Spaß und tiefere Bedeutung

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Den beginnenden Sommer nutzt das Staatstheater Darmstadt, sich und seinem Publikum einen Spaß zu gönnen. Was liegt da näher, als an die Musikfeste in den herrschaftlichen Zeiten des Barocks zu denken und diese Tradition – unter anderen Vorzeichen – neu zu beleben. Dazu hat man das Schäferspiel „Il trionfo della fedeltá“ der Barock-Komponisten und Wittelsbacher Prinzessin Maria Antonia Walpurgis (1724 – 1780) ausgewählt. Wie der bisweilen geniale Zufall es wollte, ist die Umkehrung ihrer Initialen M.A.W. als Reverenz zu verstehen, und man darf annehmen, dass die Dramaturgie des Staatstheaters das durchaus erkannt hat. Warum sonst würde die Herrscherin selbst am Schluss bei ihrem Auftritt wiederholt ihre Initialen deklamieren?

Jana Baumeister als Clori

Schäferspiele spielen gerne im seligen Arkadien, wo einfache Menschen glücklich sind und Schäfer gerne Prinzessinnen heiraten. Schon im Spätbarock waren diese Schäferspiele eine Flucht vor den auch damals unseligen Verhältnissen, und man nutzte sie gerne, um der Wirklichkeit zu entfliehen. Regisseur Matthias Piro nimmt diesen – auch heute wieder anzutreffenden – Eskapismus aufs Korn und verleiht damit dem friedlich-amüsanten Liebesspielchen eine aktualisierte kritische Note.

Die Handlung des Stückes besteht darin, dass die selbst- und machtbewusste Clori (Jana Baumeister) versucht, ihren Verehrer Tirsi (Clara Kreuzkamp) zurückzugewinnen. Ihre Konkurrentin Nice (Nike Tiecke) ist in dieser Inszenierung jedoch eine heutige junge Frau, die im roten VW Polo und in Jenas und T-Shirt wegen einer Panne plötzlich im barocken Darmstädter Prinz-Georgs-Garten landet und in einer Zeitreise mitten in das barocke Schäferspiel platzt. Das sorgt natürlich wegen des historischen Kontrasts für Heiterkeit, ist jedoch ernster gemeint als anfangs erkennbar. So verstehen die barocken Herrschaften ihren Ärger über fehlenden Handy-Empfang – immerhin ist sie im Barock gelandet! – als Forderung nach einem angemessenen „Empfang“ – und das in dieser unangemessenen Kleidung!

Nike Tieke als moderne Nice

Doch mit zunehmender Eskalation verschärfen sich die Gegensätze, bis hin zur versuchten Hinrichtung der vom Kardinal als Hexe verdammten Nice, und auch sie muss ihren Eskapismus wegen häuslicher Probleme im heimischen Büttelborn neu bewerten. Als „deus ex machina“ lässt Matthias Piro schließlich die „Drag Queen“ Tante Gladice (Markus Schubert) alias Prinzessin Maria Antonia höchstselbst auftreten, die sozusagen als allmächtige Autorin die Verhältnisse wieder zurechtrückt und allen wegen ihres Eskapismus ins Gewissen redet.

Um die Autorenschaft einer Frau als Komponistin hervorzuheben, hat Matthias Piro – bis auf Tante Gladice – alle Rollen durch Frauen besetzt. Die jungen Galane, die jeweils mit einer Dame durch die grün gerahmten Gänge des Gartens wandeln, sind durchweg junge Frauen in barocken Männerkostüme, und das setzt sich fort in die Statisterie mit Frauen in Männerkleidung. Dabei bemühen sich die Darsteller um eine möglichst historische Darstellung, ahmen sie doch all die ehrerbietigen und artigen Gesten des Spätbarocks nach, die die Aufklärung auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen hat.

Clara Kreuzkamp zwischen zwei Wächtern

Dazu spielt das Orchester im regensicheren Gartenhaus eingängige Barockmusik, die vor allem die melancholische Grundstimmung dieser Schäferidylle widerspiegelt, und versetzt – zusammen mit den Sängerinnen – den Prinz-Georg-Garten tatsächlich in das frühe 18. Jahrhundert. Dabei zeigen sich die Sängerinnen von der besten Seite. Nike Tiecke beweist als moderne Rebellin und als Todeskandidatin ihre dramatischen Fähigkeiten, während Jana Baumeister neben ihrer stimmlichen Präsenz den ambivalenten Character der Clori zum Ausdruck bringt. Clara Kreuzkamp und Claudia Pereira besetzen die beiden männlichen Rollen mit mal einschmeichelnden, mal entrüsteten Passagen, und Markus Schubert setzt dem Spiel am Schluss die komödiantische Note mit der schillernden Darstellung einer Drag Queen auf.

Für das Publikum bot dieser Abend durchaus vergnügliche Unterhaltung, die gegen Ende dann jedoch in ernsthafte Kritik an einer arkadischen Weltflucht überging, die angesichts diverser weltweiter Krisen vermehrt anzutreffen ist.

Das Publikum bedankte sich mit kräftigem Beifall, und die Gespräche drehten sich noch länger um diese abwechslungsreiche Aufführung.

Frank Raudszus

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