Antje Rávik Strubel: „Der Einfluss der Fasane“

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In Antje Rávik Strubels neuem Roman geht es um die Rolle der Medien in unserer aufgeregten, zu schneller Empörung bereiten Zeit. Eine falsche Überschrift zu einem Artikel zur falschen Zeit kann zu einem Shitstorm führen, der berufliche Existenzen vernichtet. Das geschieht der gestandenen Journalistin Hella Karl, der Leiterin des Feuilletons einer angesehenen Berliner Tageszeitung. Mit ihrer Protagonistin geht es der Autorin darüber hinaus um die Me-Too-Debatte und die Rolle der Karrierefrau, die den schwierigen Balanceakt zwischen Professionalität in einer nicht zimperlichen Männerwelt und ihrer Definition als Frau meistern muss.

Hella Karl hat in einem Artikel sexistische Vorwürfe gegen einen bekannten und sehr erfolgreichen Berliner Intendanten und Regisseur publik gemacht. Der Regisseur verliert daraufhin seine Ämter wie auch seine Reputation. Wirtschaftlich schadet es ihm nicht, weil er mit einer sehr erfolgreichen Opernsängerin verheiratet ist. Er begleitet sie zu einer Tournee nach Sydney, wo sie die Norma in Bellinis gleichnamiger Oper singt.

Während sie auf der Bühne mit der „casta diva“ brilliert, bringt er sich in ihrer Garderobe um. Schnell wird in der Medienwelt, insbesondere der digitalen Medienwelt, kurz geschlossen und Hella Karl zum Sündenbock gemacht. Als sie sich dann noch in einem missglückten Interview kritisch über die Medien, also über ihre eigene Branche, äußert, wird sie von ihrer Redaktion freigestellt und von den meisten Kolleginnen und Kollegen geschnitten.

Rávik Strubel stellt ihre Protagonistin als eine Frau dar, die journalistisch mit allen Wassern gewaschen ist, gewohnt ist, sich auf dem großen Parkett der Kulturwelt souverän zu bewegen und auch die Größen dieser Szene in kritischen Interviews zu befragen. Auch dem nun verstorbenen Regisseur ist sie ein paarmal begegnet, hat dabei gekonnt seine eindeutige Anmache pariert.

Weil sie so fest im Sattel zu sitzen meint, glaubt sie zunächst, diese Krise relativ schnell hinter sich bringen zu können, und ergreift die Flucht nach vorn.

Sie muss aber erfahren, dass ihr Fall so tief ist, dass völlig unklar ist, ob sie sich erholen wird. Auch Menschen, auf deren Loyalität sie glaubte setzen zu können, ziehen sich zurück.

Die Welt des Erfolgs erweist sich als sehr brüchig. Da sie bisher hauptsächlich für den Beruf gelebt hat, hat sie weitgehend verdrängt, dass ihre Karriere auch auf Kosten ihrer Ehe gegangen ist. Sie glaubt sich in der Beziehung zu ihrem Mann, einem erfolgreichen Architekten, sicher aufgehoben. Man lebt in einem alten, romantischen Haus am Wannsee, in scheinbar symbiotischer Zweisamkeit, mit intensivem Liebesleben. Kinder gibt es nicht. Dass ihr Mann dabei ist, sich von ihr zurückzuziehen, bemerkt sie nicht.

Rávik Strubel erzählt die Krise der Hella Karl konsequent aus deren Sicht, in der 3. Person, was zugleich Nähe und Distanz schafft. Wir als Leserinnen verfolgen Hella dabei, wie sie versucht, die Situation zu meistern. Ihre Reaktion schwankt zwischen Verzweiflung und Selbstüberschätzung. Als es einen Hinweis gibt, dass der Selbstmord auch mit der ehelichen Beziehung des Regisseurs zusammenhängen könnte, setzt sie alle Hebel in Bewegung, um darüber mehr Informationen zu bekommen, in der Hoffnung, dass sie schließlich als Siegerin hervorgeht, der alle, die sie fallen gelassen haben, nun Abbitte leisten müssen. Ob diese Rechnung aufgeht, bleibt am Schluss offen.

Rávik Strubels Blick auf diese nach außen emanzipierte und erfolgreiche Frau ist ambivalent. Zum einen erscheint Hella als  kompetente Journalistin, der es wichtig ist, mit der Vielfalt sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten zu spielen und das jeweils treffendste Wort  zu finden. Ihre berufliche Genauigkeit steht jedoch in einem Missverhältnis zur Wahrnehmung ihrer Umwelt und ihrem Umgang mit Menschen. So nimmt sie etwa durchaus die Natur in ihrer häuslichen Umgebung wahr, aber das hat etwas Flüchtiges, als suche sie nur die Befriedigung  einer romantischen Sehnsucht nach Idylle. Ein authentischer Bezug zur Natur ist dabei nicht erkennbar.

Ähnlich ist auch ihr Umgang mit den Menschen. Sie betrachtet ihre Mitmenschen offenbar danach, was sie ihr nutzen können, ein Interesse am anderen wird nicht sichtbar. Sie ist durch und durch Strategin, die immer kalkuliert, wie sie sich in bestimmten Situationen am besten präsentiert.

In der Krise sind alle diese Strategien hinfällig, denn sie ist plötzlich allein und ohne Plan. So verläuft auch eine nächtliche Fahrradtour ohne Ziel, in der Illusion von Freiheit. Wie das ausgeht, lässt  Rávik Strubel offen.

Das Ende lässt uns als Leserinnen und Leser allein, mit kryptischen Andeutungen, wie es weitergehen könnte. Das öffnet den erzählerischen Raum für die Fantasie der Leser. Und das ist gut so.

Mir ist am Ende nicht ganz klar geworden, welches Frauenbild die Autorin vermittelt. Ich lese die grundsätzliche Frage nach dem Preis für Erfolg heraus, allerdings nicht nur im Hinblick auf die Frauen, sondern auch auf die Männer. Denn auch der verstorbene Regisseur ist schließlich Opfer seines Erfolgs und der damit verbundenen Verführung zur Machtausübung.

Die Autorin schreibt keineswegs einen feministischen Roman, wie übrigens ihre Protagonistin sich auch nicht als Feministin versteht und auch der Me-Too-Debatte kritisch gegenüber steht. Hellas knallharte Entlarvung des Regisseurs erscheint in diesem Lichte als Strategie, der eigenen Karriere einen weiteren Impuls zu geben, nicht aber als Engagement für Frauen, die Opfer männlicher Gewalt werden.

Damit geht es der Autorin dann eben auch ganz wesentlich um die Frage nach den Interessen der Journalistinnen und Journalisten. Dient ein als Aufreger aufgemachter Artikel wirklich der Wahrheitsfindung? Oder eher den Verkaufszahlen des Blattes und der Karriere der Verfasser? In Zeiten, in denen seriöser Journalismus es schwer hat, sich gegen die sogenannten „sozialen Medien“ durchzusetzen, ist diese Frage nur zu berechtigt.

Insgesamt ist „Der Einfluss der Fasanen“ ein durchaus lesenswertes Buch, das wichtige Fragen aufgreift, wenn mir auch der Titel  in seiner Bedeutung nicht klar geworden ist.

Es sei denn, die Autorin nimmt die sich spreizenden, farbig-glänzenden Flügel der Fasanen, die um Hellas Haus herum anzutreffen sind, als Metapher für das narzisstisch gespreizte Auftreten vieler sogenannter Persönlichkeiten in Kultur- und Medienwelt.

Antje Rávik Strubel, Der Einfluss der Fasane. S. Fischer Verlag 2025, 240 Seiten, 24 Euro.

Elke Trost

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