Hank Green: „Ein wirklich erstaunliches Ding“

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Die junge April May – der Name ist in seiner bewussten Einfallslosigkeit bereits Programm – entdeckt eines Tages auf der Straße eine seltsame Skulptur, die schwerelos in der Luft zu schweben scheint. Sehen, mit dem Smartphone aufnehmen und auf den eigenen „Account“ hochladen ist Eines, die unerwarteten Folgen das Andere.

Binnen kürzester Zeit klicken Millionen von „Usern“ das Foto an, und da weltweit noch weitere solche Figuren auftauchen, entsteht ein wahrer Hype. Da April die erste war, die dieses Phänomen entdeckte, wird die junge Studentin mit eher geringeren Ambitionen und einem Hang zum Chillen unversehens zur „Influencerin“. Plötzlich stehen Fernsehanstalten vor der Tür und laden sie zu Interviews ein, und sie lernt sehr schnell, ihrem plötzlich hochschießenden Bekanntheitsgrad ein Preisschild aufzukleben.

Ihr – eher platonischer – Freund, der bereits ein totaler Anhänger aller „social media“ ist, aber dem öffentlichen Hype der professionellen Medienanstalten mehr als kritisch gegenüber steht, versteht ihren sich sehr schnell professionalisierenden Umgang mit den Medienkonzernen nicht. Doch sie lernt schnell, auf diesem Klavier zu spielen.

Die seltsamen Skulpturen sind nur der Aufhänger für diesen medienkritischen Roman, der vor allem die Konzerne à la Google, Facebook und Instagram aus der Sicht einer jungen Frau satirisch aufs Korn nimmt. Und hier liegt auch der Schwachpunkt des Romans. Hank Green, selbst bereits Ende dreißig, lässt die junge April im Jargon der Zwanzigjährigen sprechen, oder wie er sich diesen Jargon vorstellt: „cool“, gegenwartsbezogen, Ich-zentriert und dem schnellen Lustgewinn verschrieben. Seine Protagonistin ist eine typische Vertreterin einer unpolitischen Generation, die den „Kick“ der Abwechslung und des „Aufregenden“ liebt, sich aber nicht quälen möchte. Anhand der Aufregungen um die Skulptur, der April aus einer spontanen Eingebung den Namen „Carl“ gibt, reift April an ihren aufregenden Erlebnissen und den Auseinandersetzungen mit Freunden und Internetbekanntschaften zu einer kritischen Person heran.

Dieses Heranreifen wird jedoch etwas realitätsfremd, sozusagen im Zeitraffer, dargestellt. Der Autor legt seiner Protagonistin seine eigene, im Laufe der Jahr(zehnt)e herangereifte, kritische Sicht der Dinge in den Mund, die sie dann im jugendlichen Jargon ausspricht, als sei die Erkenntnis plötzlich über sie gekommen. Da stimmen der Inhalt und die Formulierung der Einsichten nicht mit dem bewusst zur Schau gestellten Lebensgefühl der „digital natives“ überein. Als Leser bzw. Hörer bemerkt man die pädagogische Absicht und ist aufgrund der beharrlichen Verwendung dieses Stilmittels zunehmend verstimmt. In manchem erinnert der Roman an Dave Eggers´“The Circle“, nur dass der lakonischer gehalten und ohne Moral in Jugendsprache auskommt. Darüber hinaus stört auf die Dauer der aufgesetzt cool-lustige Tonfall, der mit zunehmender Hördauer eine hektische Atmosphäre verbreitet. Die Sprecher Marie-Isabel Walke und Nicolás Artajo folgen dem Konzept des Romans und halten die betont jugendliche Note konsequent durch.

Das Hörbuch ist im Verlag Hörbuch Hamburg erschienen, umfasst zwei mp3-CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 605 Minuten und kostet 24,95 Euro.

Frank Raudszus

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