Der Roman „Wachs“ von Christine Wunnicke spielt im Paris des 18. Jahrhunderts vor der Französischen Revolution. Es ist eine Zeit des Aufbruchs und neuer, revolutionärer Gedanken. Die zwölfjährige Marie Biheron, klein und zierlich, wagt sich in die nahegelegene Kaserne zu den Musketieren und bittet darum, eine Leiche kaufen zu dürfen. Sie ist die Tochter des bereits verstorbenen Apothekers Biheron und lebt bei ihrer Mutter, die weiterhin die Apotheke betreibt.
Marie tritt vor den Musketieren recht selbstbewusst auf und erklärt, sie brauche die Leiche „zum Zweck der Anatomie“. Geld habe sie dabei und sie werde die Leiche unversehrt zurückbringen. Da momentan kein Krieg herrscht, gibt es in der Kaserne naturgemäß keine Leichen. Also war die Information, die Marie erhalten hatte, falsch. Zuhause erklärt ihr die Mutter, sie brauche keinen Beruf auszuüben, denn das sei weder nötig noch üblich.
Doch Marie ist ehrgeizig. Sie will Anatomie lernen, koste es, was es wolle. Die Mutter kann sich nicht vorstellen, wie daraus ein Beruf werden soll, der dem Mädchen „zur Ehre gereicht, Geld abwirft und Gott gefällt“. So waren die Zeiten, in denen Mädchen keinen Beruf erlernten, sondern darauf warteten, geheiratet und versorgt zu werden. Marie jedoch, so jung sie auch ist, geht ihren Weg und lernt durch Sezieren von Leichen die menschliche Anatomie kennen. All ihre Experiment analysiert und dokumentiert sie, genauso wie ihre spätere Freundin Madelaine Basseporte, die sich mit der Pflanzenwelt beschäftigt und eine hochgeschätzte Pflanzenmalerin wird.
Beide Frauen schwimmen gegen den Strom und ringen um die Anerkennung ihrer Erkenntnisse in einer patriarchalischen Gesellschaft. Die Autorin beschreibt den Kampf der beiden Frauen ironisch und geistreich. Sie schafft es, eine vergangene Epoche glaubwürdig darzustellen und die Leserinnen in die Zeit des 18. Jahrhunderts zu versetzen, und stellt zwei brillante Frauenfiguren in den Mittelpunkt einer von Männern dominierten Welt. Das Erstaunliche dabei ist, dass beide Frauen trotz aller Widerstände erfolgreiche Forschung betreiben und schließlich durchaus Anerkennung ernten. Ihr Mut und ihre Intelligenz sowie ihr Durchhaltevermögen führen letztendlich zum Erfolg.
Zwar verwebt die Autorin historische Fakten und Fiktion ineinander, doch das tut sie gekonnt und unterhaltsam. Sie entreißt zwei Frauenpersönlichkeiten dem Vergessen und lässt sie für uns Leserinnen wieder lebendig werden. Für Liebhaber der Frauenemanzipation ist dieses Buch eine lohnenswerte Lektüre, die leichtfüßig und intelligent unterhält.
Das Buch ist im Berenberg-Verlag erschienen, umfasst 185 Seiten und kostet 24 Euro.
Barbara Raudszus


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