Der diskrete Charme koreanischer Kritik

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Der zweite Abend des südkoreanischen Tanz-Gastspiels bestand aus einer einzigen, nahezu eineinhalbstündigen Choreografie mit dem Titel „Let me change your name“. Die Choreografin Eun-Me Ahn tanzte dabei selbst als Mitglied einer siebenköpfigen Truppe (vier Tänzerinnen, drei Tänzer). Der Titel erwies sich mit zunehmender Dauer der Aufführung tatsächlich als ein treffendes Motto: es geht um die Identität vor allem junger Menschen, die in einer leistungs- und konsensorientierten Gesellschaft wie Südkorea unter nivellierenden Druck geraten.

Zu Beginn bewegen sich einzelne Tänzer und Tänzerinnen schlangenartig auf vorgefertigten, schwach beleuchteten Bahnen der ansonsten abgedunkelten Bühne. Diese enthält außer einer großen Leuchtfläche an der Bühnenrückwand keine weiteren Requisiten. Die bodennahen Bewegungen wirken wie ein Sichwinden unter bedrückenden äußeren Bedingungen und enden stets mit einer Flucht in die Kulisse. Diese Interpretation ergibt sich jedoch erst im Nachhinein aus dem Eindruck der gesamten Choreografie. Anfangs erschließt sich diese Produktion dem Besucher kaum, und man muss geradezu fernöstliche Geduld aufbringen, um Zugang zu dem Stück zu erlangen.

Ensemble Eun-Me Ahn Company

Das Ensemble nutzt den Bühnenraum in wechselnden Konstellationen, wobei schon bald die Vereinzelung auffällt. Beide Geschlechter treten einzeln oder in Zweiergruppen auf, Kontakte kommen nur sporadisch zustande, und vor allem die Beziehungen zwischen den Geschlechtern gestalten sich schwierig bis aggressiv. Erotische Szenen sind weder in Andeutungen noch in künstlerisch abstrahierter Form vorhanden. Abwehrhaltungen und -gesten überwiegen bei scheinbar zufälligen Begegnungen, und kurze Treffen enden meist in Gleichgültigkeit und Trennung. Dabei tragen sowohl Männer als auch Frauen stoische Mienen zur Schau, die jeglichen Gesichtsverlust im Ansatz ersticken sollen.

Der Wechsel der Kleidung zu verschiedenen Farbkombinationen bekommt zwar der Choreografie ausgesprochen gut, ändert jedoch inhaltlich nichts. Auch farbenfrohe Kleidung kann die tief eingegrabenen Verhaltensmuster einer Gesellschaft so gut wie nicht ändern. Man entkleidet sich gegenseitig, wirft mit Kleidungsstücken um sich oder schlägt in Aggressionsausbrüchen den Boden mit ihnen, doch die Beziehungen zwischen den Menschen bleiben unverändert: gleichgültige Distanz. Doch hinter dieser Distanz staut sich die Sehnsucht nach Kontakt auf . Man sucht immer wieder den Kontakt, wird jedoch enttäuscht oder enttäuscht selbst.

Ensemble

Eine wiederkehrende Szene spielt die Choreografin selbst, die als offensichtlich älterer Mensch Kontakt zu jüngeren sucht, aber mehrmals bewusst zurückgestoßen wird. Die Wiederholung dieser Szene soll offensichtlich ein gesellschaftliches Problem beleuchten. Neben dem Zurückstoßen, das in versteckter Form auch das Verhältnis der anderen Figuren untereinander prägt, tritt die Eigenprofilierung des/der Einzelnen in den Vordergrund. Mit unbewegter Miene tanzt man aufeinander zu – und aneinander vorbei. Selbst die Entblößung bis auf einen Slip ändert das Verhalten nicht. Diese Entblößung auch der Frauen – sie tanzen über längere Strecken „oben ohne“ – hat weniger einen ästhetischen Stellenwert sondern soll zeigen, dass auch dieses „Lockmittel“ seine Wirkung verfehlt. Ironischerweise tritt dieser Gewöhnungseffekt auch beim Zuschauer auf. Nach erstem Erstaunen über die Freizügigkeit fällt die Barbusigkeit kaum noch auf.

Gegen Ende ändert sich die Situation merklich, wenn die jungen Tänzer und Tänzerinnen plötzlich fröhlich lachend und mit befreiten Bewegungen über die Bühne schweben. Doch bald entpuppt sich diese Fröhlichkeit als aufgesetzt, und das Lächeln erstarrt ein wenig zur Grimasse. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Menschen aus dem Druck des Konkurrenzalltags und der starren gesellschaftlichen Regeln in die Drogen fliehen und hier so etwas wie Erlösung suchen. Die Heiterkeit erweist sich zum Schluss im besten Fall als ambivalent, und wenn Eun-Me Ahn am Ende höchstselbst die weggeworfenen Kleider der TänzerInnen einsammelt, tut sie dies mit einer resignativen Geste. Und die anderen Mitglieder des Ensembles verabschieden sich in der letzten Szene mit einer geradezu melancholischen Vereinzelungsgeste, wenn sie sich intensiv und vereinsamt mit ihren Kleidern beschäftigen.

Als akustische Untermalung ertönt Techno-Musik aller Klangfarben, die eine tranceartige Atmosphäre erzeugt. Dazu kommen später Klangfiguren, die eindeutig an Handyklingeln erinnern und damit die gesellschaftskritische Interpretation stützen. Dennoch ist die hier geäußerte Deutung nicht auf konkrete Handlungselemente zurückzuführen. Eun-Me Ahn vermeidet die direkte Darstellung der gesellschaftlichen Zustände und umschreibt sie durch tänzerische Sprache, was ja auch die ureigene Aufgabe des Tanztheaters ist. Im Gegensatz zum europäischen Tanztheater, das oftmals mit deutlichen (gesellschafts)politischen Momenten aufwartet, beschreibt sie diese mit einer Körpersprache, die einerseits die Situation beschreibt, andererseits dem Betrachter jedoch einen großen Deutungsspielraum lässt. Das mag auf die asiatische Gepflogenheit zurückzuführen sein, Dinge nie direkt sondern durch die „Blume“ auszusprechen. Die ist in diesem Fall der Tanz, und es bleibt dem Betrachter überlassen, die Bewegungen der Tänzer zu interpretieren.

Das Publikum zeigte sich begeistert, was wohl auch darauf zurückzuführen war, dass es großenteils aus Tanz-„Insidern“ bestand, die eine größere Affinität auch zu schwierigen Choreografien aufweisen. Es gab jedoch auch ratlose Gesichter und entsprechende Äußerungen, die wohl auf eine gewisse Fremdartigkeit und den sehr dünnen Handlungsfaden zurückzuführen ist.

Frank Raudszus

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