Metropole der Malerei

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Vor genau drei Jahren zeigte das Frankfurter Städelmuseum eine Ausstellung über die Manieristen, die in Florenz einen Mittelpunkt der Renaissancemalerei begründet hatten. Diese großartige Ausstellung ignorierte – unabsichtlich – die Tatsache, dass es in der gleichen Epoche ein zweites bedeutendes Zentrum der Malerei gab – Venedig. Hier übten Maler wie Tizian, Tintoretto und Varese ihre Kunst aus und erwarben sich internationales Ansehen. Das Städelmuseum hat dieses „Defizit“ jetzt mit einer umfassenden Ausstellung unter dem Titel „Tizian und die Renaissance in Venedig“ beseitigt und damit zugleich die größte Ausstellung zu diesem Thema in Deutschland ausgerichtet.

Tizian
Maria mit dem Jesuskind und der Heiligen Katharina („Madonna mit dem Kaninchen“)

Auf eine entsprechende Nachfrage aus dem Kreis der Pressebesucher antwortete Kurator Dr. Bastian Eclercy, dass man ursprünglich nur eine Ausstellung über die Renaissance-Malerei in Venedig geplant habe. Während der Vorbereitungen habe jedoch bei jedem Thema der Name Tizian an prominenter Stelle gestanden, so dass man sich schließlich dazu entschlossen habe, die Ausstellung um diesen großen Maler herum zu organisieren.

Tizians Bedeutung hat dabei auch einen fast schon trivialen Grund. Der ca. 1490 geborene Tizian – voller Name Tizian Vecellio – starb im Jahr 1576 und prägte fast siebzig Jahre lang das malerische Klima der Lagunenstadt. Auch weniger begabte Künstler hätten einer Stadt in dieser Zeit ihren Stempel aufgedrückt – umso mehr Tizian. In seinem „Windschatten“ etablierten sich jüngere Konkurrenten und Kollegen – wie immer man sie sieht – wie Jacopo Tintoretto (1518-1594), Jacopo Bassano (1510-1592) und Paolo Veronese (1528-1588). Aber auch ältere Maler gehören zu diesem Kreis, etwa Jacopo Palma il Vecchio (1479-1528) oder Sebastiano del Piombo (1485-1547). alle zusammen wurden jedoch beeinflusst, wenn nicht geprägt, durch Giovanni Bellini, bei dem Tizian als junger Mann in die Lehre ging.

Tizian: Bildnis des Alfonso Davalos, mit Page

Die Ausstellung ist in acht Kapitel unterteilt, die jeweils einen eigenen Bereich der Ausstellung belegen. In „Maria und die Heiligen im Dialog“ sind vor allem Mariendarstellungen zu sehen, „Nymphen in Arkadien – Heilige in der Wildnis“ betont die Landschaft als eigenständiges Sujet, das Kapitel „Poesie und Mythos“ zeigt an Beispielen, wie die Maler mit ihren Gemälden eigene Geschichten erfanden, ohne sich dabei erkennbar an biblischen oder mythischen Themen zu orientieren. „Belle Donne“ stellt die Frau als erotisches Wesen und Schönheitsideal in den Mittelpunkt der Malerei, und in „Gentiluomini“ sieht man Portraits mehr oder minder bekannter Zeitgenossen der venezianischen Maler. Ein eigenes Kapitel ist unter dem Titel „Colorito alla Veneziana“ der Farbe, dem Farbauftrag und dem Farbenhandel gewidmet, und ein anderes – „Florenz in Venedig“ – betrachtet ausführlich den männlichen Körper. Das abschließende Kapitel macht in Gestalt von Fotos aus berühmten Museen die heutigen Betrachter zu Objekten der Kunst: die Bilder von Bilder betrachtenden Besuchern strahlen dabei ein gewisse rekursive Ironie aus, weil die in den Fotos betrachteten Bilder zum Teil in eben dieser Ausstellung zu sehen sind, so die „Madonna mit dem Kaninchen“.

Bartolomeo Veneto: Idealbildnis einer jungen Frau

Betrachtet man die Bilder des frühen 16. Jahrhunderts, so fällt auf, dass manche von ihnen noch Züge der mittelalterlichen Malerei tragen: flächige Kompositionen mit wenig Raumwirkung und idealisierten Physiognomien sowie archetypischen Landschaften im Hintergrund, wenn überhaupt. Doch die Madonnengesichter beginnen bereits weiblichen Schmelz zu entwickeln bis hin zu hauchzarten Andeutungen von Erotik. Und die Kleider der Madonnen erhalten bereits deutlichen Faltenwurf und Eigenschatten. Schaut man auf die Entstehungszeiten der Bilder, dann kann man geradezu im Zeitraffer die Entwicklung der Individualisierung von Personen und Landschaften nachvollziehen.

Den Höhepunkt dieser Individualisierung stellen die Portraits männlicher Zeitgenossen dar. Hier sieht man Gesichter mit ganz eigenen Physiognomien, nicht unbedingt schön, jedoch – eben deshalb! – authentisch. Solche Portraits sieht man erst Jahrhunderte später wieder, denn in der Zwischenzeit hatten die – beschönigenden! – Auftragsportraits Hochkonjunktur. Auch die Darstellung der Kleidung gewinnt jetzt einen ganz anderen Stellenwert, vom seidigen Glanz der Roben bis zur rauen Stumpfheit abgerissener Lumpen. Die Spiegelung des Lichts in metallenen Rüstungen ist dabei ein besonders beliebtes Sujet. Von Jahr zu Jahr scheinen die venezianischen Maler ihr technisches Repertoire zu erweitern und zu vervollkommnen.

Sebastiano del Piombo: Dame in Blau mit Parfümbrenner

Auch die Landschaften emanzipieren sich vom reinen Randeffekt im berühmten Fensterausschnitt zu eigenständigen Naturkompositionen, in denen Personen zwar noch eine wichtige Rolle einnehmen, aber sozusagen auf Augenhöhe mit der Natur agieren. Farbe und Dynamik nehmen dabei stetig zu und verleihen der Natur eine unübersehbare ästhetische Eigenständigkeit.

Am stärksten macht sich die Emanzipation des Künstlers und seiner Objekte von herkömmlichen – sprich: mittelalterlichen – Paradigmen im weiblichen Portrait bemerkbar. Von Bild zu Bild gewinnen die dargestellten Frauen – nun nicht notwendigerweise mehr Madonnen – mehr Individualität und Weiblichkeit. In einigen Bildern gewinnt das weibliche Ideal bereits erotische Züge, bis hin zu Sebastiano del Piombos „Dame in Blau mit Parfümbrenner“, die geradezu berechnend verführerisch aus dem Bild schaut. Und Bartolomeo Venetos „Idealbildnis einer jungen Frau“ ist geradezu ein Vexierbildnis aus ästhetischem Ideal und hintergründiger Erotik.

Diese Ausstellung ist mit über hundert Werken die größte und bisher einzige zu diesem Thema in Deutschland. Das liegt auch daran, dass es dem Städel gelang, unerwartet viele Zusagen von Leihgebern aus aller Welt zu erhalten. Diese Tatsache ist nicht hoch genug einzuschätzen, da die Versicherungskosten für diese einzigartigen Werke mittlerweile eine Höhe erreicht haben, die es nur wenigen, finanziell gut ausgestatteten Institutionen erlaubt, eine solche Ausstellung durchzuführen. Das ist, auch dank des Kulturfonds Rhein-Main, beim Städel glücklicherweise der Fall. Kunstliebhaber im Rhein-Main-Gebiet können sich daher als privilegiert betrachten und sollten diese Tatsache auch unbedingt nutzen.

Details über Öffnungszeiten, Eintrittspreise und Führungen sind der Webseite des Städelmuseums zu entnehmen.

Frank Raudszus

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