Abbas Khider: „Deutsch für alle“

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Als Abbas Khider vor zwanzig Jahren als junger Mann aus dem Irak nach Deutschland kam, kannte er nur drei deutsche Wörter: „Hitler“, „Lufthansa“ und „Scheiße“ – ohne um die inhaltliche Korrelation zumindest zweier dieser Wörter zu wissen. Doch dann warf er sich, von dem unbändigen Wunsch getrieben Literaturwissenschaft zu studieren, in das Studium der deutschen Sprache und verzweifelte ein ums andere Mal an den unregelmäßigen Verben, der Konjugation und der Deklination. Letztere machte ihm vor allem bei den Artikeln zu schaffen, da das Arabische keine Artikel kennt.

Doch in diesen zwanzig Jahren bemächtigte er sich unserer Sprache in einem Ausmaß, von dem sich so mancher deutsche Akademiker eine Scheibe abschneiden könnte. Man darf annehmen, dass es bei der Veröffentlichung dieses Buches keiner massiven Eingriffe des Verlagslektors bedurfte – von Feinheiten abgesehen. Nur eines macht ihm noch heute schwer zu schaffen: die deutschen Umlaute ä, ö und ü, die er nach eigenem Geständnis noch heute nicht annähernd richtig aussprechen kann. Daher liest auch nicht er selbst dieses Hörbuch, sondern der in Gießen geborene Omar El-Saeidi, dem die Umlaute sozusagen in die Wiege gelegt wurden.

Als er nach zwanzig Jahren endlich die deutsche Sprache mit all ihren unregelmäßigen Verben, Konjugationen und Deklinationen schriftlich beherrschte, beschloss er, ein Buch darüber zu verfassen, wie man die deutsche Sprache so umgestalten könnte, dass auch Zuwanderer aus anderen Kulturen sie schnell erlernen können.

Anfangs hält man seine Ideen wegen des humorvollen und selbstironischen Stils für eine erweiterte Glosse, die die Absurditäten der deutschen Grammatik auf den Punkt bringen soll. Doch je weiter das Buch fortschreitet, desto mehr wird aufgrund der Konsequenz und der Konsistenz der Vorschläge klar, dass Abbas Khider es absolut ernst meint. Für ihn als Zuwanderer ist Sprache in erster Linie ein Kommunikationsmittel, vor allem in der Fremde. In dieser Funktion muss sie vor allem effizient sein, das heißt: einen Sachverhalt mit möglichst geringer Komplexität darstellen. Diese Sicht ist angesichts der mühevollen Lernphase bei Khider und all seinen „Leidensgenossen“ durchaus nachvollziehbar und sogar legitim. Dass Sprache die Grundlage einer Kultur ist und beide sich wechselseitig aufeinander beziehen, spielt in dieser Sicht keine Rolle.

So geht Khider denn auch munter zu Werke: als erstes ersetzt er die Artikel „der, die, das“ durch den einheitliche Artikel „de“, Plural „die“. Genetivbildung erfolgt über die Präposition „von“, wobei er genüsslich auf den bayerischen Dialekt verweist. So geht es weiter mit den unbestimmten Artikeln („einer, eine, eines“), den Adjektiven, denen er jegliche Deklination raubt, und den Personalpronomen. Auch die Nebensätze mit ihren ans Ende gerückten Prädikaten vereinfacht er zu dem bei uns verspotteten „falschen“ Weil-Satz.

Es ginge hier zu weit, Khiders Vorschläge in allen Details zu diskutieren. Die obigen Beispiele sollten reichen. Betrachtet man die (deutsche) Sprache lediglich als Mittel zum Austausch von sachlichen Informationen, so haben alle diese Vorschläge durchaus ihre Berechtigung, und eine zukünftige, auf Effizienz getrimmte Sprachkommission könnte ihre Vorgängerin bei der Rechtschreibung sogar noch übertreffen.

Fragt sich nur, wobei? Denn Sprache ist eng mit der Kultur und dem Denken des Kulturkreises verbunden, in dem sie entstand. Einschneidende Änderungen sind nicht nur schnell erlernbare Erleichterungen, sondern stellen die gesamte, auf Sprache beruhende Kultur in Frage. Wer könnte nach so einer Reform noch die deutschen Klassiker und Romantiker sowie die Autoren des 20. Jahrhunderts überhaupt sich aneignen? Man müsste Deutsch wieder als universitäre „Fremdsprache“ wie Alt- oder Mittelhochdeutsch einführen, um diesen Literaturschatz zugänglich zu machen – und dann nur für eine kleine Minderheit, sprich: Elite.

So wird Abbas Khiders Reformvorschlag wohl tatsächlich eine humorvolle Anekdote bleiben, die allerdings durchaus eine Anregung für einige Vereinfachungen der Grammatik sein könnte. Denn eine Sprache lebt und ist der Veränderung ausgesetzt, und so muss sich auch die deutsche Sprache dem „Zeitgeist“ anpassen, wie immer dieser auch aussehen mag. Die „falschen“ Weil-Sätze und „wegen mit Dativ“ sind mittlerweile (leider) fast Alltagsstandard geworden, warum sollte man da nicht auch die ein oder andere grammatische Absurdität abschaffen?

Das Hörbuch ist im Verlag Hörbuch Hamburg erschienen, umfasst zwei CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 156 Minuten und kostet 15 Euro.

Frank Raudszus

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