Elke Heidenreich: „Altern“

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Als Leserin, die nur ein paar Jahre jünger ist als Elke Heidenreich, war ich gespannt auf ihr Buch „Altern“. Es interessierte mich, wie Elke Heidenreich „Alter“ im Allgemeinen definiert und wie sie es selbst erlebt. Würde es mir neue Erkenntnisse oder eine neue Sichtweise auf das Altern an sich und auf mein eigenes Altern geben?

Meine Antwort ist ja und nein.

Elke Heidenreich versteht ihre eigene Situation als nun 81-jährige als eine sehr lebendige und lebenswerte Lebensphase, die sie gegen keine jüngere tauschen möchte. Es ist erfrischend zu lesen, wie sie sich dagegen wehrt, die Spuren eines gelebten Lebens aus dem Gesicht entfernen zu lassen, wie es heute schon ganz junge Menschen – und immer mehr! –  tun. Sie steht zu ihrem Leben, wie sie es gelebt hat. Ihrer Meinung nach ist es eine Frage der Perspektive, wie man das eigene Leben interpretiert. So steigt sie ein mit zwei diametral entgegengesetzten Interpretationen ihres Lebens: Entweder „Ich habe mein Leben komplett in den Sand gesetzt“ oder „Ich hatte ein unfassbar wunderbares Leben“. Sie entscheidet sich für die positive Sicht.

Es ist ermutigend, wie sie auf ihr Leben zurückblickt und es annimmt, wie es gelaufen ist mit allen Höhen und Tiefen. Es ist ihr nur zuzustimmen, dass diese Haltung wichtig ist, wenn man das Alt-Werden und das Alt-Sein als eine wertvolle Lebensphase genießen will, in der man nicht nur sentimental oder gar bedauernd und klagend zurückblickt, vielmehr bewusst in der Gegenwart lebt mit Plänen und Zielen für die Zukunft, sei sie auch noch so kurz.

Sie gibt Einblick in ihr Leben als über 80-jährige, das noch voller disziplinierter Struktur ist: Sie sitzt jeden Morgen um 9 Uhr am Schreibtisch, wo noch zahlreiche Projekte auf sie warten. Auch sonst ist ihr Leben in ständiger Bewegung. Sie ist gefragt in der Öffentlichkeit, sie hat viele Freunde, sie hat einen wesentlich jüngeren Lebensgefährten. Das alles hält sie auf Trab. Das ist bewundernswert und für alle, die in ihrem Alter noch einigermaßen fit sind, Bestätigung und Herausforderung zugleich. Man möchte es ähnlich hinbekommen, auch ohne die öffentliche Sichtbarkeit und den Erfolg einer Elke Heidenreich.

So viel zum „Ja“: Elke Heidenreichs Sicht auf das Alter hat mich in meinem eigenen Tun ermutigt. Aber es bleiben einige Bedenken. Hinter ihrem Lebensfazit steht ein Verständnis von Lebensgestaltung, das sehr an das amerikanische Motto „Where there is a will, there is a way“ erinnert. Geglücktes Leben ist dann weitgehend meine eigene Leistung. Wenn ich also im Alter einsam und bekümmert bin, dann habe ich etwas falsch gemacht.  Hier fehlt mir die Demut, dass sie selbst ein sehr privilegiertes Leben führt, mit allen denkbaren Ressourcen für körperliches und psychisches Wohlbefinden.

Es fehlt mir die Auseinandersetzung mit weniger glücklichen Lebensgeschichten, die mit schlechten Startbedingungen  von Anfang an einen schweren Weg vorzeichnen; oder Lebensgeschichten, die durch schwere Schicksalsschläge oder Krankheit gezeichnet sind. Wie sollen solche Menschen zu einem positiven Lebensfazit  kommen? Welche Hilfen sind für solche Menschen notwendig? Könnten wir als selber Alte uns hier engagieren?

Altersdiskurse gibt es seit der Antike, die vier wesentlichen sind die des Alterslobs (Platon), der Altersschelte (Aristoteles), der Altersklage und des Alterstrosts (Cicero).

Es hätte mich mehr interessiert, wenn Elke Heidenreich auf diese grundlegenden Haltungen  eingegangen wäre. Sie hätte dann ausgehen können von Ciceros „Alterstrost“: Cicero versteht „Alterstrost“ als Pflicht für jeden alten Menschen,  damit wendet sich gegen jede Altersklage. Hier hätte sie ansetzen können und das Neue des gegenwärtigen Altersdiskurses erörtern können. Wir heutigen, geistig und körperlich noch fitten Alten, so entnehme ich das Elke Heidenreichs Text, brauchen auch den Alterstrost nicht, vielmehr wollen wir nicht auf das Alter beschränkt werden, sondern wie jede andere Altersgruppe in ihrer spezifischen Lebenssituation mit ihren spezifischen Fähigkeiten wahrgenommen und ernst genommen werden. Wie ich Elke Heidenreich in ihrer Selbstdarstellung verstehe, geht es ihr genau darum: um den vorurteilsfreien Dialog über alle Altersgrenzen hinweg.

Noch eins bleibt anzumerken: Elke Heidenreich hat ganz offensichtlich viel zu dem Thema „Alter“ recherchiert, denn sie führt eine so große Fülle von Zitaten quer durch die Philosophie- und Literaturgeschichte an, dass mir als Leserin zeitweise ganz schwindelig wurde. Hat sie das nötig? Hätte sie die Ergebnisse ihrer Recherchen stärker gebündelt und unter den unterschiedlichen Aspekten erörtert, wäre der Erkenntniswert ihres Buches mit Sicherheit erheblich größer gewesen.

Das hätte nicht auf Kosten der guten Lesbarkeit gehen müssen. Denn dass sie ihre Leserinnen und Leser mitnimmt, sie gut unterhält, viele interessante Aspekte vorträgt und dabei keine Leseschwierigkeiten aufkommen lässt, dafür ist sie eben Elke Heidenreich. Hier spricht eine starke alte Frau, die das Leben liebt, die die Menschen liebt und die Langeweile nur deshalb nicht hasst, weil sie sie nicht kennt.

Insgesamt ist „Altern“ ein vergnügliches Buch, insbesondere wohl für Menschen jenseits der 70, die aus eigener Erfahrung wissen, wovon Elke Heidenreich spricht.

Die Leserin wünscht der Autorin noch viele gesunde und aktive Jahre.

Das Buch ist im Hanser Verlag erschienen. Es hat 112 Seiten und kostet 20 Euro.

Elke Trost   

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