Martin Mosebach: „Taube und Wildente“

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Der Abschlag beim Golf erfolgt generell in zwei Phasen: der Ausholvorgang besteht aus einer spannungsgeladenen Bewegung, in der genau Maß genommen wird und das Ziel sowie seine Umgebung anvisiert werden. Hier sind noch kleinere Korrekturen möglich. Die zweite Phase dagegen, einmal begonnen, verläuft dynamisch eindeutig und kann nicht mehr unterbrochen werden. Es ist sozusagen ein schicksalhaft determiniertes Ereignis.

Genau nach diesem Muster hat Martin Mosebach – wahrscheinlich unbewusst – seinen neuen Roman verfasst. In einer novellenhaft abgeschlossenen Umgebung baut er ein nach den aristotelischen Regeln des Ortes, der Zeit und der Handlung geordnetes Tableau auf, um dann anschließend den Schwung der sich dynamisch entwickelnden Handlung des zweiten Teils als abwärts stürzende Bewegung zu beschreiben.

Der Protagonist Dalandt, etwa Mitte sechzig und kunstsinniger Feingeist, besitzt in Frankfurt einen schöngeistigen Verlag, der ihm zwar viel Feuilleton-Ehre, aber wenig Geld einbringt. Nicht zuletzt deswegen hat er nach dem Scheitern seiner ersten Ehe die robuste Marjorie geheiratet, die von ihrem Vater ein beachtliches, im dreckigen belgisch-kongolesischen Bergbau des frühen 20. Jahrhunderts erworbenes Vermögen geerbt hat, auf das sie wegen seines Stiftungscharakter leider nur begrenzten Zugriff hat. Frustriert ob dieser Einschränkung, lässt sie alle ihre gesellschaftliche Überlegenheit in schroffen Bemerkungen spüren. Dalandt weiß diese in stillem Hochmut zu ignorieren, da er um die auf dieser ehelichen Verbindung basierende Bonität seines kränkelnden Verlages weiß.

Die Familie verbringt den Sommer in einem zur Stiftung der Erblasser gehörenden Landhaus in Südfrankreich. Dalandt und seine Frau führen offensichtlich nur noch eine Papierehe, was die Leser bald aus Marjories frühmorgendlichen Besuchen bei dem englischen Maler und Verwalter des Anwesens erfahren. In Dalandts Gedanken schleicht sich immer wieder die Erinnerung an eine überraschend erfolgreiche erotische Beziehung vor sieben Jahren zu einer noch jungen Frau ein. Auch Marjories Tochter Paula und ihre sechsjährige Tochter gehören zur Feriengesellschaft sowie Paulas Freund Max, gescheiterter Musikstudent mit verzagten Pianistenhoffnungen.

Wenn der Leser aus der Erzählerperspektive erfährt, dass niemand den Vater von Paulas Tochter kennt und dass auch ihre Mutter diese Information mit keinerlei Mitteln aus Paula herauslocken kann, bildet sich schnell ein konkreter Verdacht, der sich bald erhärtet, doch nie vom handelnden Personal zugegeben wird. Auch die Tatsache, dass Paula den gutmütigen Max ausgesprochen schlecht, eben nur wie einen Platzhalter, behandelt, deutet in dieselbe Richtung.

Die sommerliche Runde wird vervollständigt durch zwei Mitarbeiter Dalandts, die zu strategischen Gesprächen nach Südfrankreich gekommen sind. Der Mann ist der Finanzverantwortliche und verachtet seinen Arbeitgeber wegen dessen schöngeistiger, wie er meint realitätsfremder Ansichten, die sich gerne in Vorträgen für die Mitarbeiter äußern. Ironischerweise verachtet auch Dalandt seinen Mitarbeiter wegen fehlender künstlerisch-kreativer Charaktereigenschaften. Die Frau ist Lektorin und sucht noch ihre Position im Verlag, wobei für sie auch erotische Aspekte für die Karriere eine Rolle spielen könnten. Gegen eine statusverbessernde Liaison mit dem Chef hätte sie wohl nichts, was sich aber leider nicht andeutet; den Kollegen hingegen hält sie wegen seiner geringen kulturellen Öffentlichkeitswirkung für erotisch nicht satisfaktionsfähig. Doch beide lauern auf ganz unterschiedliche Gelegenheiten, ihre Stellung im Verlag zu verbessern.

Die psychologische Situation beginnt sich zu erhitzen, als Marjorie über einige der ihr – oder besser: der Stiftung – gehörenden Originalgemälde an den Wänden des Landhauses abschätzige Bemerkungen äußert. Diese Worte aus dem Munde der Besitzenden müssen die vergleichsweise mittellosen Zuhörer natürlich frustrieren. Als sie das titelgebende Bild „Taube und Wildente“ als Kitsch bezeichnet, fühlt sich ihr kunstsinniger Mann in seiner künstlerischen Selbstachtung getroffen und holt zu einer Ehrenrettung des Bildes aus, die Marjorie natürlich als Affront werten muss. In einem psychologisch raffinierten Zweikampf ergreift sie erst die Initiative, indem sie ihm für die Möglichkeit dankt, das wider Erwarten wertvolle Bild für die Reparatur des Daches zu verkaufen. Doppelt getroffen, einerseits wie ein Museumsleiter, dessen Lieblingsbild der Aufsichtsrat zum Verkauf anbietet, andererseits als begossener Pudel, wenn das Bild bei weitem nicht den erwarteten Preis erzielen sollte, beschließt er in einem Anfall geistesgegenwärtigen Mutes, seiner Frau das Bild per Bankkredit abzukaufen und in seiner Frankfurter Wohnung aufzuhängen. Damit trifft er ihren Stolz, weil ihre Macht über ihn dadurch gebrochen ist.

Frei nach der anfangs erwähnten Golfanalogie beginnt jetzt die Abwärtsbewegung des Schwunges. Dalandt hat das Bild in seiner Frankfurter Wohnung mit entsprechendem Aufwand bestens platziert und erfreut sich in jeder Hinsicht der Gesellschaft der wegen des Schulbeginns mit nach Frankfurt zurückgekehrten Paula. Nun erfährt auch der Leser offiziell von der Liaison von Stiefvater und -tochter. Währenddessen veranlasst Marjorie in Frankreich nicht nur den Abgang des ungeliebten Haushälterpaares, eine Variante des aufsässigen Dienstbotenpaares der Comedia dell´arte, sondern muss auch den Abgang ihres langjährigen Verwalters und Bettgenossen verkraften, den ein Erbe zurück nach England ruft. Derweil hat der Finanzchef des Verlages einen Käufer gefunden, sich selbst als zukünftigen Chef platziert und Dalandt als vordergründig hofierten intellektuellen Frühstücksdirektor auf das Abstellgleis geschoben. Dieser fühlt dies mehr als dass er es in vollem Maße ahnt und lässt die Dinge laufen. Derweilen ändert sich das Verhältnis zu Paula drastisch zu einer sich beschleunigenden Abwärtsbewegung, ohne dass Dalandt den Grund bei sich findet. Dort befindet er sich auch nicht, da Paula offensichtlich einer eigenen Agenda folgt, in der Dalandt nur eine Übergangsrolle spielt(e).

Die Geschichte eskaliert dann am Schluss zu einer zwar physischen, aber dennoch deutlich metaphorischen Pointe, die für „Taube und Wildente“ einen so dramatischen wie buchstäblichen Schlusspunkt setzt. Am Ende findet sich das eben noch oben auf den gesellschaftlichen Wellen schwimmende Ehepaar in einem kargen Büroverlies wieder, wo sie eine sparsame Nacht verbringen. Alle Wünsche und Zukunftshoffnungen sind zerstoben, und die nachrückende Generation folgt einer eigenen Agenda, in der die Generation der Älteren – Intellektuellen – keine Rolle mehr spielt.

Neben diesem Abgesang auf die eigene Generation hat Mosebach auch noch eine ganze Reihe literarischer Zitate eingebaut. Am deutlichsten meldet sich „Lady Chatterley“ von D.H. Lawrence in der Person des Verwalters und Liebhabers zu Wort, doch Richard Wagners „Fliegender Holländer“ mit Daland(t) und Senta lässt sich ebenfalls sehr gut auf das Personal und die Handlung abbilden. Dabei lässt sich Dalandt neben der Namensfigur gleichzeitig als eben dieser ziellos durch die (intellektuellen) Weltmeere ziehende und nach Erlösung dürstende Holländer verstehen. Und Marjorie wie auch Paula erinnern überdies entfernt an Lady Macbeth. Doch man sollte diese Zitate nicht überbeanspruchen und stattdessen nur den Anflug der Ähnlichkeit festhalten. Erst das setzt die Phantasie frei und ermöglicht die subjektive Ausdeutung der Personen. Mosebach eröffnet diese Möglichkeiten, verzichtet jedoch bewusst auf weitere Verdeutlichungen.

Das Buch ist ein fast melancholisch zu nennender Abgesang auf eine Epoche und spiegelt Mosebachs durchaus nachzuvollziehende Sicht auf das Verlagswesen und die zunehmende Dominanz ökonomischer und karriereorientierter Aspekte wider. Dabei zeigt er noch einmal die Kraft einer nicht nur grammatisch und stilistisch korrekten Sprache, sondern auch deren Vielfalt und Variabilität bei der Ausdeutung psychologischer und intellektueller Sachverhalte.

Das Buch ist im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) erschienen, umfasst 333 Seiten und kostet 24 Euro.

Frank Raudszus

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