, insbesondere die Folgen des Kolonialismus und des damit verbundenen Rassismus in Mittelamerika, der die Identität der indigenen Bevölkerung wie die der Taino zerstört hat und eine weiße europäisch-stämmige Minderheit als privilegierte Elite etabliert hat.

Wie dieser Prozess sich über Jahrhunderte hinzieht und immer noch weiterwirkt, so muss die Meerjungfrau offenbar in ewiger Zeitlosigkeit durch die Meere irren.

Gleichzeitig ist Aycayia in ihrer Andersartigkeit Symbolfigur für das Leiden der Frauen. Als Sexualobjekte wurden sie in der Geschichte bis heute immer wieder zur Ware gemacht, über die Männer verfügen können und die ihnen Gewalt antun, wenn sie sich nicht fügen. Fast schlimmer aber sind noch die Frauen, die das Besondere und andere nicht erlauben, es ausstoßen und bestrafen, wenn sie sich in ihrer Mittelmäßigkeit entlarvt und bedroht fühlen. Dass das bis in die Gegenwart hinein Gültigkeit hat, zeigt Roffey mit der Figur der Priscilla, die das schlechthin Böse verkörpert.

Dennoch vermittelt Roffey auch eine Vision von Hoffnung auf eine bessere Zukunft, in der ethnische Zugehörigkeit und Hautfarben keine Rolle mehr spielen. Die Liebe als versöhnende und heilende Kraft wird mit der Beziehung von David und Aycayia wie auch mit der Liebe von Life und Miss Rain beschworen, auch Miss Rains mütterliche Liebe zu ihrem tauben Sohn gehört hierher. Dennoch bleibt die Bedrohung durch den Fluch des Bösen, der sich auch in einem schweren Hurricane ausdrücken kann. Roffey suggeriert, dass die Liebe den Menschen die Energie gibt, nach dem Einbruch des Bösen, und sei es durch die Zerstörungskraft der Naturgewalten, einen Neuanfang zu wagen.

Am Ende bleibt die Leserin betroffen zurück. Das Gegeneinander von Gut und Böse ist doch etwas sehr plakativ in diesem Roman, die zentralen Themen werden zwar angeschlagen, aber nicht vertieft. Etwas peinlich bleiben die sehr konkreten Beschreibungen von Aycayias ersten sexuellen Erfahrungen. Wir als Leser wissen doch wohl Bescheid und müssen nicht über die Beschaffenheit des erregten männlichen Glieds aufgeklärt werden. Bisweilen stört der sehr drastische Ton, der sich im Deutschen wohl anders anhört als im authentischen  „Trinidadian English Creole“.

Es bleibt noch zu fragen, ob die versöhnende Kraft der Liebe nicht etwas dick aufgetragen ist.

Das schmälert aber nicht das Verdienst von Monique Roffey, dass sie ihre Leserinnen in die doch eher unbekannte Lebenswelt der Karibik jenseits des Tourismus führt.

Der Roman ist in der Übersetzung von Gesine Schröder im Klett-Cotta Verlag erschienen, hat 233 Seiten und kostet 22 Euro.

Elke Trost

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