Klassiker der Moderne – Lyonel Feininger

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Als Lyonel Feininger im Jahre 1871 in New York zur Welt kam, herrschte in Europa noch der akademische Malstil und mussten die Impressionisten um Anerkennung kämpfen. Feininger durchlief eine für Künstler seiner Zeit untypische Laufbahn, begann er doch als Karikaturist für verschiedene US-amerikanische Zeitschriften und setzte diese Art der kommerziellen Kunst auch in Deutschland fort, wo er erst mit seinen Eltern hinzog und schließlich auch studierte. Er blieb bis 1937 in Deutschland und kehrte dann wegen der Ablehnung seiner „entarteten“ Kunst durch die Nazis in die USA zurück, wo er 1956 im Alter von 84 Jahren verstarb.

Selbstbildnis, 1915

Die Frankfurter „Kunsthalle Schirn“ setzt diesem multinationalen Künstler jetzt in der Ausstellung „Lyonel Feininger Retrospektive“ ein würdiges Denkmal. Gleich am Eingang der Ausstellung zeigen einige zeichnerische Selbstportraits das technische Können des Künstlers sowie seine Fähigkeit, das Wesen einer Person – in diesem Fall er selbst – zum Ausdruck zu bringen. Hier ist er noch weitgehend naturalistisch, während in seinen späteren Phasen zwar weiterhin das figurative Element erhalten bleiben wird, wenn auch in immer stärker verzerrter oder kubistischer Form. Dies gilt nicht nur für die bis ins Groteske übersteigerten Dimensionen und Proportionen seiner menschlichen Figuren, sondern vor allem für Bauwerke und Stadtbilder, die eher als Strukturbilder mit sich überlagernden und ins Offene laufenden Flächen denn als naturalistische Abbildungen zu sehen sind. Feininger will mit diesen architektonischen Bildern das strukturell Wesentliche seiner Objekte zeigen, ohne deswegen vollständig ins Abstrakte zu verfallen. Laut seiner eigenen Aussage sah er in der abstrakten Kunst keinen Fortschritt mehr.

„Gelmeroda II“, 1913

Die Ausstellung zeigt auch deutlich den Seriencharakter vieler Arbeiten. So bannte er eine Sicht auf die Kirche des Ortes Gelmeroda gleich in eine ganze Serie von Bildern mit ganz unterschiedlicher Ausdruckskraft. Eine andere Kirchen-Serie beginnt im Jahr 1913 mit einem farbenfrohen, wenn auch für ihn typisch verfremdeten Bild, um zwei Jahre später der düsteren Version eines zerstückelten, ruinenhaften Gebäudes überzugehen. Hier hatte Feininger offensichtlich seine Kriegseindrücke verarbeitet. Es folgte eine eher sakral geläuterte Version derselben Kirche, die das kathartische Lebensgefühl der frühen Nachkriegszeit einfängt.

Die Ausstellung räumt auch den weniger bekannten Seiten des künstlerischen Schaffens von Lyonel Feininger viel Raum ein. So erhält man einen guten Eindruck seiner Tätigkeit als Cartoonist in verschiedenen satirischen Zeitschriften oder als Erfinder entsprechender Figuren für Kinderbücher. Auch die Fotografie, der er lange Zeit skeptisch gegenüber stand, kommt später bei ihm zu ihrem Recht, wenn er neblige, wolkenverhangene Stadtimpressionen festhält und diese wieder als Vorlagen für Gemälde heranzieht.

„Leviathan“, 1917

Deutlich sieht man auch seine Entwicklung vom farbenfreudigen, figurativ weitgehend frei und dynamisch arbeitenden Künstler zum analytischen Betrachter der hinter den Dingen liegenden Strukturen. So nimmt er in späteren Jahren auch die Farben immer mehr zurück, lässt die sich überlagernden und transparenten Flächen für sich wirken, ohne die Dominanz der Farben. Dann wieder fasziniert ihn die (Ost-)See mit ihrer offenen Weite, den Stränden mit ihren Badenden und den nahe und ferne vorbeiziehenden Schiffen. Letztere können auch einmal historische Formen aus dem 18. und 19. Jahrhundert annehmen, wobei er der Phantasie freien Lauf lässt.

„Dame in Mauve“, 1922

In seiner späten Zeit in den USA stehen dann Stadtansichten von Manhattan und anderen Orten im Vordergrund, wobei er nicht den jubelnd aufsteigenden Stolz der Wolkenkratzer zeigt, sondern die Fragilität, ja: Brüchigkeit dieser Gigantomanie.

Die Ausstellung bietet in zwei großen Raumeinheiten einen umfassenden Überblick über Feiningers Schaffen, und man kann Interessenten nur empfehlen, für einen Besuch viel Zeit mitzubringen, um die Feinheiten und Ausdrucksvarianten der ausgestellten Werke wirklich zu verinnerlichen. Die Ausstellung ist noch bis zum 18. Februar 2024 geöffnet. Näheres ist auf der Webseite der Schirn zu erfahren.

Frank Raudszus

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