Endlosschleife des Streits

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Beziehungsprobleme in Familien sind ein zentrales Thema der Literatur, des Theaters und der Oper. Gerade letztere verhandelt sie gerne auf großer Bühne und mit weit ausholender emotionaler Geste. Dass gerade die intimeren – und banalen – Streitereien sich im kleinen Format viel näher bringen lassen, zeigen die beiden Opern, die am 20. September in den Kammerspielen des Staatstheaters unter der Regie von Stephan Krautwald Premiere feierten.

Die Schriftstellerin Jackie Kay stieß auf eine ältere Frau, die wegen Gattenmords im Gefängnis saß. Die Frau hatte vor Gericht aus Scham und einer sehr persönlichen Loyalität gegenüber ihrem früheren Glück die Aussage verweigert, obwohl ihr Mann sie schwer misshandelt hatte, und zog die Gefängnisstrafe einer öffentlichen Klage über ihr Leid vor. Daraufhin verfasste die Autorin eine Reihe von Gedichten über diesen Fall, die der Komponist Marc-Anthony Turnage zu der Kurzoper „Twice through the Heart“ – zwei Stiche mitten ins Herz – vertonte.

Xiaoyi Xu in „Twice through the heart“

Der Einakter konzentriert sich auf die Gefühlswelt der Frau. Der Mann erscheint nur als Leiche, dargestellt von einem Komparsen mit grauer Maske als Zeichen des Todes. Die Sängerin Xiaoyi Xu singt dazu die neun Gedichte als emotionalen Rückblick auf einstiges Glück und späteres Leid der Frau. Grundtenor und wiederkehrender Refrain lauten „No Way Out“, und die Gedanken der Frau bewegen sich in einem geradezu zwanghaften Kreis. Sie erinnert sich fast verzweifelt an die schönen Tage der ersten Liebe und an ihr Kind, doch immer wieder ereilen sie dann die Erinnerungen an den schlagenden und schreienden Mann, gegen den sie sich schließlich nur mit dem Messer wehren konnte. Musikalisch laufen diese Erinnerungen wie ein Kanon oder ein mehrstrophiges Lied ab, das immer wieder dieselben Gedanken und deren Zwanghaftigkeit in einem nie aufzulösenden Zirkel wiedergibt. Xiaoyi Xu interpretiert den intensiven, förmlich von innen herausbrechenden Sprechgesang mit hoher Intensität und bringt die seelische Not dieser Frau überzeugend zum Ausdruck, wenn auch vom Text wegen des hoch verdichteten Kunstgesangs wenig beim Publikum ankommt. Erschwerend wirkt, dass den auf Deutsch gesungenen Gedichten im Programmheft nur die englische Originalversion gegenüber steht.

Die Musik unterstützt den Zirkelcharakter der Situation durch ebenfalls wiederkehrende Motive, wobei die Blechbläser mit ihren mal grellen, mal gepressten Klangfarben das gestörte Innenleben der Protagonisten auf fast quälende Art intonieren. Dirigent Jan Croonenbroeck leitete das hinter einem transparenten Bühnenbild agierende, verkleinerte Orchester des Staatstheaters mit viel Umsicht und Gespür für die Aussage des Stücks. Kräftiger und anhaltender Beifall.

v.l.n.r.:
Keith Stonum, David Pichlmaier, Xiaoyi Xu. Georg Festl, KS Katrin Gerstenberger
(C) Stephanie Werner

Eben dieses Bühnenbild entfaltete dann zum zweiten Teil unter Beleuchtung seine eigentliche Bedeutung. Man sieht darauf die stilisierte Luftaufnahme einer Vorortsiedlung aus gepflegten Einfamilienhäusern. Der Titel dieser zweiten Kurzoper, „Trouble in Tahiti“ von Leonard Bernstein, stammt von einer Schmonzette, die bei den Streitereien des jungen Ehepaares Sam und Dinah eine kompensierende Rolle spielt. Die beiden, gespielt von Georg Ferstl und Xiaoyi Xu, sind das Parade-Paar aus der Werbung der fünfziger Jahre, als Bernstein diese Oper schrieb. In schicke bunte Anzüge bzw. Kleider gehüllt, präsentieren sie sich der Öffentlichkeit, hier in Gestalt einer Videokamera, mit weit aufgerissenen Lachmündern, den kleinen Sohn in ihrer Mitte und fast schon um ihn sich balgend. Doch kaum ist die Kamera abgeschaltet, beginnt der Streit um Kindererziehung und Geld. Er gibt ihr die erbetenen Scheine nur widerwillig und mit maßregelnden Kommentaren, sie überschüttet ihn mit Vorwürfen wegen des Sohnes. Zwischendurch versuchen sie sich wieder einander anzunähern, aber vermeiden ein klärendes Gespräch zugunsten eines nichtssagenden Kinobesuchs – „Trouble in Tahiti“?

Sam, der eben noch Dinah die Geldscheine in herablassend-erzieherischer Manier gegeben hat, zeigt sich jetzt am Telefon einem Freund gegenüber finanziell ausgesprochen großzügig, ganz offensichtlich, um dessen Achtung zu gewinnen. Beide verbringen viel Zeit in ihrer eigenen Welt, einerseits der gefährdeten Zweisamkeit nachtrauernd, andererseits dem jeweils anderen noch Vorwürfe nachtragend. Auch hier drehen sich die Beziehungsprobleme im Kreise und kommen einer Lösung nicht näher.

Als Gag hat sich Leonard Bernstein noch ein Jazz-Trio ausgedacht, das zu den familiären Problemen karikierende und parodierende Songs im Stil des „Rat Pack“ (Frank Sinatra, Sammy Davis jr. und Dean Martin) beisteuert. Im lockeren „Swing“-Stil intonieren Katrin Gerstenberger, David Pichlmaier und Keith Bernard Stonum Texte über Konsum, Kitsch und Kabale in der Familie und liefern dazu dem jungen Ehepaar ganze Palettenladungen von Konsumartikeln für Haushalt und Freizeit an. Amazon lässt grüßen. Dazu laufen alle Beteiligten inklusive des Jazz-Trios permanent mit Smartphone vor dem Gesicht herum und übersehen dabei ganz den kleinen Jungen, der gerne mehr Zuwendung von seinen streitenden Eltern hätte.

Die Musik dazu ist unverkennbarer Bernstein und erinnert an vielen Stellen an „West Side Story“ oder andere Werke des umtriebigen Komponisten und Pianisten. Auch hier ist eine gewisse Kreisform der Themen und Motive erkennbare, die das „Immer-wieder-Gleiche“ und die faktische Unlösbarkeit der Beziehungsprobleme widerspiegelt. Das Bitter-Ironische der Situation liegt darin, dass man die Situation durch Reden und Zuhören lösen könnte, wogegen sich jedoch die Egos der Beteiligten sperren, weil jede(r) sich im recht fühlt. Die Parodien des Jazz-Trios ziehen die Situation nur scheinbar ins Humorvolle.

So lässt diese Kurzoper das Publikum mit gemischten Gefühlen zurück, weil wohl die meisten der Zuschauer (generisches Maskulinum!) sich selbst in den Protagonisten gesehen haben dürften – wenn sie ehrlich mit sich sind. Doch die szenische und musikalische Gestaltung von Leonard Bernstein gewinnt dem Grenzen eine menschlich-verständnisvolle und durchaus auch humoristische Note ab.

Das Publikum zeigte sich begeistert und spendete allen Beteiligten einhellig kräftigen Beifall.

Frank Raudszus

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